Wie funktionierten Stasi und StB? Deutsche und Tschechen wollen es gemeinsam herausfinden

Auch 20 Jahre nach der Wende sind immer noch viele Fragen offen was die Tätigkeiten der kommunistischen Staatssicherheitsdienste der ehemaligen Ostblock-Staaten betrifft. Die deutsche Bundesbehörde für die Stasiunterlagen, wegen ihrer Leiterin Marianne Birthler auch als „Birthler-Behörde“ bekannt, nimmt bei der Aufarbeitung der Stasiverbrechen eine Vorreiterrolle ein. Ähnliche Aufgaben wie die „Birthler-Behörde“ in Deutschland nimmt in Tschechien das Institut zur Erforschung totalitärer Regime wahr. In der vergangenen Woche haben die beiden Institutionen in Prag eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet.

Applaus, strahlende Gesichter allerseits, Feierstimmung. Dabei wurde mit der Kooperationsvereinbarung zwischen dem tschechischen Institut zur Erforschung totalitärer Regime und der deutschen Bundesbehörde für die Stasiunterlagen eigentlich nur etwas beschlossen, was es ohnehin schon längst gab, wie der Direktor der Bundesbehörde Hans Altendorf erklärte:

„Als das hiesige Institut im Februar 2008 gegründet wurde, kam die Leitung bereits 14 Tage später zu Frau Birthler und mir nach Berlin, und wir haben gerade auch für die Aufbauphase des Instituts Kooperation verabredet. Und dies hat in den letzten Monaten dazu geführt, dass es nicht nur Kontakte auf der Spitze der Organisationen gegeben hat, so dass ich sagen kann, dass die Zusammenarbeit, die wir heute besprochen haben und in dem Vertrag noch einmal verabredet haben, dass die gut läuft und im Grunde eine Bestätigung dieser Zusammenarbeit aus den letzten eineinhalb Jahren ist.“

Warum aber kam es – angesichts einer schon funktionierenden Zusammenarbeit – überhaupt zur Unterzeichnung einer Vereinbarung zwischen den beiden Behörden? Hans Altendorf:

„Die Rechtsgrundlagen, auf denen wir arbeiten, werden durch diese Vereinbarung nicht verändert. Wir haben hier eine Verlängerung der Zusammenarbeit besprochen, eine Intensivierung der Zusammenarbeit, einen Austausch der Kollegen, so dass wir glauben, jetzt eine weiterentwickelte Stufe erreichen zu können.“

Davon hofft vor allem das vergleichsweise junge Institut zur Erforschung totalitärer Regime in Prag zu profitieren. Dementsprechend erfreut war dessen Leiter, Pavel Žáček, nach der Vertragsunterzeichnung:

„Wir haben diese Vereinbarung mit der führenden Institution des ehemaligen Ostblocks abgeschlossen, die sich mit den Unterlagen des kommunistischen Geheimdienstes schon seit Beginn des Jahres 1992 beschäftigt. Das ist eine große Ehre für uns. Ich bin froh, dass wir unsere Zusammenarbeit nun mit der Unterzeichnung dieser Vereinbarung formalisiert haben. Das ist für uns sehr wichtig.“

Žáček räumt eine Verspätung ein, mit der in Tschechien überhaupt mit der Aufarbeitung der Geheimdienstakten der kommunistischen Staatssicherheit, kurz StB, begonnen wurde. Die Dokumente habe man erst zu Beginn des vergangenen Jahres, eben mit Gründung seines Instituts, zentralisiert, sagt Žáček. So stehe man nun vor einem Berg von Arbeit, den die deutschen Kollegen schon ein ganzes Stück weit erklommen hätten:

„Die Bundesbehörde für die Stasiunterlagen kennt die Mechanismen schon viel besser, nach der die Staatssicherheit sowohl im Rahmen des Staates der DDR, beziehungsweise im System der SED, als auch in der Gesellschaft funktionierte. Ich denke auch, dass die Diskussion, die in Deutschland permanent über die Arbeit der Behörde geführt wird, auf einem wesentlich höheren Niveau ist. Die Politiker, die Journalisten und die Öffentlichkeit sind dort wesentlich aufgeklärter als bei uns. Wir funktionieren als Institution ja erst eine relativ kurze Zeit, und deshalb ist das alles eine gute Schule für uns. Es beeinflusst uns und erleichtert unsere Arbeit.“

Aber auch die deutsche Bundesbehörde für die Stasiunterlagen, die BStU, erwartet sich von der Zusammenarbeit mit dem tschechischen Institut neue Impulse. So wie nun die Kollegen in Prag und Berlin hätten eben früher auch die Geheimdienste der DDR und der Tschechoslowakei eng zusammengearbeitet, so Hans Altendorf. Eine Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte könne daher nur mit einem Blick über die Grenzen vernünftig gestaltet werden, sagt er.

„Dazu ist die Kooperation mit den Behörden in anderen Ländern wichtig, weil die Archivmaterialien, die sich zum Beispiel in Tschechien befinden, für deutsche Wissenschaftler von großer Bedeutung sind. Ebenso wichtig ist es für die tschechischen Wissenschaftler, auch auf die Informationen in unseren Archiven zugreifen zu können.“


Tschechien ist erst das vorletzte Land des ehemaligen Ostblocks, das im Februar 2008 eine Zusammenarbeit mit den deutschen Forschern begann. Diese Verspätung gilt es nun aufzuholen. So hat das Institut zur Erforschung totalitärer Regime in den kommenden Monaten gleich zu einer Reihe von Konferenzen eingeladen, die alle ein Ziel haben: Herauszufinden, wie die kommunistischen Geheimdienste funktionierten, und wie sie untereinander kooperierten. Die Liste gemeinsamer Forschungsschwerpunkte ist lang. So interessiert die Wissenschaftler derzeit besonders, wie die Dienste auf die politischen Entspannungsbemühungen zwischen Ost und West in den achtziger Jahren reagierten. Ebenso versucht man herauszufinden, welchen Bespitzelungen Bürger kommunistischer Staaten im „befreundeten“ Ausland ausgesetzt waren.

„Die Tschechoslowakei ist ein beliebtes Urlaubsland für DDR-Bürger gewesen. Und manche DDR-Bürger glaubten, dass sie im Urlaub in einem anderen Land, den Bespitzelungen der Staatssicherheit nicht ausgesetzt gewesen seien. Die Unterlagen in unserem Archiv und in dem Archiv der Prager Kollegen, zeigen aber, dass die Staatssicherheit sehr wohl an den klassischen Urlaubsorten für DDR-Bürger präsent gewesen ist. Diese findet man in unseren Akten, und es ist ein Beispiel für die praktische Zusammenarbeit der kommunistischen Geheimdienste.“

In diesem Zusammenhang steht auch besonders die Tätigkeit der ostdeutschen Stasi auf tschechoslowakischem Boden im September 1989 im Fokus. Damals suchten Tausende DDR-Bürger Zuflucht auf dem Gelände der westdeutschen Botschaft in Prag. Die Fernsehbilder davon gingen um die Welt. Die Botschaftsflüchtlinge durften schließlich in den Westen ausreisen. In den Prager Archiven hat man Unterlagen über diese Zeit gefunden, berichtet Žáček:

„Der StB hat in Zusammenarbeit mit einem Stasiteam, das in Prag tätig war und die Situation in der Tschechoslowakei beobachtete, Informationen in die DDR geliefert. Zum Beispiel über die Deutschen, die beim Versuch illegal die Grenze zu überqueren verhaftet worden waren. Diese wurden verhört und die Protokolle an die Stasizentrale übermittelt. Das dauerte eigentlich bis zum Fall der Mauer, bis das System der Stasi und das staatliche System der DDR aufhörten zu funktionieren. Der StB hatte danach keine Partner mehr auf der anderen Seite, an die man Informationen senden konnte. Trotzdem hat der StB etwa die Halter der in Prag zurückgelassenen Trabis bis zum letzten Moment verfolgt. Denn die Ereignisse in und um die bundesdeutsche Botschaft bedeuteten für das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei eine große Bedrohung, und sie trugen ja letztlich auch zum Sturz des Regimes und zur Samtenen Revolution bei.“

Zwanzig Jahre nach der politischen Wende gibt es also noch eine ganze Menge aufzuarbeiten. Aus der verstärkten Kooperation zwischen den Forschern in Tschechien und Deutschland sind in Zukunft wohl aufschlussreiche Ergebnisse zu erwarten. Historiker dürfen gespannt sein.