Wo die Prager im 19. Jahrhundert gebadet haben

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Bei richtigem Sommerwetter in Prag das Baden in Ruhe zu genießen ist fast unmöglich. Denn wenn die Temperatur über 25 Grad steigt, platzen plötzlich alle Prager Badeeinrichtungen aus allen Nähten und die Moldau lockt mit ihrem Wasser die Badelustigen in der Hauptstadt kaum mehr an. Die Vorfahren der heutigen Prager haben es da einfacher gehabt. Denn Mitte des 19. Jahrhunderts, als die ersten Freibäder an der Moldau in Prag entstanden, war es überhaupt nicht üblich, baden zu gehen. Mehr über die ersten Prager Freibäder und deren wenig badelustigen Besucherinnen und Besucher erfahren Sie im folgenden Spaziergang durch Prag von Martina Schneibergová und Katrin Sliva.

Die einstigen Bewohner der tschechischen Hauptstadt waren gar nicht so badelustig wie ihre Nachkommen. Das erste öffentliche Freibad - jedoch unter militärischer Verwaltung - entstand an der Moldau in Prag in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Historischen Dokumenten zufolge wurde dieses erste Prager Freibad von einem gewissen Major Leroi geleitet. Bekannt geworden ist es aber nicht wegen zahlreicher Besucher. Eher das Gegenteil war der Fall, wie auch Historikerin Pavla Vosahlikova anmerkte:

"Dieses Freibad ist dank einem damals viel diskutierten Unglück bekannt geworden. Denn als dort Fürst Rohan im Jahre 1846 vorzuführen versuchte, wie man ins Wasser springt, ist er bei diesem Experiment ertrunken. Dieses traurige Ereignis wirkte sich auf die Beliebtheit - oder besser gesagt eher Unbeliebtheit - des Schwimmsportes in Prag aus. Auch wenn diese Sportart von vielen Pragern abgelehnt wurde, gab es dennoch schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Prag auch einige Befürworter des Schwimmens. Zu ihnen gehörte der namhafte Bibliothekar Vaclav Hanka, der sogar im späten Herbst in der Moldau badete und damit öffentliches Ärgernis erregte."

Ein wenig populärer ist der Schwimmsport erst nach 1848 geworden, und auch die Zahl der Prager Freibäder stieg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an. Nach Streitigkeiten mit der Führung des ersten, vom Militär verwalteten Freibads, wurde am rechten Moldauufer das Freibad "Obcanska plovarna" (zu deutsch: das "Zivile Freibad") errichtet. Am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden neue Freibäder auf der Sophieninsel (Zofin) unterhalb des Vysehrad-Felsens und an weiteren Plätzen entlang der Moldau. Zeitzeugen waren jedoch der Meinung, dass die Freibäder nicht gut ausgestattet waren und wenig besucht wurden.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die Pragerinnen und Prager immer noch sehr zurückhaltend, was den Schwimmsport betraf. Insbesondere die Damen hatten keine gute Beziehung zum Wasser, da der Schwimmunterricht für sie damals praktisch tabu war. Historikerin Pavla Vosahlikova weiß jedoch von Ausnahmen:

"Zeitzeugen erinnern sich daran, dass es um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Prag doch eine Schwimmerin gab. Diese sei von ihren Eltern gezwungen worden, einen Schwimmkurs im ersten militärischen Freibad zu besuchen. Die Öffentlichkeit amüsierte sich darüber und war zugleich empört. Es handelte sich um eine solche Rarität, dass sich daran zahlreiche Zeitzeugen erinnerten. Sie schenkten der Tatsache Bedeutung, dass die Eltern dieses Mädchens in Großbritannien weilten und vom dortigen Trend so stark beeinflusst wurden, dass sie eine gute Beziehung zu körperlichen Aktivitäten hatten und ihre Tochter zu dem für ein Mädchen kaum angemessenen Schwimmsport zwangen."

Das allgemein gegenüber dem Schwimmsport und dem Wasser überhaupt herrschende Misstrauen verzeichnet man bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Es gibt Beweise darüber, dass sich der Schwimmsport in den Jahren 1880-90 in Prag doch einigermaßen verbreitet hat - jedoch nur in Familien, die mit ausländischen Vorbildern in Kontakt waren und die ihre Kinder schwimmen lernten. Die Kinder hatten dann oft Probleme, denn selbst noch am Ende des 19. Jahrhunderts war es unmöglich, das Freibad gemeinsam als Familie zu besuchen. Im Freibad wurde das Damenabteil vom Herrenabteil streng getrennt, beim Eingang mussten die Damen und die Herren in die für sie bestimmten Abteile und Kabinen gehen. Den Nachmittag im Freibad gemeinsam zu verbringen, das war für die damaligen Prager unvorstellbar.

Aufmerksamkeit verdienen zweifelsohne die Badekostüme, die man im 19. Jahrhundert in den ersten Freibädern sehen konnte. Beim Anblick der heutigen Bademode würden unsere Vorfahren bestimmt kaum ihren Augen trauen. Pavla Vosahlikova dazu:

"Die Badekostüme verhüllten jedenfalls fast alles. Damen haben Röcke getragen, sodass auch jede Bewegung im Wasser recht schwierig und unangenehm war. Die Röcke waren knielang, sodass sie schon mehr enthüllten, als die Mode sonst auf der Straße zuließ. Auch die damaligen Badeanzüge für Herren waren sehr geschlossen. Diese kann man sich anhand historischer Filme gut vorstellen."

Man würde annehmen, dass der Schwimmsport mit dem Aufschwung des berühmten Turnvereins Sokol an Beliebtheit hätte gewinnen können. Der Turnverein Sokol unterstützte jedoch nach Aussage der Historikerin diese Sportart nicht:

"Es bestand ein Unterschied zwischen dem männlichen und dem weiblichen Teil der Prager Bevölkerung. Die Körpererziehung der Frauen stieß auch im Rahmen des Turnvereins Sokol auf Schwierigkeiten. 1869 entstand zwar eine selbständige Frauenorganisation von Sokol, jedoch ist es Jahrzehnte lang nicht gelungen, diese Frauenorganisation mit dem Sokol zusammenzuschließen. Die Vorurteile waren damals allzu stark. Zu einer vollständigen Gleichberechtigung der Frauen im Rahmen des Turnvereins Sokol kam es erst 1907. Vor der Jahrhundertwende durften Frauen nur an nicht öffentlichem Turnen teilnehmen, sie durften Sokol-Mitglieder werden, durften jedoch keine Funktionen im Turnverein ausüben."

Der Schwimmsport gehörte zu den Disziplinen, die vom Turnverein Sokol geduldet, aber nicht unterstützt wurden. Vor der Jahrhundertwende waren neben dem Sokol-Turnverein auch andere Sportvereine aktiv und vor allem junge Menschen befreiten sich von den mit dem Badesport verbundenen Vorurteilen. Die fortschrittliche Haltung zum Schwimmsport war in Prag mehr und schneller verbreitet als auf dem Lande. Außerhalb der Hauptstadt gab es bis zum Ersten Weltkrieg nur wenige öffentliche Freibäder.

Die Freibäder an der Moldau, wo am Anfang kaum jemand wirklich gebadet hat, stellten jedoch im 19. Jahrhundert nicht die einzige Möglichkeit dar, wo man in Prag baden konnte. Denn seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in Prag auch Heilbäder, wo man auf entsprechende ärztliche Empfehlung baden bzw. sogar auch schwimmen konnte. Diese körperliche Aktivität wurde allgemein akzeptiert, da sie vor allem von einer Gruppe junger Ärzte propagiert wurde, die meistens Freunde der Schriftstellerin Bozena Nemcová waren. Sie empfahlen die Hydrotherapie als Kurbehandlung, aber ebenso das Schwimmen in der Natur, und sie beeinflussten damit auch einen Teil der damaligen tschechischen Gesellschaft, sagt die Historikerin:

"Bozena Nemcová gehörte zu den Vorkämpferinnen des Schwimmsportes unter den tschechischen Frauen - sogar so sehr, dass sie damit auch Ärgernis erweckte. Denn wenn sie das Freibad besuchte, trat sie - zum Unterschied von ihren Zeitgenossinnen - auch in das Wasser rein. Dies war gar nicht üblich. Es gibt ein Zeugnis davon, wie Nemcová während ihres Aufenthalts in Nymburk die dortigen Damen mit ihrem Verhalten empörte, als sie im Freibad an der Elbe ins Wasser trat und sogar die anderen Damen aufforderte, ihrem Beispiel zu folgen. Dieser Skandal hat offensichtlich ihrem Mann den Posten gekostet."