Zeitschrift "Listy"

Verehrte Hörerinnen und Hörer, zu einer neuen Folge des Medienspiegels von Radio Prag begrüßen Sie recht herzlich Lothar Martin und Robert Schuster.

Im Rahmen unserer Medienrubrik möchten wir Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, nicht nur die tschechischen Tages- und Wochenzeitungen vorstellen und Ihnen deren Kommentare und Meinungen näher bringen. Wir möchten auch etwas in jenes Segment der tschechischen Medienlandschaft vordringen, welches, wie wir meinen, zu Unrecht etwas außerhalb des öffentlichen Interesses steht, dennoch aber einen festen Bestandteil des tschechischen Zeitungsmarktes darstellt.

Zu diesem Bereich gehört eine Vielzahl von Monats- oder Vierteljahresschriften, die sich einem breiten Spektrum von Themen aus Politik, Gesellschaft oder Kultur widmen. Wir haben für Sie heute etwas in der Monatszeitschrift Listy geblättert, die wir Ihnen im Folgenden auch näher vorstellen wollen.

Doch zunächst werfen wir einen Blick auf die letzte Ausgabe von "Listy". Die Zeitschrift "Listy", was auf Deutsch "Blätter" bedeutet, kommt alle zwei Monate heraus, und auch deswegen ist die letzte Nummer dieses Jahres auch noch größtenteils den Ereignissen nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September gewidmet.

So schriebt etwa der Publizist und Politikwissenschaftler Vladimír Kusin in seinem Beitrag "Antiraketen und Raketen" über den Zusammenhang zwischen den kontroversen amerikanischen Plänen zum Bau einer Antiraketen-Abwehr und den Terroranschlägen auf New York vom 11. September. Die islamistischen Terroristen hätten die einzig noch verbliebene Supermacht kalt erwischt und mächtig am Lack ihres Selbstbewusstseins gekratzt. Der Autor bringt dann seine Erwartung zum Ausdruck, dass Washington als Folge der Anschläge künftig mehr Zeit und vor allem mehr Geld für das Knüpfen eines globalen Antiterrornetzes bereitstellt, welches auch die Hauptkritiker der Raketenabwehr, vor allem also die Russen und die Chinesen, miteinbeziehen würde.

Zum Thema der Anschläge vom 11. September findet sich in der letzten Ausgabe von Listy ein weiterer bemerkenswerter Artikel. Sein Autor ist Ahmed Rashid, über den man am Ende seines Beitrags erfährt, dass er der einzige Journalist sei, welcher über einen direkten Kontakt zur afghanischen Taliban-Führung verfügt. Er gibt in seinem Beitrag Einblick in die Entstehungsgeschichte der Taliban-Bewegung und weist auch auf die einzelnen Flügel hin, die es innerhalb der Taliban gibt. Schade nur, dass sich in Listy keine Fußnote oder ein anderer Hinweis findet, ob dieser Beitrag aus einem anderen Medium übernommen wurde - was wahrscheinlich eher der Fall ist, oder ob er exklusiv für Listy verfasst wurde.

Eigentlich feierte die Zeitschrift Listy in diesem Jahr ein Jubiläum, denn sie wurde genau vor 30 Jahren, also 1971 in Rom gegründet. Warum gerade in Italien, das fragte Radio Prag den Chefredakteur der Monatszeitschrift, Vaclav Zak, der im folgenden auch weitere zeitgeschichtliche Zusammenhänge erwähnt:

"Jirí Pelikán, der einst Direktor des Tschechoslowakischen Fernsehens war und dessen Beseitigung eine der Hauptforderungen der sowjetischen Besatzer nach der Niederschalgung des Prager Fühlings vom August 1968 war, ging ins Exil nach Italien, wo er zahlreiche Freunde hatte. Er gründete dort eine Zeitschrift, welcher er nicht nur den Namen Listy gab, sondern auch den Untertitel Zeitschrift der tschechoslowakischen sozialistischen Opposition hinzufügte. Pelikan sah die Hauptaufgabe der Listy darin unzensierte Nachrichten zu sammeln und diese dann illegal, auf verschiedenen Wegen ins Land zu bringen. In der damaligen Tschechoslowakei gab es nach 1968 eine sehr strenge Zensur und so konnten viele Informationen überhaupt nicht oder nur unter äußerst schwierigen Umständen zu den Leuten gelangen."

Wegen ihres Erscheinens in Rom war die Zeitschrift Listy lange Zeit nur in den Kreisen der Opposition im Ausland bekannt. Als dann aber nach dem Fall des s.g. eisernen Vorhangs nach 1989 auch in der damaligen Tschechoslowakei die Demokratie zum ihrem Siegeszug ansetzte, beschloss Pelikan ohne groß zu zögern die Herausgabe seiner Zeitschrift nunmehr in der alten Heimat fort zu setzten. Rückblickend kann man sagen, dass Listy die einzige Exilzeitschrift war, deren Erscheinen nach der Wende nicht eingestellt wurde. Chefredakteur Žák hat folgende Erklärung dafür:

"Als Jirí Pelikán aus dem Exil zurückkehrte, ist er als erfahrener Kenner der Medien nicht irgendwelchem Zweckoptimismus verfallen und machte sich keine Illusionen über die plötzlich erlangte Medienfreiheit. Er wollte die Listy als eine Art mahnende Stimme sehen. Er war es auch, der die Zeitung einer breiteren‚ Öffentlichkeit zugänglich machte und hatte es sich zur Aufgabe gesetzt bei der Entstehung und Verankerung der Bürgergesellschaft und der Veränderung der gesamten politischen Kultur im Lande behilflich zu sein."

Die Öffnung führte laut Vaclav Zak u.a. dazu, dass sich das Spektrum der Leser und Käufer von Listy stark verbreitete. So schrumpfte Zaks Ausführungen zur Folge der Anteil jener Leser, die aus dem Umkreis der einstigen Opposition kamen bis auf ein Drittel der gesamten Leserschaft. Bei einer verkauften Auflage, die sich irgendwo zwischen 3 500 und 4 000 Exemplaren bewegt, sind das ungefähr rund 1 000 Leser. Die übrigen zwei Drittel seien in den vergangenen 10 Jahren neu hinzugekommen. Dennoch hat sich trotz der Öffnung der ursprüngliche Charakter von Listy bewahrt. Gehörten früher ehemalige Reformkommunisten aus der Zeit des Prager Frühlings, die für einen demokratischen Sozialismus eintraten, wie Jiri Pelikan, Zdenek Mlynar, oder Ota Sik zu den publizistischen Säulen der Listy, kommen heute die meisten Autoren aus dem linksliberalen Umfeld. Kann man sich aber heutzutage mit einer ähnlich intellektuell anspruchsvollen Zeitschrift, wie der Listy auf dem tschechischen Zeitungsmarkt behaupten, oder anders gefragt: Wie schwer ist es eigentlich eine solche Zeitschrift am Leben zu erhalten? Das war unsere nächste Frage an Vaclav Zak:

"Ja es ist schwer und ehrlich gesagt, bin ich auch etwas überrascht, weil es von solchen Zeitschriften, wie Listy in Tschechien nicht viele gibt. Wenn ich nämlich die Qualität der Informationen, welche Listy und ähnliche Printmedien bringen mit jenen vergleiche, die in der Tages- oder Wochenpresse erscheinen, überrascht es mich schon, dass nicht weitaus mehr Leser nach tiefer gehenden Informationen und Analysen suchen, als sie in den herkömmlichen Zeitungen finden können. Dennoch würde ich meinen, dass es der Listy noch relativ gut geht, wenn man es zumindest mit anderen ähnlichen Publikationen vergleicht, weil wir haben einen relativ großen und stabilen Leserstamm."

Schon häufig haben die Gesprächspartner im Medienspiegel von Radio Prag beklagt, dass der gegenwärtige tschechische Zeitungsmarkt zu einer allgemeinen Boulevardisierung neigt. Dieser Kritik schliesst sich auch der Chefredakteur von Listy Vaclav Zak. Dennoch ist er verhalten optimistisch, dass dieser Trend auf längere Sicht überwunden wird, wie er abschließend meint:

"Wahrscheinlich gibt es heute in Tschechien eine Leserschaft, welche die Boulevard-Medien liebt und sie auch auf den Kiosken förmlich einfordert. Das muss man verstehen, schließlich gab es 40 Jahre lang keine ähnlich ausgerichteten Zeitungen und die Öffentlichkeit hat die sterile Presse aus der Vorwende-Zeit satt. Es wird einige Jahre dauern, bis die Öffentlichkeit aufwacht und begreift, dass Informationen auf qualitativ hohem Niveau nicht in einer Boulevard-Verpackung geliefert werden können. Ich hoffe, dass diese Erkenntnis bei vielen bald eintreten wird."

Verehrte Hörerinnen und Hörer, damit wären wir wieder einmal am Ende unseres Medienspiegels angelangt. Falls Sie Fragen zu unserer Sendung oder Anregungen haben, so schreiben Sie uns doch bitte, wir würden uns über Reaktionen von Ihnen sehr freuen.