„Zeman ist ein polarisierender Präsident“ - Politologe Jiří Pehe über die Präsidentschaft von Miloš Zeman
Der neue tschechische Präsident Miloš Zeman ist noch keine 100 Tage im Amt und hat durch die eigenwillige Interpretation seiner Vollmachten als Präsident bereits für viel Protest gesorgt. Er beharrt darauf, selbst Botschafter zu bestimmen – gegen die Vorschläge des Außenministers – er ließ einige umstrittene Äußerungen über die Vertreibung der Sudetendeutschen bei einem Besuch Wien fallen und weigerte sich zunächst, den homosexuellen Literaturhistoriker Martin C. Putna zum Professor zu ernennen. Über die bisherige Amtszeit von Miloš Zeman und sein Verständnis der Präsidentenrolle sprach Radio Prag mit dem Politologen Jiří Pehe, Direktor der New York University in Prag.
„Miloš Zeman ist von Anfang an in die Offensive gegangen. Und er testet an verschiedenen Einzelfällen, wie weit er die Kompetenzen, die ihm die Verfassung gewährt, ausreizen kann. Natürlich sind diese Fälle nicht zufällig gewählt. Bei Martin Putna war es sicherlich auch Rache für Putnas kritische Haltung während des Präsidentenwahlkampfes. Und auch bei den Botschaftern, die Zeman aktiv einsetzen möchte, waren ähnliche Motive im Spiel. Miloš Zeman bemüht sich, die Vollmachten des Präsidenten in der Verfassung möglichst frei zu interpretieren.“
Geht es wirklich um eine Uminterpretierung der Verfassung? Oder geht Zeman über die Grenzen der Verfassung hinaus?„Ich fürchte, die tschechische Verfassung ist stellenweise sehr ungenau formuliert. Man muss bedenken, dass sie im Herbst 1992, als die Tschechoslowakei auseinander fiel, sehr schnell entstanden ist. Und einige Passagen lassen sich tatsächlich sehr stark interpretieren. Zum Beispiel, wenn es heißt: ‚Der Präsident ernennt’ – dann ist in einer Demokratie klar, dass es sich um die formale Bestätigung einer Entscheidung handelt, die von der Regierung getroffen wurde. Zeman – wie zuvor auch schon sein Vorgänger Klaus – haben sich aber vorbehalten, hier freier zu interpretieren. Die Verfassung bräuchte hier eine Konkretisierung. Auch da, wo es heißt ‚Der Präsident ratifiziert internationale Verträge’ ist damit eigentlich gemeint, dass es sich um die formale Bestätigung einer Entscheidung des Parlaments handelt. Zudem sind einige Vollmachten des Präsidenten einfach nicht mehr zeitgemäß und stammen noch aus der Habsburger Monarchie. Zum Beispiel, dass der Präsident Professoren, Richter oder den Bankenrat ernennt.“
Miloš Zeman interpretiert die Verfassung auf seine eigene Art. Er sei der erste direkt gewählte Präsident und habe dadurch auch ein besonders starkes Mandat.„Welche Vollmachten der Präsident hat, legt die Verfassung fest. Daran hat sich durch die Direktwahl nichts geändert. Der Wahlmodus sollte keinen Einfluss darauf haben, wie der Präsident seine Vollmachten definiert. Schauen wir in die EU: In 13 Ländern wird der Präsident direkt gewählt, in sieben indirekt und in den restlichen sieben gibt es konstitutionelle Monarchien. Und in keinem der Länder mit Direktwahl – mit Ausnahme Frankreichs, das eine Präsidialrepublik ist – würde der Präsident auf die Idee kommen zu sagen: Ich bin direkt gewählt und hab deshalb andere Vollmachten. Ebenso wenig sollte dies der tschechische Präsident machen.“
Zeman hat von Anfang an betont, er wolle der Präsident der „unteren 10 Millionen“ sein. Wird er diesem Anspruch gerecht?„Jeder Präsident verspricht, der Präsident aller Bürger zu sein. Zeman hat aber mit einer ähnlich polarisierenden Haltung sein Amt angetreten wie sein Vorgänger Klaus, der aus seinen konservativen Ansichten keinen Hehl gemacht hat. Zeman hingegen bekennt sich zur Linken. Hier ist eine ideologische Spaltung der Gesellschaft offenkundig. Zumal Zeman ein Präsident ist, der häufig sehr kontroverse Einstellungen vertritt, die der jüngeren, intellektuellen Schicht nicht gefallen. Zeman ist also eindeutig ein polarisierender Präsident.“
Viele der Eigenschaften von Miloš Zeman waren vorher bekannt: Dass er ein Machtmensch ist und dass er gerne Alkohol trinkt. Haben die Tschechen mit Zeman den Präsidenten, den sie wollten und verdient haben?„Kein Tscheche kann behaupten, dass er nicht wusste, wer Miloš Zeman ist. Die Bürger haben ihn gewählt, obwohl sie wussten, dass er Alkoholprobleme hat, dass er eine komplizierte Persönlichkeit ist, dass er die Tendenz hat und sich an seinen politischen Gegnern zu rächen. Dennoch haben ihm fast 60 Prozent der Tschechen im zweiten Wahlgang ihre Stimme gegeben. Das legitimiert Miloš Zeman natürlich in gewisser Weise. Und ich fürchte, auch seine umstrittenen Schritte der letzten Zeit ändern nichts an der Unterstützung vieler Bürger. Viele fanden auch sein Vorgehen gegen den Literaturhistoriker Martin Putna richtig. Offenbar ist vielen Tschechen überhaupt nicht bekannt, wie ein demokratisches System funktionieren sollte.“
Wie sieht es mit seinen Kritikern aus, wie werden sie sich verhalten, wenn Zeman weiter seine Vollmachten in diesem Sinne interpretiert? Es gab ja im Wahlkampf ein sehr starkes Engagement vieler Bürger gegen die Wahl von Miloš Zeman.„Noch nutzt Zeman die starke Polarisierung der Gesellschaft in rechts-links, jung-alt und gebildet-ungebildet. Aber wenn er noch mehr Fehler macht und seine Popularität möglicherweise unter 50 Prozent sinkt, könnte sich an seinem Gefühl, dass er ein starkes Mandat habe, etwas ändern.“
Was bedeutet das bisherige Verhalten von Miloš Zeman für das Image Tschechiens im Ausland?
„Das ist etwas schizophren: Einerseits schauen die Tschechen ständig, was das Ausland über sie denkt. Im Internet kursiert tatsächlich ein bereits berühmtes Videos von Miloš Zeman, wie er betrunken die böhmischen Kronjuwelen entgegennimmt. Andererseits interessiert Zeman, bei allem was zurzeit auf der Welt passiert, im Ausland vergleichsweise wenig. Wichtiger als solche innertschechischen Angelegenheiten wie die Ernennung von Professoren oder die böhmischen Kronjuwelen sind in meinen Augen Zemans äußerst unglückliche Äußerungen an die Adresse der Sudetendeutschen. Dadurch schadet Zeman Tschechien wesentlich mehr als durch das, was er innenpolitisch macht. Und so gesehen fürchte ich schon jetzt Zemans angekündigte Grundsatzrede zur tschechischen Außenpolitik in Berlin (beim geplanten Staatsbesuch in Berlin im Juni, Anm. d. Red.).“