„Zeman wird lavieren“ - Politologe Pehe zur politischen Krise in Tschechien

Jiří Pehe (Foto: Katarína Brezovská, Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Eine Regierung ohne Unterstützung im Parlament, ein Präsident, der Verfassungsgewohnheiten als idiotisch bezeichnet, und ein Abgeordnetenhaus, das sich angesichts dieser Probleme trotzdem nicht selbst auflösen will: Tschechien steckt in einer tiefen politischen Krise. In der Sendereihe „Politgespräch“ schätzt der Politologe und Direktor der New York University Prag, Jiří Pehe, die Situation ein und gibt einen Ausblick auf die weitere Entwicklung.

Jiří Pehe  (Foto: Katarína Brezovská,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Herr Pehe, die Situation in Tschechien erscheint im Moment ja etwas chaotisch: Der Präsident setzt eine eigene Regierung ein, ohne die Mehrheit der alten Regierungskoalition zu berücksichtigen und ohne Unterstützung der Opposition. Er beruft sich dabei auf sein Wahlversprechen, als erster direkt gewählter Staatspräsident die liberal-konservative Regierung zu stoppen. Wie bewerten Sie sein Vorgehen? Verstößt er gegen die tschechischen Verfassungsgewohnheiten, oder ist es schlicht ein geschickter politischer Schachzug?

„Ich denke, das Handeln von Präsident Zeman bricht mit bestimmten Verfassungsgewohnheiten. Ich würde es aber nicht als Handeln gegen die Verfassung beschreiben. Das Problem hat seinen Ursprung ein wenig in der tschechischen Verfassung, die gerade in jenen Passagen, in denen es um die Berufung einer neuen Regierung geht, etwas unklar formuliert wurde. Dort wird jedem Präsidenten, also auch Miloš Zeman, ein großer Spielraum zugestanden. Natürlich sollte der Präsident bei der Berufung einer Regierung versuchen, ein Kabinett aufzustellen, das eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus hinter sich hat. Aber gerade nach dem Fall der Regierung Nečas hat sich nur schwer eine Mehrheit gefunden. Also hat sich Zeman für diesen unorthodoxen Schritt entschieden. Meiner Meinung nach würde der Präsident die Verfassung in dem Moment verletzen, in dem seine Regierung, also das Kabinett Rusnok, nicht das Vertrauen des Abgeordnetenhauses erhält, Zeman sie aber weiter in Demission regieren ließe, ohne einen zweiten Versuch der Regierungsbildung durchzuführen.“

Miloš Zeman  (Foto: ČTK)
Das Abgeordnetenhaus hatte am Mittwoch die Gelegenheit, das Vorgehen des Präsidenten auszubremsen. Die Sozialdemokraten hatten die Selbstauflösung beantragt. Allerdings scheiterte der Antrag, weil die bisherige Regierungskoalition geschlossen dagegen gestimmt hat. Ist das ein Zeichen der Schwäche des parlamentarischen Systems oder verfolgen die Konservativen eine bestimmte Taktik?

„Ich fürchte, die Umstände beim Versuch der Selbstauflösung weisen auf eine große Schwäche der tschechischen politischen Parteien hin. Sie beginnen schon traditionell in Momenten zu taktieren, in denen sie eigentlich eine übergreifende gesellschaftliche Lösung finden müssten. Man könnte also sagen, dass es Präsident Zeman gelungen ist, das Verhalten der tschechischen Parteien vorherzusagen. Er hat sicher damit gerechnet, dass eine Selbstauflösung des Abgeordnetenhauses nicht stattfinden wird. Gäbe es Neuwahlen, würden sie den Präsidenten automatisch in seine Schranken weisen. Denn es würde sich eine neue, starke Mehrheit im Abgeordnetenhaus bilden, die dann in der Lage wäre, die Regierung zurück in die Hände der Parteien zu bringen. Ich sehe das Problem also darin, dass die politischen Parteien in der Tschechischen Republik in wichtigen Momenten keine verantwortungsbewussten Entscheidungen treffen und sich nicht auf einen Konsens einigen können. Sie taktieren lieber und sind nicht zu gemeinsamem Handeln fähig.“

Jiří Rusnok  (Foto: ČTK)
Am 8. August wird das Parlament darüber abstimmen, ob es der Regierung Rusnok das Vertrauen ausspricht. Bis dahin möchte der Premier um die Stimmen der parlamentarischen Parteien werben. Stattdessen aber sehen wir eine Regierung, die bereits in der ersten Woche zahlreiche hohe Beamte entlässt und, wie bei Finanzminister Fischer, unter dubiosen Umständen Geld erhält. Wie sehen Sie die Chancen? Wird diese Regierung das Vertrauen erhalten?

„Man kann nicht völlig ausschließen, dass Rusnok nicht doch das Vertrauen erhält. Ich denke aber, dass gegenwärtig das Ziel der Parteien darin besteht, diese Regierung zu blockieren, also ihr nicht das Vertrauen auszusprechen. Viel wird davon abhängen, wie sich die Sozialdemokraten gegenüber dem Kabinett Rusnok verhalten. Aber selbst wenn sie einstimmig für Rusnok stimmen würden: Solange nicht die fraktionslosen Abgeordneten mitstimmen, insbesondere jene der Partei Lidem, wird das nicht reichen. Wenn es also Zeman oder den Personen aus seiner Umgebung nicht gelingt, diese Abgeordneten zu überzeugen, Rusnok zu unterstützen, wird dieses Kabinett nicht bestätigt. Für diesen Fall erwarte ich, dass die Regierung am 8. August kein Vertrauen erhalten wird. Dann wird interessant, was Präsident Zeman nach dieser politischen Niederlage tun wird.“

Miroslava Němcová  (Foto: ČTK)
Und zum Schluss noch eine Prognose: Was glauben Sie wird Präsident Zeman tun, falls Rusnok nicht das Vertrauen erhält? Er könnte theoretisch die Regierung in Demission belassen bis zur regulären Wahl. Diese Möglichkeit erscheint nicht ungewöhnlich, nachdem Zeman die Verfassungsgewohnheiten als idiotisch bezeichnet hatte...

„Ich persönlich denke, dass es auf Seiten der Parteien der ehemaligen rechtsliberalen Koalition die leichte Hoffnung gibt, dass Präsident Zeman die Kandidatin der ehemaligen Regierungskoalition, Miroslava Němcová, ernennen wird. Zeman hat aber bereits mehrfach erklärt, dass er seinen Wählern im Wahlkampf versprochen hat, gegen diese rechte Regierung vorzugehen. Oder anders gesagt: Er wird versuchen, einen Ausweg zu finden, um keine rechte Regierung zu ernennen. Viele Möglichkeiten hat er dazu nicht, aber zwei bieten sich an: Erstens könnte er selbstverständlich einen Premier aus der stärksten Fraktion des Abgeordnetenhauses ernennen. Das sind derzeit die Sozialdemokraten und sie lehnen eine solche Aufgabe nicht völlig ab. Die zweite Möglichkeit wäre, dass Zeman langfristig laviert. Es gibt leider schon einen Präzedenzfall aus der tschechischen Verfassungsgeschichte, als Präsident Václav Klaus die Regierung von Mirek Topolánek 2006 vier Monate in Demission weiterregieren ließ. Zeman könnte also diesem Beispiel folgen und bis Ende des Jahres oder bis Januar warten, dann Jiří Rusnok zum zweiten Mal zum Premier ernennen und damit den gesamten Prozess von Neuem beginnen. Ich denke also, Zeman wird taktieren: Er wird keine rechte Regierung ernennen, um nicht seine Wahlversprechen zu brechen.“