Zum Jahrestag enthüllt: Okkupation von 1968 forderte 135 Opfer

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag

Am 21. August vor 47 Jahren wurden große Hoffnungen zerstört. An diesem Tag marschierten Truppen des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei ein und machten dem nationalen Reformkurs, bekannt als sogenannter Prager Frühling, ein Ende. Auch an diesem Jahrestag wurde der Opfer der Okkupation von 1968 gedacht.

Bohuslav Sobotka  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Auch in diesem Jahr fand der große offizielle Gedenkakt zum Vermächtnis des Prager Frühlings vor dem Gebäude des Tschechischen Rundfunks statt. Aus gutem Grund, denn bis heute gilt, dass die Sendungen des Rundfunks – damals war es noch der tschechoslowakische – nicht nur das Bindeglied zwischen der Staatsführung und den Bürgern des Landes waren, sondern die Bevölkerung auch zu Besonnenheit und Gewaltverzicht anhielten. Daher wohnten dem jüngsten Gedenkakt neben Vertretern der Landespolitik, angeführt von Premier Bohuslav Sobotka, und des gesellschaftlichen Lebens auch einige der ehemaligen Rundfunkredakteure bei, die den Sendebetrieb damals sicherstellten. Und es waren Zeitzeugen zugegen, die die Auseinandersetzungen um das Rundfunkgebäude hautnah miterlebt hatten oder sogar direkt in sie verwickelt waren. Einer von ihnen ist Zbyněk Hubáček, der mit seinen Eltern in einem Haus nahe der Sendeanstalt wohnte:

Foto: ČT24
„Das hier ist eine Patronenhülse, die durch das Fenster unserer Wohnung flog, nachdem ein Munitionswagen der sowjetischen Armee explodiert war. Auf den Wagen war zuvor der abgebrochene Stromkontaktbügel einer Straßenbahn gefallen“, schildert Hubáček seine damaligen Beobachtungen samt Beweisstück.

Als Schuljunge hatte er 1968 offenbar keine Angst davor, mit den Besatzern in den Dialog zu treten:

Gedenkakt vor dem Gebäude des Tschechischen Rundfunks  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
„Wir haben die Gefahr damals nicht wahrgenommen. Wir sind einfach auf die Panzer geklettert und haben versucht, mit den Besatzungen zu diskutieren. Ich war also einer aus der Menschenmenge, die noch heute auf Fotos zu sehen ist.“

Etwas ernster hat der damalige Sanitäter František Ždichynec die angespannte Situation auf der Straße vor dem Rundfunkgebäude erlebt:

„Als ich versuchte auf die andere Straßenseite zu Doktor Krucký zu kommen, der gerade einen von einer Kugel getroffenen Jungen behandelte, da begannen auch schon meine Schuhe zu brennen. Denn der Asphalt hatte Feuer gefangen, das in einem umgestürzten Autobus ausgebrochen war.“

Ivo Pejčoch  (Foto: Archiv des Prager Militärhistorischen Instituts)
Bei einigen der Zusammenstöße zwischen der Bevölkerung und den Besatzern blieb es aber nicht nur beim Dialog, denn auf Seiten der Okkupanten kamen auch Schusswaffen zum Einsatz. Wie die Militärhistoriker Prokop Tomek und Ivo Pejčoch inzwischen herausfanden, war die Zahl der damaligen Opfer noch größer als bisher angenommen.

„Bisher wurde angegeben, dass im Jahr 1968 insgesamt 108 tschechoslowakische Bürger umgekommen sind. Wir haben jedoch festgestellt, dass 135 Menschen starben. Und das ist vermutlich noch nicht einmal die endgültige Zahl der Opfer.“



„Schwarzbuch der sowjetischen Okkupation“
Ihre Erkenntnisse haben Tomek und Pejčoch in der von ihnen neu verfassten Ausgabe der Publikation „Schwarzbuch der sowjetischen Okkupation“ veröffentlicht, die zum diesjährigen Jahrestag erschienen ist. Für Zbyněk Hubáček indes ändern auch diese neuen Zahlen nichts daran, dass für ihn und seine damaligen Mitbürger vor 47 Jahren ein großer Traum jäh zu Ende ging:

„Ich kam gerade aus der Schule und dachte, jetzt werde ich die Welt entdecken, denn der zähe Sozialismus begann 1968 wirklich aufzubröckeln. Dann aber sah ich, es ist zu Ende, denn eine solche Invasion bedeutete nichts anderes als einen Rückschritt um mehrere Jahrzehnte.“