„Ukrainer kämpfen auch für uns“ – Demonstranten erinnern vor russischer Botschaft an August 1968

Am Dienstagabend trafen vor der russischen Botschaft in Prag mehrere Hundert Menschen zusammen, um an den 56. Jahrestag des Einmarsches der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei zu erinnern und ihre Solidarität mit der von Russland angegriffenen Ukraine zum Ausdruck zu bringen.

Am Dienstagabend trafen vor der russischen Botschaft in Prag mehrere Hundert Menschen zusammen, um an den 56. Jahrestag des Einmarsches der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei zu erinnern und ihre Solidarität mit der von Russland angegriffenen Ukraine zum Ausdruck zu bringen.

Mit Beifall wurde die Psychotherapeutin Věra Roubalová Kostlánováauf dem Podium auf dem Boris-Nemzow-Platz begrüßt. Sie gehörte zu den ersten Unterzeichnern der Charta 77. Bei einer Kundgebung vor der russischen Botschaft in Prag erinnerte sich die ehemalige Dissidentin zunächst an die Tage direkt nach der Invasion der Truppen des Warschauer Paktes am 21. August 1968.

Věra Roubalová Kostlánová | Foto: ČT24

„Zu Anfang haben wir uns alle mutig verhalten. Überall herrschten eine tolle Atmosphäre und das Gefühl, dass wir uns von den fremden Armeetruppen nicht besetzen lassen. Wir haben witzige Protestlosungen auf große Papierplanen geschrieben und in schlechtem Russisch mit den verwirrten Soldaten diskutiert. Wir sind schon in der Lage, uns für etwas zu begeistern. Nur die Begeisterung hält nicht lange an.“

Ein Jahr später seien die Proteste anlässlich des ersten Jahrestags des Einmarsches dann bereits von der tschechoslowakischen Armee, Polizei und den Volksmilizen brutal unterdrückt worden, erzählte die Zeitzeugin:

„In der ganzen Gesellschaft herrschten fast Depressionen. Es folgten Erniedrigung, Anpassung, Bespitzelungen. Ich denke, dass die Folgen über Generationen weitergetragen werden und bis heute zu spüren sind.“

Foto: René Volfík,  iROZHLAS.cz

Die Charta-Unterzeichnerin erzählte danach von ihrem Besuch im ukrainischen Dnipro im Jahr 2014 und die Solidarität der dortigen Bevölkerung mit den Flüchtlingen aus den östlichen Regionen der Ukraine. Und am 24. Februar 2022 hätten sich die russischen Panzer Kiew genähert und Charkiw angegriffen, merkte die ehemalige Dissidentin an:

„Die Ukrainer haben sich verteidigt und verteidigen sich weiterhin. Das dritte Jahr lang kämpfen sie tapfer gegen die russischen Aggressoren. Ich weiß, dass sie auch für uns kämpfen, denn Putin würde unser Land ebenfalls wieder gern besetzen. Ich hoffe, dass wir den Geflüchteten aus der Ukraine langfristig helfen. Denn durch die Hilfe gewinnen wir Selbstvertrauen und eine persönliche Verantwortung.“

Daniel Kroupa | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Der Philosoph und ehemalige Dissident Daniel Kroupa betonte, es sei wichtig, an Ereignisse zu erinnern, die der jungen Generation allzu entfernt vorkommen mögen. Kroupa machte darauf aufmerksam, wie sich die damalige kommunistische Parteiführung in Moskau 1968 verpflichtet hatte, das kleine bisschen Demokratie in der Tschechoslowakei wieder zu unterdrücken. Der Philosoph betonte, er möge den Begriff „Normalisierung“ nicht, mit dem die Zeit nach 1968 hierzulande in der Regel bezeichnet wird.

„Den Begriff dachten sich die Kommunisten aus, um zu vertuschen, dass es sich in der Tschechoslowakei um ein Okkupationsregime handelte.“

Foto: René Volfík,  iROZHLAS.cz

Kroupa ging genauso wie seine Vorrednerin auf Russlands Krieg gegen die Ukraine ein:

„Es ist notwendig, den Ukrainern weiterhin zu helfen. Es gibt hierzulande Organisationen, die imstande sind, schnell Hilfsgüter in die Ukraine zu liefern. Ich möchte Sie darum bitten, diese Organisationen zu unterstützen genauso wie die Ukrainer, die unter uns leben.“

Die Demonstration wurde von der Hilfsorganisation Člověk v tísni, der Bürgerinitiative „Eine Million Augenblicke für Demokratie“ und der Organisation Paměť národa veranstaltet.

Unter den Teilnehmern der Kundgebung war auch Helena Berthelon. Sie sagte gegenüber Radio Prag International, der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei und die nachfolgenden Jahrzehnte hätten ihre Generation stark beeinflusst.

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Denn wir hatten ab 1965 mehr Freiheit erlebt – beispielsweise im Theater und in der Tagespresse. Wir haben den Prager Frühling fast erwartet und an ihn geglaubt. Als wir jedoch anschließend als Volk erschraken und feige wurden, wirkte sich das auf viele von uns aus. Ich sehe es an Menschen aus meiner Umgebung, dass ihnen sozusagen das Rückgrat gebrochen wurde. Meine Generation will nicht darüber sprechen, weil sich die Menschen dessen bewusst geworden sind, dass sie damals feige waren.“

Helena Berthelon trug am Dienstagabend ein Armband und Ohrringe in ukrainischen Nationalfarben. Sie lebe in Frankreich und nehme regelmäßig an Demonstrationen für die Ukraine teil, betonte sie. Als Putin zum ersten Mal an die Macht kam, habe sie Böses geahnt und sich später bestätigt gefühlt:

„Ich habe meinen Freunden in Frankreich und auch in Tschechien gesagt, sie seien naiv, wenn sie nicht begriffen hätten, dass Putin das frühere Imperium wiederbeleben will – egal ob es UdSSR oder russisches Imperium heißen soll. Niemand nahm das zu Beginn in Frankreich ernst. Ich erlebe das aber sehr intensiv seit dem Februar 2022.“

Helena Berthelon zündete zum Abschluss der Demonstration genauso wie weitere Teilnehmer eine Wunderkerze an. Diese hielten die Menschen in den Händen als eine stille Botschaft an die Vertreter des russischen Regimes.

Foto: René Volfík,  iROZHLAS.cz