Zwischenbilanz der tschechischen Regierung

Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüsst Sie Rudi Hermann.

Drei von vier Jahren der regulären Legislaturperiode hat die sozialdemokratische Minderheitsregierung in Prag bereits absolviert, und es deutet nichts darauf hin, dass sie ihre Arbeit vorzeitig würde abbrechen müssen. Mehr als das. In einem schwierigen politischen und wirtschaftlichen Umfeld gestartet, hat sich das Kabinett von Milos Zeman gerade im ökonomischen Bereich einigen Goodwill geschaffen, und zwar mit einer Wirtschaftspolitik, die einige Erfolge aufzuweisen hat. Einer Bilanz der ersten drei Viertel der Legislaturperiode sind die nachfolgenden Minuten gewidmet, zu denen wir guten Empfang wünschen.

Mit nicht sehr viel Kredit hat die sozialdemokratische Minderheitsregierung in Tschechien, von ihrem Ministerpräsident Milos Zeman dramatisch als Kabinett von Selbstmördern bezeichnet, vor drei Jahren ihre Arbeit aufgenommen. Inzwischen hat sie einige Erfolge vorzuweisen, die ihr Bild gerade rechtzeitig auf die nächsten Wahlen im kommenden Frühsoimmer in der Öffentlichkeit verbessert haben. Als Minderheitsregierung ist das Kabinett Zeman nur auf der Basis des sogenannten Oppositionspaktes mit der Demokratischen Bürgerpartei ODS handlungsfähig. Das Abkommen besagt, dass die ODS als grösste Oppositionspartei die Sozialdemokraten im Gegenzug für einflussreiche Posten in Parlament und Staatsverwaltung relativ ungestört regieren lässt, so lange gewisse Richtlinien namentlich im wirtschaftlichen Bereich eingehalten werden.

Die Sozialdemokraten gaben seinerzeit das Wahlversprechen ab, die tschechische Wirtschaft aus der Rezession zu führen. Dies ist zweifelsfrei gelungen, denn im Jahr 2000 wurden mit überraschenden 2,9% realen Wirtschaftswachstums erstmals nach zwei Jahren der Schrumpfung wieder positive Zahlen geschrieben, und in diesem Jahr dürfte sich das Wachstum noch beschleunigen. Wenn eine Frage gestellt werden darf, dann diese, ob es sich nicht mindestens zum Teil um zyklisches Verhalten der Wirtschaft handelt, das ohnehin eingetreten wäre. Teilerfolge der Regierung, die die Sozialdemokraten klar für sich verbuchen können, haben aber mindestens zum gegenwärtigen Aufschwung beigetragen. Ein klares Verdienst der Sozialdemokraten besteht beispielsweise in der Steigerung der ausländischen Direktinvestitionen in die Tschechische Republik dank einem Programm von Investitionsanreizen. Als Grossinvestitionen wären etwa der Entscheid des Volkswagenkonzerns zum Bau eines Motorenwerks in Mlada Boleslav und die Investition des Elektronikunternehmens Philips zum Bau einer Fabrik für Fernesehbildschirme in der Kleinstadt Hranice na Morave zu nennen; bei beiden dürfte das Investitionsförderungsprogramm der Regierung eine Rolle gespielt haben. Und dieser Kapitalzufluss hatte und hat zweifelsohne auch eine Auswirkung auf die Wirtschaftsentwicklung. Laut vergleichenden Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz OECD, sind die Auslandinvestitionen in die tschechische Republik pro Kopf der Bevölkerung inzwischen am höchsten in ganz Ostmitteleuropa. Tschechien hat sich damit als attraktiver Standort erwiesen, was längerfristig gewiss Früchte tragen wird.

Ein weiterer Pluspunkt, den diese Regierung verbuchen konnte, ist der Abschluss der Bankenprivatisierung in Tschechien. Es ist etwas paradox, dass es die Sozialdemokraten waren, die zwei von vier halbstaatlichen Grossbanken privatisierten, eine dritte, schon in die Wege geleitete Privatisierung zu Ende führten und die vierte der früheren Staatsbanken in einer etwas abenteuerlich anmutenden und namentlich von den Bürgerlichen heftig angegriffenen Aktion wohl vor dem Bankrott bewahrten. Paradox deshalb, weil die konservativen Regierungen unter dem bürgerlichen Ministerpräsidenten Klaus früher von der Notwendigkeit der Bankenprivatisierung mit Vorliebe gesprochen, aber nur gesprochen hatten. Es gibt einige Analytiker, die der Ansicht sind, dies sei kein Zufall gewesen, sondern die Bürgerlichen hätten den sogenannten Bankensozialismus aus politischen Überlegungen zu erhalten gesucht Unter Bankensozialismus versteht man hier den Zustand, in dem staatlich beherrschte Banken staatlich beherrschten, aber schlecht wirtschaftenden Unternehmen weiterhin Kredite gewähren und damit auf eine Art handeln, die rein auf Erfolgsbasis orientierten Finanzhäusern fremd wäre. Der Effekt solchen Handelns lag darin, dass man sich eine politische Klientel aufbauen konnte und dass namentlich die Bankrotte grosser Firmen, die möglicherweise unerwünschte sozialpolitische Erschütterungen gebracht hätten, vermieden oder wenigstens gesteuert werden konnten.Die Sozialdemokraten hatten im Gegensatz zur ODS gegenüber dem Entstaatlichungsprogramm der Banken hingegen zu Beginn wenig Enthusiasmus gezeigt, sich in letzter Konsequenz aber als die effizenteren Privatisierer erwiesen.

Auch Minuspunkte gibt es bei der sozialdemokratischen Regierung allerdings zu vermelden. Der entscheidendste ist wohl, dass sie eine dringend nötige Reform des Renten- und Sozialversicherungssystems nur halbherzig an die Hand genommen hat. Mit dem gegenwärtigen Systém scheint Tschechien mittelfristig unvermeidlich auf ein Finanzkrise zuzusteuern. Das Problem besteht allerdings darin, dass in einem Staat mit einer Bevölkerung, die sich aus der Vergangenheit weitreichende Sozialleistungen gewohnt ist, mit einer Restriktion dieser Leistungen keine politischen Punkte gesammelt werden können. Das Klagelied der Finanzminister, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Ausgaben des Staates einen hohen Prozentanteil des Staatsbudgets auffressen und der Spielraum in anderen Bereichen sich damit einengt, dürfte somit so schnell nicht ein Ende haben.

Damit sind wir beim wohl heikelsten ökonomischen Bereich für diese Regierung: Den Staatsfinanzen. Das Anwachsen des Defizits der öffentlichen Finanzen, das 1997 noch 2 Prozent des Brutto-Inlandprodukts ausmachte und heuer schon bei exorbitanten 9,4 % anlangen dürfte, weckt das Stirnrunzeln sowohl der politischen Opposition und der hiesigen Finanzexperten wie auch internationaler Institutionen. Dass dabei im Oppositionsvertrag eine schrittweise Reduktion des Defizits des Zentralhaushalts vorgesehen ist, braucht die Regierung nicht weiter zu stören. Denn die grossen Fehlbeträge sind in Nebenrechnungen versteckt, in den Rechnungen der ausserbudgetären Fonds etwa für Verkehrsinfrastruktur oder Wohungsbau, oder auch in der Konsolidacni banka, einem staatlichen Sanierungsinstitut, das beispielsweise bei der Sanierung der halbstaatlichen Banken einen Teil von deren faulen Krediten übernahm.

Gerade wenn das Gespräch auf die Konsolidacni banka kommt, argumentiert die Regierung allerdings, dass man ihr zu Unrecht ein dramatisches Anwachsen der Staatsverschuldung vorwerfe. Die Belastung der Staatsrechnung durch die Konsolidacni banka sei nämlich eine Angelegenheit auch der vorhergehenden Regierungen. Die Sozialdemokraten seien lediglich diejenigen, die die Leichen aus dem Keller geholt hätten. Diese Leichen seien die faulen Kredite der Grossbanken, die sich in den Jahren 1992 bis 1998 - also zur Zeit der konservativen Regierungen - angehäuft hätten. Ministerpräsident Zeman argumentierte auch damit, dass die Verschuldungsquote der Tschechischen Republik im Vergleich zu anderen Staaten, auch solchen der EU, mit rund 20 % gemessen am Brutto-Inlandprodukt immer noch sehr akzeptabel sei. Die EU-Norm liege bei 60 %, und Belgien oder Italien lägen deutlich über 100 %. Diese Argumentation wird zwar von der Fachwelt akezptiert, aber mit dem Einwand, dass nicht die absolute Höhe der tschechischen Staatsverschuldung bedenklich sei, wohl aber die Geschwindigkeit, mit der diese Verschuldung zunehme.

Autor: Rudi Hermann
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