44. Internationales Filmfestival in Karlsbad

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Seit mehr als 60 Jahren gehört es zu den Fixsternen auf dem internationalen Kinohimmel: Das Internationale Filmfestival in Karlsbad / Karlovy Vary. In diesem Jahr stand die 44. Ausgabe dieses kulturellen Großereignisses auf dem Programm. Auch diesmal gaben sich wieder Stars und Sternchen ein Stelldichein in der berühmten westböhmischen Kurstadt. Auch Zehntausende Besucher wollten sich die Gelegenheit, die Stars und die neuesten Kinoproduktionen hautnah zu erleben, nicht entgehen lassen.

Traditionell glänzt das Karlsbader Festival durch eine Reihe von Weltpremieren. Eine davon feierte in diesem Jahr der Film „Dobře placená procházka“ – zu Deutsch „Ein gut bezahlter Spaziergang“ des amerikanischen Kino-Altmeisters mit tschechischen Wurzeln Miloš Forman. Er hat die gleichnamige Jazzoper der tschechischen Autoren Jiří Suchý und Jiří Šlitr verfilmt. Und zwar direkt im Prager Nationaltheater.

„Das war von Anfang an unser Ziel: Gehen wir mit der Kamera ins Theater. Ins Prager Nationaltheater. So, wie es die gewöhnlichen Besucher auch tun. Ins richtige Theater, mit einem Orchester, einem Dirigenten. Applaus und dann geht es los, wie im Theater. Erst nachdem das Stück begonnen hat, zoomen die Kameras langsam auf die Bühne, und aus dem Theaterstück wird auf einmal ein Film“, so Regisseur Forman.

Der Autor des Theaterstücks, Jiří Suchý gibt zu, er habe Forman nicht ganz ernst genommen, als er ihm zum ersten Mal von seinem Filmprojekt erzählt hatte:

„Ich muss gestehen, ich habe Miloš Forman nicht so recht geglaubt, dass aus den Dreharbeiten im Nationaltheater etwas wird. Der ‚Gut bezahlte Spaziergang’ ist eine Oper für fünf Leute. Ich habe mir gedacht, mein Gott, wie soll da ein Film draus werden. Aber Miloš hat mir versichert, er würde ein wenig Broadway auf die Bühne des Prager Nationaltheaters bringen. Meine anfängliche Angst ist schnell der Neugier gewichen: Ich war gespannt, wie er das anstellen wird. Als ich dann im Theater den Kinderchor, das Tanzensemble, das Jazzorchester auf der Bühne und die Musiker unten im Orchestergraben gesehen habe, da hab’ ich mir gesagt: Aha, das ist also der Broadway.“

Dabei war am Anfang alles ganz anders geplant, wie Miloš Forman zugibt:

„Eigentlich waren die Aufnahmen im Nationaltheater ja nur für eine DVD geplant. Aber als wir dann an der DVD zu arbeiten begonnen haben, ist auf einmal die Frage im Raum gestanden, ob das nicht auch die Kinobesucher interessieren könnte.“

Doch warum soll man eigentlich ins Kino gehen, um sich eine Oper anzusehen? Soll man da nicht lieber gleich ins Nationaltheater gehen? Star-Regisseur Forman klärt auf:

„Klar, es ist eine Filmaufnahme einer Theatervorstellung. Aber der Film hat einen Vorteil: Sie können den Schauspielern direkt ins Gesicht schauen. Ganz aus der Nähe sehen Sie plötzlich, was sich in diesen Gesichtern tut. Diese Mimik, die Grimassen… Das ist das Schöne daran.“

Jiří Suchys Jazzoper „Ein gut bezahlter Spaziergang“ feierte ihre Premiere im Juni 1965 im legendären Prager Theater „Semafor“. Doch während sich das Stück in Prag und Tschechien nach wie vor einiger Beliebtheit erfreut, ist es im Ausland nahezu unbekannt. Wird der Film also überhaupt sein Publikum finden? Auch Miloš Forman ist ein wenig skeptisch:

„Ich bin selbst auch total gespannt, ob überhaupt Leute in diesen Film gehen werden. Weil ein klassischer Film ist das natürlich nicht.“

Er wisse auch noch nicht, ob er überhaupt außerhalb von Tschechien in die Kinos komme. Er befürchte, Suchýs Stück lasse sich kaum in andere Sprachen übersetzen. Wenn überhaupt, dann ginge das nur mit großen Verlusten, so Miloš Forman, der selbst seit 1968 in den USA lebt.

Abseits von Miloš Formans Produktion mit starkem Tschechien-Bezug war die heimische Kino-Szene auf dem diesjährigen Filmfestival in Karlsbad sehr schwach vertreten. Zwar wurden einige ältere Produktionen dem internationalen Publikum vorgestellt, etwa Vladislav Marhouls historisches Drama „Tobruk“ oder Bohdan Slámas Komödie „Venkovský učitel“ - „Der Dorflehrer“. Doch Premieren tschechischer Produktionen und damit auch potenzielle Anwärter auf den großen Kristallglobus sucht man auf dem 44. Internationalen Filmfestival von Karlsbad vergeblich. Ähnlich schwach vertreten war auch Deutschland. Mit Andreas Dresens „Whisky mit Wodka“ stand aber immerhin eine Weltpremiere auf dem Spielplan.

Der Film handelt – von einem Film. Genauer gesagt von den Dreharbeiten zu einem Film. Die Hauptrolle in diesem Film soll ein gealterter Star namens Otto Kullberg, gespielt von Henry Hübchen, besetzten. Doch Kullberg schaut auf dem Set zu tief ins Glas oder besser gesagt in die Whisky-Flasche: Die Dreharbeiten drohen zu scheitern. Regisseur Martin Telleck alias Sylvester Groth ist mit den Nerven am Ende:

Also entschließt sich der Produzent zu einem ungewöhnlichen Schritt: Er lässt die Hauptrolle doppelt besetzten. Neben Otto soll der deutlich jüngere Arno spielen; alle Szenen werden doppelt aufgenommen. Immer wieder sorgt diese Konstellation für Streit. Doch kurz vor dem Ende der Dreharbeiten finden die beiden Hauptdarsteller zueinander, es folgt ein gemeinsames Saufgelage.

Für Unterhaltung ist durch diese ständigen Verwirrungen also gesorgt. Aber waren die echten Filmcrews nicht auch verwirrt? Wusste man bei den Dreharbeiten überhaupt noch, wer zu welchem Filmteam gehört? Es war nicht immer leicht, meint Regisseur Andreas Dresen:

„Das war schon sehr ungewöhnlich, denn wir waren vor der Kamera teilweise gleich viele wie dahinter, also so 40 gegen 40. Und oft haben wir uns gegenseitig gefilmt. Das war schon ziemlich abstrus manchmal und es drohte, unübersichtlich zu werden. Man gibt ja dann auch die Kommandos doppelt. Wenn ‚Aus’ gesagt wird, dann schaltet der Kameraassistent ja im Allgemeinen die Kamera aus. Da sind schon einige schöne Szenen verloren gegangen, die Sie nicht sehen können. Es erfordert ein bisschen Übung.“

So weit, so lustig. Doch will „Whisky mit Wodka“ tatsächlich nur unterhalten? Oder auch eine Botschaft übermitteln. Auf diese Frage bemüht sich Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase eine Antwort zu finden:

„Scherzhaft gesagt: Dieser Film beantwortet keine brennende Frage. Er handelt davon, dass die Zeit vergeht. Da werden Sie sagen: Das wissen Sie schon. Klar. Aber wie geht man damit um? Er handelt davon, dass man älter wird. Das wissen wir alle auch schon. Aber wie benimmt man sich dabei? Wenn’s gut geht, dann ist der Film nicht zu Ende, wenn das Licht angeht. Sondern er lässt ein paar Dinge, die man mit nach Hause nehmen kann.“

Ob dies den Machern von „Whisky mit Wodka“ gelungen ist, darüber können sich die Filmfreunde ab 3. September selbst ein Bild machen, wenn der Streifen in den deutschen Kinos anläuft.

Und wie ist es generell um den deutschen beziehungsweise den deutschsprachigen Film bestellt? Wie kommt es, dass dieses Jahr so wenige deutschsprachige Produktionen in Karlsbad zu sehen waren? Steckt das deutsche Kino gar wieder einmal in einer seiner nicht allzu seltenen Krisen? Nein, ganz und gar nicht, meint Christoph Müller, der Produzent von „Whisky mit Wodka“

„Ich glaube, ein Festival ist nicht unbedingt ein Zeichen dafür, ob eine Filmszene in einer Krise ist oder nicht. Es gibt keine Krise in Deutschland. Die Varianz und die Streubreite der deutschen Filme ist größer denn je.“