70 Jahre Vaclav Havel - aus der Sicht tschechischer Medien
Vaclav Havel ist am Donnerstag 70 Jahre alt geworden, Radio Prag hat berichtet. Auch bei den Medien anderer Länder ist das Ereignis naturgemäß auf großes Interesse gestoßen. Da die Wahrnehmung Havels im Ausland sich von der in Tschechien aber zum Teil erheblich unterscheidet, wollen wir Ihnen jetzt einen Überblick über das tschechische Presseecho bieten.
"Wenn Vaclav Havel im Westen leben würde, dann würde jetzt in den Bibliotheken eine Reihe detaillierter Biographien über ihn stehen. Sie gäben Auskunft darüber, in welchen Bereichen er am erfolgreichsten war. In Tschechien werden Bücher über Politik und Politiker bislang nur selten geschrieben, und so wartet Havels abenteuerliche Geschichte immer noch auf eine Interpretation. Havel hat Tschechien zur Freiheit verholfen, als Liebling westlicher Staatsmänner hat er den Tschechen das Gefühl gegeben, besser und international beliebter zu sein als sie es in Wirklichkeit sind."
Das wichtigste Vermächtnis Havels sieht Svehla in dessen Engagement als Dissident:
"Wenn wir eine wirklich wichtige Lehre aus Havels reichem Leben suchen, müssen wir drei Jahrzehnte zurückgehen. Die erste Hälfte der 70er Jahre war in der Tschechoslowakei eine Zeit des absoluten Stillstands. Das kommunistische Regime schien der allmächtige Herr über das Schicksal der Menschen zu sein. Havel hat mit seinem mutigen Protestbrief an Staatspräsident Husak erstmals gezeigt, dass es aber leicht ist, diese von dem Regime aufgezwungene Vorstellung zu ändern. Unmittelbare Folge seines Briefes war nicht nur die Entstehung der Bürgerrechtsbewegung Charta 77, sondern Havel hat zugleich einen Leitfaden hinterlassen, den man entsprechend modifiziert immer anwenden kann."
Auch Petr Uhl, der sich mit Havel und anderen Dissidenten gemeinsam in der Charta 77 engagiert hat, lenkt in der Zeitung Pravo den Blick weniger auf Havels Präsidentenzeit, sondern auf sein vorheriges zivilgesellschaftliches Engagement:
"Die so genannte 'unpolitische Politik' als Weg zur Entwicklung der Bürgergesellschaft ist meiner Meinung nach das Wertvollste, was Vaclav Havel der tschechischen und europäischen Gesellschaft hinterlassen hat. Viele werfen Havel und seinen Mitstreitern vor, dass sie der Revolution im November 1989 einen samtenen Stempel aufgedrückt haben. Dank dieser Tatsache ist unsere Demokratie aber heute kultivierter. Mich hat an Havel hingegen immer gestört, dass er nicht mit Abgeordneten der kommunistischen Partei kommuniziert hat. Und seine unkritische Haltung zu den USA. Letztere muss man vor dem Hintergrund verstehen, dass man Havel in den USA gern mag und dass er sich dort besser verstanden fühlt als zuhause in Tschechien."
Das Stichwort der 'unpolitischen Politik', also des zivilgesellschaftlichen Engagements für eine bessere Politik, greift auch Petr Pospichal in der Zeitschrift Literarni noviny auf:
"Statt unpolitischer Politik sprechen wir heute von außerparlamentarischer Politik. Die entscheidende Frage ist, ob wir heute Raum für diesen Havelschen Zugang zur Politik sehen. Heute fehlt einzelnen politischen Fragen der Zusammenhang, wir sind von zufälligen Menschen, zufälligen Fragen und mangelnder politischer Reflexion umgeben. Wenn Havel und seine Politik den meisten von uns nicht fehlen, dann liegt der Fehler sicherlich bei uns. Lasst uns eine öffentliche Diskussion darüber führen, sie betrifft schließlich uns selbst."
Vor dreieinhalb Jahren hat für Vaclav Havel eine neue Etappe begonnen. Er ist jetzt weder Dissident noch Staatsoberhaupt. Bereits im Vorfeld seines Ausscheidens aus dem Amt hatte er mehrfach angekündigt, er freue sich auf diese Zeit, weil er dann endlich zum Schreiben, seinem ursprünglichen Beruf, zurückkehren könne. Der Politik jedoch habe er seitdem keineswegs den Rücken gekehrt, beobachtet Petr Fischer in der Zeitung Hospodarske noviny:"Vaclav Havel ist eben doch ein etwas anderer Ex-Präsident als seine Kollegen. Während ausgediente europäische Staatsoberhäupter meist nur ihre Position einer anerkannten moralischen Autorität nutzen, zeichnet sich Havel durch ein wesentlich stärkeres politisches Engagement aus als die anderen."
So hat Havel etwa vor den Parlamentswahlen im Juni dieses Jahres eindeutig seine Sympathien für die Grünen-Partei gezeigt. Dass diese letztlich erstmals den Sprung über die Fünfprozenthürde schafften, bezeichnet Fischer als Havels größten politischen Erfolg seit seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt. Insgesamt, so resümiert Fischer, bringe Havel immer wieder eine wichtige Perspektive in die politische Diskussion in Tschechien:
"Es klingt paradox, aber die Art und Weise, wie Havel über Politik und Gesellschaft nachdenkt, erinnert eher an einen Blick von außen, aus Europa oder der Welt. Havel selbst fehlt in der tschechischen Politik ein stärkerer Bezug auf internationale Zusammenhänge. Eine Inspiration für die älteren Generationen. Die jüngeren haben Havels Appell längst verstanden."
Dass Havel auch als Ex-Präsident weiterhin in politischen Diskussionen präsent bleibt, war von ihm selber ursprünglich gar nicht so gewollt, erinnert Krystyna Wanatowiczova in der Zeitschrift Tyden:"Es sieht so aus, als wenn der Autor absurder Dramen nach seiner Amtszeit selbst in eine absurde Situation geraten ist. Einerseits möchte er gerne seine Ruhe haben, andererseits tut es ihm aber gut, die Rolle einer Persönlichkeit zu spielen, die das in- und ausländische Geschehen beeinflusst. Kann Havel überhaupt jemals ein normaler Bürger werden? Es scheint, als wenn er bis an sein Lebensende mit demselben Dilemma konfrontiert sein wird: Soll er sich in seiner verbleibenden Zeit vom öffentlichen Leben entfernen und schreiben? Oder soll er die Rolle des international bekannten Ex-Präsidenten spielen, die ihn so sehr entkräftet aber die er so ungern aufgibt?"
Blicken wir abschließend auf Havels Verhältnis zu Deutschland: Lida Rakusanova erinnert in einem Leitartikel für die aktuelle Ausgabe der deutschsprachigen Prager Zeitung an Havels Bedeutung für die tschechisch-deutschen Beziehungen:
"Für die deutsch-tschechischen Beziehungen setzte sich Vaclav Havel mehr als nur ein bisschen ein. Er war, zumindest gleich nach der Wende und in den neunziger Jahren, ihr eigentlicher Motor. Allerdings hatten er und seine Leute aus den einstigen Dissidentenkreisen Pech: Sie fanden auf der deutschen Seite nicht genug Partner, die in der Umbruchzeit imstande gewesen wären, diese Gelegenheit zu erkennen und zu nutzen."