Adieu Wahlen, adieu Radar

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Heutiges Thema ist die 180-Grad-Wende der Sozialdemokraten. Die Wahlen sind deshalb wieder in weite Ferne gerückt und Ex-Premier Mirek Topolánek hat sein Abgeordnetenmandat aufgegeben. Außerdem: Reaktionen auf die Nachricht, dass die USA den geplanten Raketenabwehrschild möglicherweise doch nicht bauen wollen.

Moderator: In einer deutschen Agenturmeldung aus dieser Woche wurde die politische Situation hierzulande als Wahlchaos bezeichnet. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts in der vergangenen Woche hatte den Oktobertermin für die Neuwahlen unmöglich gemacht. Dann hat Jiří Paroubeks Entscheidung, sich entgegen der Absprachen vom Freitag, gegen die Selbstauflösung des Abgeordnetenhauses auszusprechen, auch den Novembertermin unerreichbar gemacht. Wie wird denn die Situation in den tschechischen Medien bewertet?

K. Materna: Ich habe hier die Mittwochsausgaben der größten Tageszeitungen vor mir liegen. Die Kommentare sind überschrieben mit „Tschechisches Rezept für das Chaos“, „Nicht vergessen: Paroubek schadet dem Staat“ oder „Ist es Zeit zu emigrieren?“– um nur einige zu nennen.

Moderator: Das klingt ernst.

K. Materna: Die Lage ist ernst, finden die Kommentatoren. Krise, Kollaps, Dschungel sind Wörter, die gehäuft in den Bewertungen vorkommen. Martin Komárek, Mladá Fronta Dnes, beispielsweise schreibt:

„Genau ein Jahr nach dem Kollaps von Lehman Brothers ist auch die tschechische Politik kollabiert. Genauso wie in den USA waren auch hier die Anzeichen schon in Vorfeld lange spürbar. Niemand hat geglaubt, dass das gut ausgehen würde. Mit einer derartigen Explosion hat aber ebenfalls keiner gerechnet.“

Sein Kollege Karel Steigerwald sieht ebenfalls Schwarz. Sein Schlusssatz lautet: „Der Zerrüttung des tschechischen Staates hat endgültig begonnen.“ Bohumil Doležal von der Tageszeitung Lidové Noviny geht auf die Tatsache ein, dass Interimspremier Fischer den Fortbestand seiner Regierung davon abhängig machen will, ob das Abgeordnetenhaus sein Mandat verlängert.

Moderator: Wobei er eine Bedingung gestellt hat: Die Annahme eines Sparpakets, das das Haushaltsdefizit von umgerechnet fast 9 Milliarden auf etwa 6,3 Milliarden Euro senken soll.

K. Materna:„Angesichts des Charakters des Angeordnetenhauses kann sich der Premier eine derartige Bestätigung an den Hut stecken. Wenn er sich auf sie verlässt, ist er ein Selbstmörder“, konstatiert Doležal.

Moderator: Wie wird denn die Rolle Jiří Paroubeks bewertet? Und was sagen die Autoren zu dem Abgang von Mirek Topolánek?

K. Materna: Die Mehrzahl der Kommentatoren geht mit dem Vorsitzenden der Sozialdemokraten scharf ins Gericht. Das, obwohl er selbst darauf pocht, dass das Verfassungsgericht an allem Schuld sei. Hier ein Auszug aus dem Kommentar Lenka Zlámalovás aus der Tageszeitung Hospodářské Noviny:

„Jiří Paroubeks Kehrtwende schadet dem Land. Die Sozialdemokraten haben die Interessen des Landes nun zugunsten ihrer eigenen über Bord geworfen. Es ist offensichtlich, dass der Partei insgesamt oder einem bedeutenden Teil ihrer Mitglieder der Wahltermin im November einfach nicht in den Kram gepasst haben.“

Und Martin Komárek, Mladá Fronta Dnes, urteilt:

Jiří Paroubek  (Foto: ČTK)
“Jiří Paroubek hat gegen die letzte Regel verstoßen, die das politische System noch zusammenhielt: ‚Grundsatz-Vereinbarungen werden eingehalten.’ Endlich ist das Gesetz des Dschungels ins Abgeordnetenhaus eingezogen.“

Petr Kolář, Lidové Noviny, wiederum glaubt, hinter allem steckten finanzielle Überlegungen. Die Sozialdemokraten hätten bereits eine halbe Milliarde Kronen für den Wahlkampf ausgegeben, weitere 200 Millionen an Ausgaben seien eingeplant. Wenn das Verfassungsgericht dann die Wahlen erneut aussetzte, wäre die Partei völlig blank:

"Paroubek hat deshalb scheinbar befunden, dass es besser sei, sich und seine Kollegen zum Affen zu machen."

Die Entscheidung Mirek Topoláneks, sein Abgeordnetenmandat niederzulegen, wird in den Kommentaren nur am Rande erwähnt und überwiegend als geschickter Schachzug bewertet.

Moderator: Die USA haben am Donnerstag bekannt gegeben, dass sie vom Bau der geplanten Radarabschirmanlage in Tschechien und Polen Abstand nehmen. Gibt es dazu Pressestimmen?

K. Materna: Sicherlich. Die Mladá Fronta Dnes titelt heute: ‚Den Radar wird es nicht geben, Russland hat gewonnen.“ Zwei Grundtendenzen kommen in den Kommentaren zum Tragen: Die einen machen die innerpolitische Situation in Tschechien verantwortlich für die Absage, die anderen empfinden sie als Verrat und ziehen Parallelen zum Münchener Abkommen.Bohumil Doležal, Lidové Noviny, nennt zwei Aspekte, die seiner Meinung nach zu der Entscheidung der Amerikaner beigetragen haben:

„Erstens: 70 Prozent der tschechischen Bevölkerung waren gegen den Radar. Zweitens: Das anhaltende Chaos auf der politischen Bühne weckt nicht gerade das Vertrauen in unser Land - angefangen bei der Regierung Topoláneks mit ihrer schwachen Mehrheit bis hin zum Sturz selbiger und den Ereignissen, derer wir nun Zeuge werden. Welcher vernünftige und verantwortungsvolle amerikanische Politiker würde unter diesen Umständen anders handeln als Obama?“

Barack Obama  (Foto: ČTK)
Petr Šimůnek, Chefredakteur der Tageszeitung Hospodářské Noviny:

„Die USA haben diese Pläne gegen eine entgegenkommendere Politik Russland gegenüber eingetauscht. Dies mit technischen Parametern zu begründen oder mit dem Hinweis, dass Iran doch nicht in der Lage sei, Langstreckenwaffen herzustellen, ist ebenso glaubwürdig wie Jiří Paroubeks Erklärung für seinen Wortbruch. Tschechien und Polen wurden mit ihrem Versuch, sich dem Einfluss Russlands zu entziehen, schlicht über Bord geworfen.“

Teodor Marjanovič, Auslandschef der Mladá Fronta Dnes, ruft das Versprechen in Erinnerung, das Obama den Tschechen bei seinem Prag-Besuch im Frühjahr gegeben hat. Da hieß es: Die USA werden Tschechien niemals den Rücken kehren. Und weiter heißt es dort: „Das Gegenteil davon hat er jetzt getan. Er hat uns den Rücken gekehrt.“

Moderator: Auch wir müssen jetzt den Tatsachen ins Auge schauen: Unsere Zeit ist um. Der Medienspiegel meldet sich wieder in einer Woche.