Ärzte warnen vor Kollaps des Gesundheitssystems – und legen Rettungsplan vor

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Es war nicht das erste Mal. Auch in den vergangenen Jahren hat die Ärztekammer schon gewarnt, dass das tschechische Gesundheitssystem kollabieren könnte. Nun hat die Kammer aber einen Plan vorgelegt. Doch wie realistisch ist seine Umsetzung?

Milan Kubek  (Foto: Marián Vojtek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die Zahlen sind erst einmal widersprüchlich. Auf der einen Seite sind derzeit einige Tausend tschechische Ärzte in den westlichen EU-Staaten beschäftigt, vor allem in Großbritannien, Deutschland und Österreich. Auf der anderen Seite kommen auch immer mehr ausländische Mediziner nach Tschechien. Milan Kubek ist Präsident der tschechischen Ärztekammer:

„Im Jahr 1993, als Tschechien ein eigener Staat und die Slowaken Ausländer wurden, waren hierzulande insgesamt 449 ausländische Ärzte registriert. Im vergangenen Jahr waren es aber bereits 2557.“

Traditionell kommen die meisten ausländischen Mediziner aus der Slowakei, aber auch einige hundert Ukrainer, Russen und Bürger ehemaliger GUS-Staaten haben in tschechischen Kliniken und Praxen eine Anstellung gefunden. Ärztekammer-Präsident Kubek sagt jedoch, für sie sei Tschechien nicht das Traumziel.

Jean-Claude Lubanda  (Foto: Archiv der Allgemeinen Uniklinik in Prag)
„Wir sind nur eine Durchgangsstation. Sie brauchen erst einmal ein EU-Land mit einer verwandten Sprache, um sich dort als Arzt anerkennen zu lassen. Danach gehen sie wegen der besseren Bezahlung weiter nach Deutschland oder Großbritannien, genau wie unsere Ärzte.“

Es gibt natürlich auch andere Fälle, aber sie sind nicht so zahlreich. Denn häufig ist die Sprache die Hürde. Jean-Claude Lubanda aus dem Kongo hat beispielsweise in Tschechien studiert. Mittlerweile ist er Chefarzt für Kardiologie an der Allgemeinen Uniklinik in Prag.

„Ich hatte das große Glück, dass mir mein Stationsleiter und die anderen Kollegen mit der tschechischen Sprache sehr geholfen haben. Sie haben zum Beispiel meine Berichte verbessert. So konnte ich mich eingliedern.“

Überstunden sind die Regel

Foto: Archiv der tschechischen Ärztekammer
Trotz der ausländischen Doktoren sind rund 800 Ärztestellen an den tschechischen Krankenhäusern nicht besetzt. Aber dies sei gar nicht das Hauptproblem, sagte Ärztekammer-Präsident Kubek in einem längeren Interview für die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks:

„In Wirklichkeit fehlen hierzulande etwa 3000 Ärzte. Denn in den Krankenhäusern wird flächendeckend und systematisch gegen das Arbeitsrecht verstoßen. Die Ärzte sind mit Blick auf ihre Kollegen, die sie nicht im Stich lassen wollen, und mit Blick auf die Patienten gezwungen, mehr Stunden zu arbeiten, als gesetzlich erlaubt ist. Das ist natürlich äußerst riskant, denn ein überarbeiteter Arzt macht leichter Fehler. Praktisch alle Beschäftigten in den Krankenhäusern, auch das Pflegepersonal, arbeiten letztlich über 60 Stunden in der Woche. Das ist zwar Gesetzesbruch, aber wenn sie so nicht verfahren würden, wäre das Gesundheitssystem schon längst zusammengebrochen.“

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Die tschechische Ärztekammer befürchtet, dass dies so nicht weitergehen kann. Deswegen sollten die Uni-Absolventen im Land gehalten werden. Etwa eintausend Mediziner erwerben pro Jahr in Tschechien ihren Doktortitel. Davon gehen laut Ärztekammer regelmäßig 200 direkt ins Ausland, ungefähr genauso viele zieht es in andere Berufe. Rund 600 neue Ärzte im Jahr seien aber zu wenig, um sowohl die Abgänge zu ersetzen, als auch den Gesamtbestand langsam aufzustocken. Jeder vierte praktizierende Arzt in Tschechien ist bereits älter als 60 Jahre. Einzige Möglichkeit ist laut Kubek, dem Nachwuchs eine Perspektive zu bieten.

Komplizierte postgraduale Ausbildung

Rostislav Vyzula  (Foto: Archiv des Abgeordnetenhauses des Parlaments der Tschechischen Republik)
Im Februar hat das Regierungskabinett bereits einer Gesetzesinitiative von Gesundheitsminister Svatopluk Němeček zugestimmt. Der Sozialdemokrat plant, dass Approbation und Facharzttitel schneller erworben werden können. Dies hält beispielsweise auch der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Abgeordnetenhaus, Rostislav Vyzula von der Partei Ano, für einen wichtigen Anreiz:

„Eines der Probleme ist sicher unser postgraduales Ausbildungssystem, also die Weiterbildung nach dem Erwerb des Doktortitels. Die ist so kompliziert und langwierig, vielleicht auch chaotisch, dass unsere Ärzte keine Motivation haben, ihren Facharzt hier bei uns zu machen.“

Auf dieses Problem weist auch die Ärztekammer hin. Allerdings nur als eines von mehreren. Die Kammer hat daher einen Krisenplan ausgearbeitet, mit dem das Gesundheitssystem – so wörtlich – gerettet werden soll. Im Tschechischen Fernsehen fasste Kubek zusammen:

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„Wir müssen natürlich auch die Ausbildung von Ärzten attraktiver gestalten. Das gehört zu den fünf Punkten unseres Plans. Das heißt, die Ausbildung sollte kürzer, dafür aber intensiver und besser sein. Die Ärzte müssen zudem eine klare Perspektive haben, dass ihre Gehälter weiter angehoben werden. Nicht zuletzt muss gewährleistet sein, dass die Krankenversicherungen allen Krankenhäusern für dieselben Leistungen auch dasselbe zahlen. Es darf keinen Protektionismus geben, der das eine Krankenhaus gegenüber einem anderen übervorteilt.“

Ein Fünftel des deutschen Lohns

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Die Hauptforderung ist aber jene nach dem Geld. So soll die Vergütung der Ärzte, aber auch des Pflegepersonals, deutlich erhöht werden. In Tschechien liegen die Einstiegslöhne für Ärzte bei umgerechnet 850 Euro brutto. In deutschen Unikliniken wurde 2013 das Fünffache geboten, nämlich 4200 Euro.

Die Ärztekammer sieht dabei vor allem den Staat in der Pflicht. Ihren Berechnungen nach gibt Tschechien im Vergleich zu wenig aus für das Gesundheitssystem. So gehen in Deutschland elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts in diesen Bereich, in Tschechien sind es aber nur sieben Prozent. Den zusätzlichen Bedarf des Gesundheitssektors beziffert die Kammer mit 30 Milliarden Kronen (1,1 Milliarden Euro).

Svatopluk Němeček  (Foto: OISV,  CC BY-SA 3.0)
In einem offenen Brief hat sich die Ärztekammer mit ihren Forderungen in der vergangenen Woche an die tschechische Regierung gewandt. Dort trifft dies prinzipiell auf großes Verständnis. Gesundheitsminister Němeček reagierte bei einer Pressekonferenz mit folgenden Worten:

„Wir haben uns wiederholt in dieser Legislaturperiode bemüht, die Lage zu verbessern. Und wir haben auch einige sehr wichtige Verbesserungen erreicht. Ich erinnere zum Beispiel daran, dass wir die privaten Zuzahlungen im Gesundheitswesen, die vom Verfassungsgericht gekippt wurden, mit zwei Milliarden Kronen für die Krankenhäuser kompensiert haben. Zudem haben wir die staatlichen Zuzahlungen pro gesetzlich Krankenversichertem durch zusätzliche 1,8 Milliarden Kronen erhöht. Nichtsdestotrotz stimmt es, dass dies kein grundlegender Wandel ist. Und es sendet auch kein deutliches Signal an alle Beschäftigten im Gesundheitswesen, dass sich etwas bei ihrer Entlohnung zum Besseren ändert.“

Bohuslav Sobotka  (Foto: Khalil Baalbaki,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Premier Bohuslav Sobotka (Sozialdemokraten) hat mittlerweile Gespräche angeboten. Ihm bleibt auch nichts anderes übrig. Denn alle haben noch die Ärztestreiks früherer Jahre in Erinnerung, auch gegen die hart sparende Regierung von Petr Nečas konnten sich die Mediziner durchsetzen. Doch die Gretchenfrage bleibt, woher die nötigen Finanzen kommen sollen, um die Löhne im Gesundheitswesen angemessen zu erhöhen.

Der Vorschlag der Ärztekammer lautet: eine Gesundheitssteuer auf Tabak und Alkohol. Allerdings: Die Gegenlobby dürfte äußerst stark sein. Nicht umsonst beißen sich seit Jahren die Gesundheitsminister die Zähne daran aus, auch hierzulande ein Rauchverbot in Restaurants durchzusetzen.