„Ahoj Leipzig“: zu Gast auf Buchmesse
In diesem Jahr wird hierzulande mehr als sonst über die Leipziger Buchmesse gesprochen. Denn Tschechien ist Gastland bei dem Frühjahrsereignis, zu dem Autoren, Leser und Verleger aus aller Welt in der sächsischen Stadt zusammentreffen. Ein Der Koordinator des Gastauftritts, Martin Krafl, im Interview.
„Ahoj Leipzig“ heißt das Motto Tschechiens bei der Leipziger Buchmesse, das ja in diesem Jahr Gastland ist auf der Schau. Herr Krafl, wie spiegelt sich das im Programm wider? Insgesamt wurden rund 130 tschechische Veranstaltungen vorbereitet, das ist eine sehr große Zahl…
„Das hängt auch damit zusammen, dass der Tschechischen Republik etwas Unglaubliches gelungen ist, und zwar, dass wir momentan auf dem deutschsprachigen Buchmarkt 70 neue Übersetzungen haben. Die meisten davon möchten wir in Leipzig vorstellen. 130 Veranstaltungen in vier Tagen, das ist natürlich sehr viel. Der Gastauftritt auf der Buchmesse ist aber nur ein Höhepunkt des Tschechischen Jahres in Sachsen und in den deutschsprachigen Ländern. Falls die Leserinnen und Leser es jetzt nicht nach Leipzig schaffen, dann bieten wir ihnen von März bis Dezember unter dem Schlagwort ‚Echo Leipzig 2019‘ noch sehr viele Lesungen mit den Autoren.“
„Wir haben momentan 70 neue Übersetzungen auf dem deutschsprachigen Buchmarkt.“
Hat das Gastlandprogramm ein Schwerpunktthema, einen roten Faden, der die Veranstaltungen durchzieht?
„Auf jeden Fall ‚30 Jahre danach‘. Wir gedenken in diesem Jahr der Wende in Mittel- und Osteuropa vor 30 Jahren. Wir möchten uns aber nicht nur an diese Zeit erinnern, nicht nur historische Fakten vorlegen, sondern eher zeigen, was in der damaligen Tschechoslowakei und später in der Tschechischen Republik danach passiert hat.“
Ist die Wende von 1989 etwa auch in den literarischen Werken der Gegenwart ein Thema?„Natürlich. Direkt nach der Revolution hatten die Schriftsteller vielleicht noch nicht den Mut, darüber zu schreiben, oder hatten keinen Abstand zu diesen Ereignissen. Damals fand sich die Literatur in der Tschechoslowakei einer ganz neuen Situation. Vorher war sehr viel geschrieben worden mit dem Gedanken, dass der Leser oder die Leserin viel zwischen den Zeilen findet, und nach 1989 war auf einmal alles erlaubt. Die Freiheit war da. Ich finde, in der jetzigen Generation gibt es sehr starke Autorinnen und Autoren, die Themen bearbeiten, die für ihre Eltern noch verboten waren.“
„Die Lesungen wecken gerade jetzt immer mehr Interesse. Man möchte sehen, dass der Autor keine Fiktion ist, sondern tatsächlich lebt.“
Sie haben mal in einem Interview gesagt, dass klassische Lesungen, bei denen der Autor am Tisch sitzt, Wasser trinkt und aus seinem Buch liest, kaum noch gewünscht sind. Wodurch wollen Sie also die Literaturveranstaltungen auf der Buchmesse attraktiv machen?
„Das habe ich tatsächlich gesagt, und es gilt so. Buchmessen sind aber eine Ausnahme. Dort sind Leserinnen und Leser, die wirklich den Kontakt mit den Autoren suchen. Ich meine aber, dass die Lesungen gerade jetzt immer mehr Interesse wecken. Es gibt so viele Texte, die man online findet und als Audio-Bücher herunterladen kann. Das führt dazu, dass man den Autoren live erleben möchte. Man möchte sehen, dass der Autor keine Fiktion ist, sondern tatsächlich lebt. Wir bieten in Leipzig auch szenische Lesungen. Wir finden, dass unsere Schriftstellerinnen und Schriftsteller sehr viel zu sagen haben. Sie schrieben nicht nur, sondern sind auch starke Persönlichkeiten. Deshalb findet man unsere Autoren und Autorinnen im Rahmen des Festivals ‚Leipzig liest‘ an verschiedenen Orten in der Stadt. Da wird auch mehr diskutiert.
Also Debatten in der Stadt und die eigentlichen Lesungen auf der Buchmesse…„Dort stellen wir am Nationalstand die Neuerscheinungen vor. Als erstes Gastland haben wir auf der Buchmesse sogar drei Stände. Neben dem Nationalstand noch die Welcome-Lounge mit der der Skulptur Quo vadis von David Černý, also einen Trabi auf Beinen. Und dann haben wir auch ein Kinderforum in der Halle 2, eine Bühne für Kinder, Jugend und für Comics. Dort bieten wir zudem interaktive Veranstaltungen an.“
Nach der Buchmesse wird man sicher darüber diskutieren, ob der Gastauftritt denn etwas Positives gebracht habe. Schon im Voraus kann man zweifelsohne sagen, dass die zahlreichen Übersetzungen tschechischer Bücher ins Deutsche dazu gehören. Wie schwer war es eigentlich, deutschsprachige Verlage zu überzeugen, dass sie tschechische Literatur herausgeben sollen?
„Tschechien hat als erstes Gastland auf der Buchmesse sogar drei Stände.“
„Leicht war es nicht. Aber die Mährische Nationalbibliothek, die das ganze Projekt durchführt, hatte sehr gute Partner dabei. Das Kulturministerium und der Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds haben den Verlegern großzügig 70 Prozent der Kosten angeboten, wenn das Buch im Jahr 2019 erscheint. Bei den Debatten mit den Verlegern habe ich festgestellt, dass das Geld nicht das Entscheidende ist. Da gibt es auch andere Faktoren, die eine Rolle spielen. Zum Beispiel ist ein neuer Schriftsteller, der zwar gut schreibt, aber sehr introvertiert ist und nicht bereit, sein Buch zu vermarkten, nicht mehr gefragt. In der heutigen Welt braucht man jemanden, der bereit ist, auf etwas auf Facebook zu posten, auf eine Lesereise zu fahren, die Leser zu treffen, in einer TV-Sendung aufzutreten. Das ist das erste. Und zweitens entscheidet die Sprache. Man muss daran denken, dass jedes Buch übersetzt werden muss. Da hat sich gezeigt, dass ein optimaler Umfang des Buches 150 Seiten sind.“
Nach Leipzig kommen 55 Autoren und Autorinnen aus Tschechien…„Erstens sind das die, die schon eine Übersetzung hatten. Zweitens diejenigen, bei denen klar war, dass dank der Unterstützung aus den Förderprogrammen eine Übersetzung entsteht und auf der Leipziger Buchmesse angeboten wird. Und drittens diejenigen, bei denen man ein Potential spürte. Das sind Autoren, die wir als Tschechen ausgewählt haben, die wir vorstellen wollen. Bei denen wir schlicht gespürt haben, dass sie eine gute Literatur schreiben.“
Die Leipziger Buchmesse wendet sich an das deutschsprachige Lesepublikum. Mit welchen Argumenten überzeugen Sie die Öffentlichkeit in den deutschsprachigen Ländern, dass die tschechische Literatur für sie interessant sein kann?
„Ein Schriftsteller, der zwar gut schreibt, aber sehr introvertiert ist und nicht bereit, sein Buch zu vermarkten, nicht mehr gefragt.“
„Ich sage sehr oft, dass die tschechische Literatur spannend ist, und dass die Themen, die man in der tschechischen Literatur findet, ganz aktuell sind. Denn wir leben ja in derselben Welt, wir sind uns sehr nah, aber manchmal trotzdem sehr fern. Etwa in Deutschland höre ich oft bei Veranstaltungen: ‚Oh, das war spannend, wir waren schon so lange nicht in Tschechien, wir müssen wieder mal nach Prag oder Brno‘. Ich finde es schade. Denn wir haben in der jetzigen globalisierten Welt und speziell in Europa die Nachbarschaft ein bisschen vernachlässigt. Deshalb empfehle ich diese Bücher. Ich sage, da werden Sie erstens merken, dass es uns genauso geht wie euch, und zweitens Sie werden sehen, wie spannend die tschechische Geschichte ist und wie flexibel die Tschechen sind. Was total reizend für die deutschsprachigen Leserinnen und Leser sein kann, das ist die Welt der Phantasie in der tschechischen Literatur, das sind die tschechischen Comics und Graphic-Novels. Und ich finde, wir haben eine sehr starke Generation von Autoren der Literatur für Kinder und Jugendliche. Und sonst sage ich noch, dass man in diesen Büchern Themen entdeckt, die zu einem Dialog führen können. Und darum geht es.“