Alice Masaryková: Lernen wir die Nachbarn zu achten
„Das Rote Kreuz ist auf dem Schlachtfeld geboren. Amputationen ohne Narkose, einzelne Verwundete ohne Hilfe, Sterbende weit weg von zu Hause, ohne freundliche Worte. Es war damals gewagt das Schlagwort zu prägen: Inter arma caritas. Hilfe dem verwundeten Feinde. Es war zwar gewagt, aber es ist gelungen: Unter dem Zeichen des Roten Kreuzes. Das Kreuz bedeutet Gesetzmäßigkeit, das Rote steht für Leben.“
Eine Aufnahme aus dem Jahr 1936. Es spricht Alice Masaryková, die Tochter des ersten tschechoslowakischen Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk. Sie hält eine Radioansprache über das Rote Kreuz, dessen Idee sie in der jungen Tschechoslowakei vor allem verbreiten wollte.
„So wie der Arzt heute nicht nur die klinischen Fälle kurieren will, sondern ihnen durch Hygiene vorzubeugen versucht, so fragen wir uns beim Roten Kreuz nicht nur, wie wir während des Krieges den Verwundeten und den Flüchtligen helfen, sondern auch: Wie könnten wir die Jugend von Europa und der Welt so erziehen, dass sie nicht in chaotische und überflüssige Kriege gerät.“
Erziehen, das war ihr Hauptanliegen. Eine bessere Welt werde man erst dann erreichen, wenn darin bessere Menschen leben werden. Eine Überzeugung, die durch die tragischen Ereignisse des Ersten Weltkrieges gefestigt wurde. Und noch mehr durch die nationalen Spannungen der 1930er Jahre. Verständigung, Kennen lernen, das sind auch ihre Hauptthemen.
„Und ebenso wollen wir, dass die anderen Nationen lernen, besonders die Nachbarn zu verstehen, zu achten und zu lieben. Die tschechischen Kinder sind im schriftlichen Verkehr mit den deutschen. Sie lernen die alten Gebräuche der verschiedenen Regionen kennen, in denen so viel Gemütsleben erhalten ist. Und sie lernen, wie nahe uns die weite Welt kommt, wenn bei uns im deutschen Dorfe ein Brief von einem kleinen Eskimo kommt, in dem er erzählt, wie er im Juni Eishockey spielt, und in dem er die Fotografie seiner Lieblinge, der Rentiere, vorstellt.“
Alice Masaryková studierte Philosophie, Geschichte und Soziologie in Prag, Leipzig und Berlin. Für eine Frau war das damals gar nicht so üblich. Seit 1920 leitete sie das Tschechoslowakische Rote Kreuz und kämpfte das ganze Leben lang für den Weltfrieden. Unter ihrem Vorsitz organisierte das Tschechoslowakische Rote Kreuz jedes Jahr den so genannten „Osterfrieden“.
„Durch den Frieden des Roten Kreuzes, der immer am Ostersamstag proklamiert wird, wünschen wir wenigstens für drei Tage im Jahre die Atmosphäre des völligen Friedens in die Familie und Gemeinde zu bringen.“
Sie hörten Alice Masaryková aus unserem Tonarchiv, die Wegbereiterin der tschechischen humanitären Bewegung.