Als Kanonen die Revolution zerschossen – das Jahr 1848 in Böhmen
Das europäische Jahr der Revolution, so wird 1848 auch bezeichnet. Frankreich, Italien, Deutschland und auch die Donau-Monarchie, überall gingen die Menschen auf die Barrikaden. In den böhmischen Ländern gipfelte die Bewegung im Prager Juni-Aufstand. Till Janzer hat sich mit Milan Hlavačka vom Historischen Institut der tschechischen Akademie der Wissenschaften über das Jahr 1848 auf dem heutigen Staatsgebiet der Tschechischen Republik unterhalten. Wir beleuchten in diesem „Kapitel aus der tschechischen Geschichte“ ein weiteres Achter-Schicksalsjahr des Landes.
„Hierzulande war die Situation nicht durch liberale Gedanken vorbreitet. Es gab nur eine kleine Schicht an Menschen, die wussten, was man sich beispielsweise unter Pressefreiheit vorzustellen hatte. Das war die Gruppe der ´Repealisten´. Sie waren anfangs auch gar nicht revolutionär, sondern hatten altmodische Vorstellungen. Sie wollten eine Petition an den Kaiser schreiben und über ihre Wünsche sollte dieser dann entscheiden.“
Der „Repeal-Club“, dessen Namen auf die Freiheitsbewegung der Iren zurückgeht, ließ Plakate aufhängen und rief die Prager Bürger zu einer geheimen Sitzung zusammen. So entstand eine liberale Bewegung.
„Diese Bewegung entsteht in der Kneipe oder in der Gaststätte in Böhmen – in der St.-Wenzelsbad-Gaststätte, weil es dort einen großen Saal gab. Die Prager Bevölkerung kam dort am Abend des 11. März 1848 zusammen, um die erste Prager Petition zusammenzustellen“, so Hlavačka.Insgesamt 3000 Menschen finden sich im St. Wenzelsbad ein, eine bunte Mischung aus bürgerlichen Tschechen und Deutschen. Den Vorsitz führt Pravoslav Trojan.
„Trojan war damals Mitglied des Prager ´Vereins zur Ermunterung des Gewerbegeistes in Böhmen´. Er hatte in der Hand ein Papier, auf dem etwa acht Wünsche oder Forderungen standen. Diese wurden spontan vorgelesen und dann wurde abgestimmt. Es waren die Förderung des Tschechischen, die Sprache sollte auch auf Ämtern, an den Mittelschulen und den Universitäten benützt werden können. Dazu kamen liberale Wünsche wie Pressefreiheit, Versammlungsrecht. Außerdem gab es die staatsrechtliche Forderung nach einer Art Selbstständigkeit des Königreiches Böhmen innerhalb der Habsburger Monarchie sowie die liberale wirtschaftliche Vorstellung von der Abschaffung der Nahrungsmittelsteuer in Prag.“
Und wie reagiert Kaiser Franz Ferdinand I. auf die Forderungen?
„Die erste wie auch eine spätere zweite Petition werden positiv beantwortet. Er hat alles akzeptiert und sogar Wahlen zum neuen böhmischen Landtag angeordnet. Nur die neue Zusammensetzung von Böhmen, Mähren und Schlesien wurde nicht erfüllt. Das war für den Kaiser - aber nicht für ihn - nicht akzeptabel. Widerstand gab es auch von den Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien sowie vom mährischen und schlesischen Landtag. Der Prager Wunsch war zu brisant und wurde abgelehnt.“
In manchen Teilen Deutschlands ist man deutlich radikaler als in Böhmen, beispielsweise in Baden mit Friedrich Hecker und Gustav Struve. Vor allem aber denkt man großdeutsch und daher kommt die Aufforderung an Böhmen, sich an den Wahlen in die Frankfurter Nationalversammlung zu beteiligen.
„In Prag hat das schwere Folgen. Hier gibt es zuerst gemeinsame Vereine, wie ´Eintracht´, doch die Eintracht spaltet sich in die deutsche Eintracht und die tschechische ´Svornost´. Aus dem Wenzelsbader Ausschuss, der sich Nationalausschuss nennt, treten die Deutschen im April aus“, berichtet der Historiker Milan Hlavačka.
In die Frankfurter Paulskirche werden 61 deutsche Abgeordnete aus Böhmen entsandt. Gemäß einer Volkszählung standen damals vier Millionen Tschechen insgesamt 2,6 Millionen Deutschen in den drei Kronländern Böhmen, Mähren und Schlesien gegenüber. Allerdings, wie Milan Hlavačka hervorhebt, will sich die Mehrheit dieser mehr 6,6 Millionen Menschen auch Jahrzehnte später noch nicht zu einer der nationalen Gruppen zuordnen. Nichtsdestotrotz ruft František Palacký, der Wortführer der nationaltschechischen Kreise, zu einem panslawischen Kongress auf. Im Juni 1848 findet der Kongress in Prag statt. War es aber wirklich eine Gegenversammlung zur Paulskirche, wie häufig behauptet wird? Professor Hlavačka verneint.
„Die politische Bedeutung des Slawenkongresses ist eher gering. Es gibt nur ein Dokument, ein Aufruf an die europäischen Nationen. Dort wird gesagt, dass auch die Slawen politisch gereift sind. Es geht darum, dass die Habsburger Monarchie umgestaltet wird und dabei nationale und slawische Wünsche stärker beachtet werden. Meiner Meinung nach wird der Slawenkongress in der tschechischen Historiografie in seiner Bedeutung höher eingeschätzt, als es eigentlich war.“Doch am Rand des Slawenkongresses kommt es zu den Vorfällen, die als Prager Juni-Aufstand in die Geschichte eingehen. Während der Slawenkongress ausdrücklich keinen tschechischen Nationalstaat fordert, sondern nur mehr Autonomierechte, die aber der österreichische Kaiser Franz Ferdinand I. dennoch strikt ablehnte, schließen sich einige Radikale zusammen. Sie wollen eine Unabhängigkeit der slawischen Länder und veranstalten auf dem Prager Rossmarkt eine Demonstration. Dem Zug schließen sich auch aufgebrachte arbeitslose Textilhandwerker und Arbeiter an. Doch dann eskaliert die Lage. Der Stadtkommandant von Prag, Fürst Albrecht zu Windisch-Grätz, beordert Militär und dieses eröffnet das Feuer auf die Demonstranten. Es kommt zu tagelangen Gefechten, bei denen die Ehefrau von Windisch-Grätz von einem Querschläger tödlich getroffen. Nun lässt der Stadtkommandant sogar Kanonen auffahren. Am 17. Juni 1848 müssen die Aufständischen bedingungslos kapitulieren. Eine Niederlage, die laut Milan Hlavačka die ganze Revolutionsbewegung in die Knie zwingt.
„Es ist eine kritische Zeit, die Wahlen zum böhmischen Landtag waren vorbereitet. Nach diesem Aufstand verschwindet aber die liberale Basis. Auf einmal ist man wieder beim Stand null wie zum Anfang der Revolution und es bleibt nichts anderes, als in den Reichstag nach Wien zu gehen und dort tätig zu sein. Dort werden aber auch große Fortschritte erzielt wie die Aufhebung der Leibuntertänigkeit, das ist für Böhmen, Mähren und Schlesien eine soziale Revolution – auf einmal sind die Bauern frei und haben das Recht auf eigenes Eigentum. Zudem entsteht nach der Revolution eine liberale kapitalistische Gesellschaft unter den wirtschaftlichen Bedingungen. Alles geht Volldampf in Richtung der Anpassung an Deutschland oder Europa. Es geht darum, konkurrenzfähig zu sein. Des Weiteren entsteht ein neues Bildungssystem mit eigenständigen philosophischen Fakultäten und achtjährigen Gymnasien. Und es entsteht das bürokratische Verwaltungssystem, das wir bis heute hier haben. Auch das ist ein Erbe der Revolution.“Damit wurde eine moderne Modernisierung des Staates gestartet.
„Es handelt sich nicht um eine Revolution von unten, sondern von oben. Diese ´weißen Revolutionäre´ wie Bach wollen die politischen Forderungen der Revolution bis zu Ende bringen. Und in den Bereichen der Wirtschaftspolitik sind sie auch wirklich erfolgreich.“