Altes Klima in neuen Verhältnissen: Tschechen und Slowaken nach den Wahlen

Vladimir Meciar, Robert Fico und Jan Slota (Foto: CTK)

Anfang Juni wurde in Tschechien ein neues Abgeordnetenhaus gewählt, zwei Wochen später in der Slowakei. Innerhalb kürzester Zeit wurden dabei die politischen Vorzeichen der bilateralen Beziehungen nahezu auf den Kopf gestellt: In der slowakischen Hauptstadt Bratislava hat der neue sozialdemokratische Premierminister Robert Fico seinen konservativen Vorgänger Mikulas Dzurinda bereits abgelöst. In Prag wiederum ziehen sich die Verhandlungen in die Länge, der Sozialdemokrat Jiri Paroubek ist nach wie vor Regierungschef. Die meisten Stimmen aber hatte die oppositionelle Demokratische Bürgerpartei (ODS) bekommen. Trotz alldem: Das brüderliche Verhältnis zwischen den beiden Nachfolgestaaten der ehemaligen Tschechoslowakei scheint sich derzeit durch nichts und niemanden stören zu lassen.

Als der neue slowakische Premierminister Robert Fico vor wenigen Wochen sein Regierungsteam vorstellte, wurden in Europa die Nasen gerümpft. Vor allem die Koalitionspartner der sozialdemokratischen Fico-Partei SMER-SD lösten Befremden aus. Zum einen ist da Ex-Premier und Ex-Boxer Vladimir Meciar, der sich mit seinem autokratischen Führungsstil einst sowohl bei den europäischen als auch bei den transatlantischen Partnern unbeliebt gemacht und das Land vorübergehend in die Isolation manövriert hatte. Zum anderen hat Fico die Slowakische Nationalpartei von Jan Slota ins Boot geholt, eine Gruppierung am rechten Rand des politischen Spektrums. Slota hat bereits des Öfteren mit nationalistischen Tönen Aufsehen erregt. Am berühmtesten ist wohl seine Ungarn-Phobie: Er wolle mit Panzern nach Budapest fahren und die Stadt dem Erdboden gleich machen, sagte er einmal Ende der neunziger Jahre.

Zwar sind weder Meciar noch Slota direkt im Kabinett vertreten, dennoch hat sich Regierungschef Fico mit der Auswahl seiner Koalitionspartner international wenig Freunde gemacht. Die Sozialdemokratische Partei Europas hat inzwischen sogar die Mitgliedschaft der Fico-Partei ruhend gestellt.

Vladimir Meciar,  Robert Fico und Jan Slota  (Foto: CTK)
Der tschechische Regierungschef Jiri Paroubek, ebenfalls Sozialdemokrat, will Fico aber eine Chance geben und nahm ihn offen gegen die EU-Schwesterparteien in Schutz. Dazu Robert Schuster, freier Mitarbeiter von Radio Prag und Politologe am Institut für Internationale Beziehungen:

"Jiri Paroubek hatte sich kurz vor den tschechischen Wahlen plötzlich ebenfalls beklagt, dass er vonseiten der europäischen Sozialdemokraten, von Spitzenpolitikern wie Tony Blair usw., in den letzten und entscheidenden Tagen nicht ausreichend unterstützt wurde. Angeblich hing das damit zusammen, dass Paroubek sich nicht klar von einer möglichen Zusammenarbeit mit den Kommunisten nach den Wahlen distanziert hat."

Vaclav Klaus
Es könnte also eine Art Solidarisierungs-Effekt bei Paroubek eingesetzt haben, meint Schuster. Doch auch für den konservativen Staatspräsidenten Vaclav Klaus ist Robert Fico keine Persona non grata. Robert Schuster erinnert in diesem Zusammenhang an die Sanktionen der EU-Mitgliedstaaten gegen Österreich im Jahr 2000. Damals hatte der Christdemokrat Wolfgang Schüssel eine Regierung mit der als nationalistisch geltenden Freiheitlichen Partei von Jörg Haider gebildet und sich den Unwillen sowie Sanktionen der EU-Partner eingehandelt. Tschechien war zu dieser Zeit erst Beitrittskandidat, trug die Sanktionen aber im Wesentlichen mit. Mit einer Ausnahme:

"Vaclav Klaus war damals als Parlamentspräsident der einzige hochrangige tschechische Politiker, der diese Vorgehensweise abgelehnt hat. Er fuhr demonstrativ mehrmals nach Österreich und hielt dort Vorträge, auf denen er gegen die Sanktionen wetterte - natürlich auch verbunden mit seiner allgemeinen Europakritik. Wenn Klaus jetzt in Bezug auf Fico und dessen Regierungspartner gleich reagiert wie damals Richtung Österreich, also Richtung Schüssel und der Regierungsbeteiligung der FPÖ, dann ist das eigentlich nur konsequent. Es zeigt, dass Klaus eine gewisse politische Linie verfolgt - egal ob es sich um eine weltanschaulich nähere, also eine bürgerliche Regierung handelt, wie im Falle Österreichs, oder um eine linke Regierung, wie im Fall des Kabinetts Fico."


Vor etwa einer Woche, kurz nachdem seine Regierung die Amtsgeschäfte übernommen hatte, besuchte Robert Fico Prag. In Zeiten der internationalen Aufregung rund um seine Person wurde der freundliche Empfang, den man ihm in der tschechischen Hauptstadt bereitete, von vielen Medien mit Aufmerksamkeit registriert. Dahinter steckt aber ein guter Teil nachbarschaftlicher Normalität, die sich auch durch rasante Führungswechsel nicht wirklich erschüttern lässt.

Der Journalist Petr Gabal kommt ursprünglich aus der Slowakei, lebt aber seit vielen Jahren in Prag und arbeitet derzeit beim Tschechischen Rundfunk. Dass in den tschechisch-slowakischen Beziehungen Business as usual gemacht wird, hat ihn nicht wirklich überrascht:

"Es ist Tradition, dass slowakische Politiker ihren ersten Staatsbesuch in der Tschechischen Republik absolvieren. Seit der Trennung der beiden Staaten haben sich die politischen Beziehungen und auch das Verhältnis zwischen beiden Völkern eindeutig verbessert, unabhängig von diversen Regierungswechseln. Je größer nun die Probleme sein werden, die der neue slowakische Premierminister Fico mit seinem Image in anderen Ländern hat, umso mehr wird die slowakische Regierung in Tschechien eine Stütze suchen - selbst dann, wenn nun in Prag ein rechtsgerichtetes Kabinett antreten sollte. Egal welche Regierung in Tschechien gerade am Ruder ist: Auch wenn sie eine gewisse Distanz zur Regierung in der Slowakei haben sollte, würde sie sich niemals erlauben, die Slowakei ernsthaft zu isolieren. Im Gegenteil: Wahrscheinlich würde sie eher versuchen, als Vermittler aufzutreten."

Jiri Paroubek  (Foto: CTK)
Was konkrete politische Inhalte angeht, so blieben nach Ficos Besuch in Prag vor allem zwei Vorhaben im Raum stehen: Erstens soll die alte Marke "Tschechoslowakei" wenigstens in wirtschaftlicher Hinsicht wieder belebt werden. "Made in Czechoslovakia" - vor allem in Nordafrika und Lateinamerika sei dieses Herkunftssiegel immer noch ein Begriff, sagte Jiri Paroubek. Und auch sprachlich sollen die beiden Länder aneinander angenähert werden: Vermehrte Präsenz der tschechischen Sprache im Slowakischen Rundfunk und umgekehrt, so das Konzept, das an die Zeit des gemeinsamen föderalen Staates erinnert. Petr Gabal, tschechischer Journalist slowakischer Herkunft:

"In der tschechischen Presse wird jetzt öfter über eine Renaissance von Marken aus früheren Zeiten geschrieben. Vielleicht steckt da eine gewisse Marketing-Idee dahinter, wenn man zu den 'guten alten Zeiten' und zu manch erprobten Begriffen zurückkehrt. Ich glaube aber, dass die Menschen in beiden Ländern die Teilung längst akzeptiert haben. Ganz nach dem Motto: Wir führen zwar jeweils unser eigenes Leben, aber wir können Freunde sein. Meiner Meinung nach werden daher auch die Versuche, das Slowakische im tschechischen Äther - und umgekehrt - wieder vermehrt durchzusetzen, nicht besonders erfolgreich sein."

Geschwister, so könnte man schlussfolgern, haben meist ohnehin das Bedürfnis, sich gut zu vertragen - auch wenn ihre Interessen sehr unterschiedlich sein sollten. Nur Druck von oben soll es dabei, bitteschön, keinen geben.