Anknüpfen an die tschechisch-deutsche Vergangenheit: Das Collegium Bohemicum in Usti
Die Geschichte des Zusammenlebens von Tschechen und Deutschen in den böhmischen Ländern zu erforschen und einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen - das ist das Ziel des noch jungen Collegium Bohemicum in der nordböhmischen Stadt Usti nad Labem / Aussig. Über die Vergangenheit und die konkreten Zukunftspläne des Collegium Bohemicum haben wir mit der neuen Direktorin Blanka Mouralova gesprochen.
"Als Projekt, als Idee, als Marke existiert das Collegium Bohemicum etwa seit dem Jahr 2004. Damals gab es die Idee, aus dem Stadtmuseum von Usti ein modernes und interaktives Zentrum zum Thema 'Geschichte der Deutschen in den böhmischen Ländern' zu machen. Im diesem Rahmen wurden bereits drei wichtige Konferenzen organisiert. Das war auf tschechischer Seite eine der ersten Initiativen überhaupt, die sich mit diesem Teil der tschechischen Geschichte auseinandergesetzt hat. Ich war damals in Deutschland und konnte beobachten, dass das auch dort so wahrgenommen wurde. Man hat nicht auf einen Anstoß aus dem Ausland, aus Deutschland oder Österreich gewartet, sondern diese Initiative als etwas gesehen, was in Usti regional verankert ist. Die Stadt war ja bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs mehrheitlich deutsch, und die Blütezeit der Stadt ist in erster Linie mit der Geschichte der deutschen Unternehmerfamilien verbunden. An diese Geschichte wollte man anknüpfen. Wenn man sich jetzt mit der Stadt identifizieren möchte, wenn man die Stadt, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und durch die Industrie in den Jahrzehnten danach stark zerstört wurde, nun wieder aufbauen will, dann macht das eigentlich nur Sinn, wenn man an die schöneren Zeiten anknüpft. Und die sind in Usti eben auch mit der Präsenz der Deutschen verbunden."
Auch im geografischen Sinn bietet sich Usti wohl an. Die nächste größere Stadt ist Dresden."Genau. Die geografische Lage ist sehr günstig für so ein Projekt. Usti liegt auf der Achse zwischen Prag und Dresden, die dann weiter nach Berlin führt. Nach Dresden sind es vierzig Minuten mit dem Auto, oder eine knappe Stunde mit dem Zug. Ich freue mich also auch sehr auf die Zusammenarbeit mit unseren deutschen Partnern, darauf, dass wir die Achse zwischen Usti und Dresden weiter aufbauen und verschiedene Projekte und Kooperationen organisieren werden. Usti hat außerdem noch eine aktive Partnerschaft mit Chemnitz, also auch dort gibt es Möglichkeiten."
Sie haben schon anklingen lassen, worum es dem Collegium Bohemicum und Ihnen persönlich geht: nämlich darum, die tschechisch-deutsche Geschichte in diesem Raum aufzuarbeiten und zu präsentieren. Wie wollen Sie das machen? Welche konkreten Projekte sind fürs erste geplant?
"Ich möchte einerseits eine Institution aufbauen, die - wie schon gesagt - das Wissen über die Geschichte der Deutschen in Böhmen und über das deutsch-tschechische Zusammenleben vertieft. Wir wollen also auf jeden Fall die Forschung unterstützen. So bald wie möglich, hoffentlich ab Herbst 2008, möchten wir Stipendien an junge Wissenschaftler vergeben, die einzelne Themen aus diesem Bereich bearbeiten. Gleichzeitig wollen wir dieses Wissen aber auch nach außen tragen. Wir wollen mit der Öffentlichkeit kommunizieren, um die Diskussion über diesen Teil der tschechischen Geschichte hier in Tschechien anzustoßen - durch Medien, durch Präsentationen und durch einen engen Kontakt zur Universität in Usti sowie zu anderen Forschungsstellen in Tschechien. Aber auch Leute aus dem deutschsprachigen Ausland möchten wir zu uns einladen, damit sowohl Forschung als auch Präsentation bilateral sind."
Am Anfang haben Sie erwähnt, dass Sie die letzten Jahre in Deutschland verbracht haben. Das ist deshalb so, weil Sie Direktorin des Tschechischen Zentrums in Berlin waren. Jetzt sind Sie wieder in zurück in Tschechien, sprechen vielleicht wieder mehr mit Ihren tschechischen Landsleuten und können die Atmosphäre hierzulande besser wahrnehmen. Nun beschäftigen Sie sich ja schon seit langer Zeit mit den tschechisch-deutschen Beziehungen. Konnten Sie nach Ihrer Rückkehr aus Berlin irgendwelche Änderungen bemerken? Gab es in den Köpfen der Tschechen bestimmte Entwicklungen, was die Sicht auf Deutschland betrifft?"In Tschechien hat sich das bestätigt, was ich schon in Deutschland beobachten konnte: Es gibt viele einzelne Initiativen, die sich mit der deutsch-tschechischen Geschichte, dem deutsch-tschechischen Zusammenleben beschäftigen, und es gibt viele Leute, die sehr offen sind und sich sehr für dieses Thema interessieren. Aber oft sind die entsprechenden Projekte und Initiativen nicht besonders präsent - auch in den Medien nicht. Die breite Öffentlichkeit, die sich nicht direkt mit der Thematik beschäftigt, hat vielleicht keine Ahnung davon, wie viele Projekte es hier eigentlich gibt. Auch darin sehe ich die Rolle des Collegium Bohemicum: Wenn wir es schaffen, für diese Projekte unterstützend zu wirken, die Ergebnisse mit größerer Kraft nach außen zu tragen und dabei auch mit dem Ausland zu kommunizieren, dann kann man vielleicht plötzlich sehen: es gibt hier schon eine dicke Grundlage. Wir versuchen dazu beizutragen, dass diese auch sichtbarer wird und die Meinung der breiten Öffentlichkeit beeinflusst - im positiven Sinne."