Anwalt Braun: Neues BGB ist moderne Rechtsordnung mit unnötigen Fehlern
Zum Beginn des neuen Jahres 2014 kommt es in Tschechien zu einigen Neuerungen, speziell in der hiesigen Gesetzgebung. Die dabei markanteste Veränderung ist fraglos das neue Bürgerliche Gesetzbuch, das hierzulande mit dem 1. Januar in Kraft tritt. Zu den wesentlichen Modifikationen, die im BGB die Wirtschaft betreffen, hat Radio Prag mit dem deutschen Wirtschaftsjuristen Arthur Braun, der in Prag eine deutsch-tschechische Anwaltskanzlei führt, gesprochen.
„Es war absolut notwendig, denn das alte BGB stammt noch aus den 1960er Jahren. Man hat zwar 1990 auf die Schnelle ein neues Handelsrecht zusammengebastelt, aber das hat in vielen Bereichen nicht mit dem BGB übereingestimmt. Man hat auch im Rahmen der Europarechtsanpassung nicht wenige Novellen gemacht, aber in den meisten Bereichen passte es nicht mehr. Man musste einfach ein modernes Gesetzbuch machen, und man hat über zehn Jahre lang daran gearbeitet. Ihre Frage würde ich daher so beantworten: Ja, es war notwendig, in der Praxis des Gesetzgebungsverfahrens kann man indes hinterfragen, ob alles optimal gelöst wurde.“
Man spricht ja jetzt über neue Konzepte im Zivilrecht, zum Beispiel über eine größere Vertragsfreiheit. Hier spielt vor allem der Schutz der schwächeren Partei eine Rolle. Was können Sie dazu sagen?„In punkto Vertragsfreiheit ist es ganz wichtig, dass in Zukunft nicht mehr ein Richter versucht zu entscheiden, was die Parteien möglicherweise gedacht haben. Die Praxis bis jetzt ist leider so, dass viele Richter die Verträge anders auslegen, als die Parteien damals gedacht haben. Insofern wird die größte Vertragsfreiheit noch einmal ausdrücklich festgeschrieben. Der Schutz des Schwächeren heißt aber umgekehrt auch, dass man nicht nur als Verbraucher, sondern auch als Kleinunternehmer nun einen adäquaten Schutzanspruch hat, um nicht allzu sehr von den Großen an die Wand gedrückt zu werden. Das ist ein Konzept, das in allen modernen Zivilrechtsreformen gilt, im tschechischen Recht aber bisher nicht ausdrücklich festgelegt war.“
Könnten Sie vielleicht an einem Beispiel ausführen, wie das jetzt geregelt werden soll?„Ich möchte das am Franchaise erklären. In einem Franchaise-Vertrag kann man sehr weitgehende Verpflichtungen nach wie vor auferlegen. Aber in Zukunft kann sich der Franchaise-Nehmer darauf berufen, dass Überraschungsklausen nicht für ihn gelten. Wenn er beispielsweise im Restaurant Franchaise betreibt und in dem Vertrag steht im Kleingedruckten, dass die Buchhaltung in Zukunft auch von dem Franchaise-Geber – von einer ausländischen oder großen tschechischen Firma – durchgeführt wird, bedeutet dies: Das ist eine Überraschungsklausel und die ist unwirksam. Darin erkennt man das Konzept: Im Grundsatz besteht eine hohe Vertragsfreiheit, aber wenn jemand keine Wahl hat, sondern ein vorgegebenes Muster zu unterschreiben hat, dann geht es dem kleinen Unternehmer auch nicht viel besser als dem Verbraucher – er muss folglich Schutz erhalten. Und dieser Schutz, wie zum Beispiel für den Verbraucher im AGB, wird ausdrücklich auch für kleine, schwächere Unternehmer festgelegt.“
Kommen wir nun zu einigen wirtschaftlichen Gesichtspunkten im neuen BGB. Zunächst richtet sich meine Frage auf das Konzernrecht und den Gläubigerschutz: Was wird sich da ändern?„Der Grundzug des neuen Rechts lautet: Auf der einen Seite gewähre ich mehr Freiheit, auf der anderen Seite schaffe ich einen Schutz gegen Missbrauch. Im Bereich des Konzernrechts bleibt es zunächst dabei, als Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft muss ich nicht weiter haften als mit der nicht erbrachten Einlage. Aber, falls ich meine Macht, meine Kontrolle in der tschechischen Gesellschaft missbrauche, dann kann der Gläubiger auch direkt gegen mich als Gesellschafter oder als die handelnde Person des Gesellschafters vorgehen. Und das auch im Ausland. Dahingehend wird sich einiges tun, vor allem durch ein ganz neues Konzept, das so genannte wrongful trading. Das heißt, ich bin als Unternehmer verpflichtet, eine Insolvenz abzuwenden. Sogar der Gesellschafter ist dazu verpflichtet. In diesem Punkt wird es sehr spannend sein, zu verfolgen, wie die Rechtssprechung dies in den nächsten Jahren auslegt, ob man dann als Gesellschafter vielleicht sogar verpflichtet ist, neues Kapital nachzuschießen, um seine tschechische Gesellschaft vor Insolvenz zu bewahren.“
Was die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) betrifft, so heißt es: Das so genannte Kettenverbot soll wegfallen. Was hat es damit auf sich?„Es war ein Ärgernis aus der Vergangenheit, denn es gab tausende von illegalen Gesellschaftsstrukturen. Der Grund war der, dass eine tschechische Gesellschaft nur einen Gesellschafter hatte, ebenso die GmbH nur einen Gesellschafter. Völlig natürlich war daher, dass zum Beispiel Herr Meier die Meier GmbH hat und diese GmbH ist einzige Gesellschafterin der Meier s.r.o. Das gibt es tausendfach, und auch heute noch ist das eine illegale Struktur. Es hat zu Riesenproblemen geführt, sobald man es gemerkt hat. Man konnte dann nämlich keine vernünftige Finanzierung mehr machen und der angebliche Schutz erwies sich als sinnlos. In Zukunft kann auch eine einzelne natürliche Person mehr als drei GmbHs haben und allgemein gibt es sehr viel mehr Möglichkeiten im GmbH-Recht als früher. Sie dienen vor allem dazu, um die Beziehungen zwischen mehreren Gesellschaftern zu regeln.“
Was die Aktiengesellschaft betrifft, da scheint sich nicht viel zu ändern. Aber es besteht wohl die Möglichkeit zum Erwerb neuer Aktien beziehungsweise andere sollen aufgehoben werden. Was passiert hier konkret?„An die Aktiengesellschaft (AG) besteht weiterhin die Anforderung eines Stammkapitals. Die GmbH in Tschechien indes muss zukünftig kein Stammkapital mehr haben, für die AG aber bleiben zwei Millionen Kronen vorgeschrieben. Wichtig für die AG ist es, dass es in Zukunft ausreicht, den Vorstand wie auch den Aufsichtsrat mit nur noch einer Person besetzen zu müssen. Und der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat ist auch nicht mehr erforderlich. Das sind also schon viele Änderungen in der Struktur. Neu ist aber vor allem, man in Zukunft ganz verschiedene Aktientypen festsetzen und man kann Aktien durch Prozentbeteiligungen ausdrücken. Die AG wird in vielen Bereichen an die GmbH angenähert ebenso wie umgekehrt. Ich kann dann faktisch auch GmbH-Geschäftsanteile wie Aktien herausgeben.“
Was hat es mit der Aufhebung von anonymen Aktien auf sich?„Das war das große Wahlkampfthema der kleineren Koalitionspartei vor zwei Jahren, um zu verhindern, dass bei einer öffentlichen Ausschreibung unklare Aktionärsstrukturen gewinnen. Das bedeutet, eine Aktiengesellschaft mit Inhaberaktien in Papierform muss zum 1. Januar 2014 etwas unternehmen, sonst werden diese Aktien automatisch in so genannte Namensaktien umgewandelt. Das heißt, die Gesellschaft weiß immer, wer Aktionär ist. Zwei Dinge wurden allerdings nicht bedacht. Zum einen ermöglicht das neue Recht in Zukunft die so genannten Trusts. Das heißt, man kann damit völlig anonymes Eigentum schaffen, ähnlich wie in den angloamerikanischen Rechtsordnungen. Zum anderen habe ich in Zukunft auch die Möglichkeit, GmbH-Geschäftsanteile anonym zu halten. Also man hat eine Möglichkeit der Anonymisierung abgeschafft, zwei andere Möglichkeiten indes neu geschaffen. Und die dritte wie auch häufigste Möglichkeit, die Anonymisierung der Anteile im Ausland, bleibt zudem weiter bestehen. Insoweit war das Symbolpolitik, die vielen ehrlich arbeitenden Aktiengesellschaften zum Jahresende 2013 Stress machte, aber im Ergebnis nichts bringen wird.“
Ein für Unternehmer beziehungsweise Anleger nicht unwichtiger Punkt ist die Möglichkeit des Erwerbes von Immobilien und insbesondere der Rechtsschutz in diesem Bereich. Wird sich auch hier etwas ändern?„Grundsätzlich hat das Kataster in Zukunft eine erheblich höhere Aussagekraft. Ähnlich wie in Deutschland gilt die Eintragung in das Grundbuch (Kataster), man kann daher auch vom Nichteigentümer kaufen. Bis jetzt musste man immer noch eine Sitzungsfrist von zehn Jahren abwarten, in Zukunft gilt, was im Grundbuch steht. Was der Gesetzgeber auch hier wiederum nicht bedacht hat, ist die Bedeutung des Notars. Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Immobilienübertragung von einem Notar durchgeführt wird, kann dieser Vorgang hierzulande von unzähligen Stellen erledigt werden, es reicht dazu eine reine Unterschriftsbeglaubigung. Dadurch wird Betrügereien erneut kein Riegel vorgeschoben – so war es in der Vergangenheit und so wird es bleiben. Wir haben zum einen ein elektronisches Grundbuch (Kataster), wo jeder online nachsehen kann. Es führt aber zu dem absurden Ergebnis, dass falls ich nicht nachsehe, es spätestens nach drei Jahren passieren kann, dass mein Immobilieneigentum fort ist. Und zwar deshalb, weil irgendein Betrüger sich entschieden hat, aufgrund einer gefälschten Vollmacht eine Immobilienübertragung durchzuführen. Man sollte zwar in Zukunft über diesen Vorgang informiert werden, aber falls man es versäumt hat, seine aktuelle Adresse zu übermitteln oder aber der Betrüger es geschafft hat, die Zustellung zu verhindern, dann hat man nach drei Jahren sein Immobilieneigentum verloren. Das führt zu dieser absurden Situation, dass wir unseren Mandanten sagen müssen: Bitte kontrolliert alle drei Jahre im elektronischen Grundbuch, ob ihr noch Eigentümer der Immobilien seid. Das ist eigentlich genau das Gegenteil, was man erreichen wollte, nämlich einen höheren Rechtsschutz der Katastereintragung.“
Sie haben es bereits gesagt: Das Bürgerliches Gesetzbuch wurde vor allem deshalb geschaffen, um den Missbrauch einzudämmen. Aus Ihren Ausführungen habe ich jedoch herausgehört, dass so manches im neuen BGB vielleicht nicht in die richtige Richtung laufen wird. Deshalb meine abschließende Frage: Was versprechen Sie sich als Rechtsanwalt von der Einführung des neuen Gesetzbuches?„Ich verspreche mir schon sehr viel davon, allerdings wird es Jahre dauern, bis man von den Gerichten Hilfestellung hat bei der Auslegung. Der Gesetzgeber hat leider viel zu wenige Informationen vorab gegeben, die Gesetzesbegründung ist sehr, sehr kurz. Wir werden also mindestens fünf, sechs Jahre brauchen, bis wir von einer konstanten Rechtssprechung reden können. Zudem möchte ich noch etwas anführen, was der Gesetzgeber völlig vergessen hat zu erwähnen: Auch die zivilprozessualen Zuständigkeiten wurden geändert, denn seit dem 1. Januar 2014 sind die regionalen Amtsgerichte (okresní soud) auch zuständig für handelsrechtliche Streitigkeiten. Das bedeutet, es kommt ein Riesenschub an neuer Arbeit, noch dazu in der Umgebung eines völlig neuen Zivilrechts, ohne aber dass neue Richter beziehungsweise weitere Assistenten an die Gerichte kommen. Deshalb ist es mein größtes Bedenken, dass ab dem neuen Jahr handelsrechtliche Streitigkeiten wieder solange dauern können wie noch in den 1990er Jahren, also vier bis sechs Jahre. Das ist sicher nicht der Sinn und Zweck des neuen BGB, und es wäre sehr schade, wenn diese moderne Rechtsordnung durch die vorhersehbaren Schwierigkeiten in der Praxis ihren ganzen Ruf verliert.“