Die symbolische Nummer 89: Tschechien hat ein neues BGB

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Seit 1. Januar ist in Tschechien das neue Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft, also ein völlig neues Privatrecht – Radio Prag hat bereits in seiner Neujahrssendung darüber berichtet. Warum kam es eigentlich zur Neufassung des umfassenden Gesetzestextes, der so viele Bereiche des privaten Lebens regelt? Worin besteht der Kern der Veränderung, und wo haben die tschechischen Experten nach Inspirationen gesucht? Radek Motzke, ein Rechtsanwalt aus der südmährischen Metropole Brno / Brünn, hat sich eingehend mit dem neuen Bürgerlichen Gesetzbuch befasst und sich den Fragen von Radio Prag gestellt.

Radek Motzke  (Foto: Gerald Schubert)
Herr Motzke, in Tschechien ist am 1. Januar ein neues Bürgerliches Gesetzbuch in Kraft getreten. Können Sie kurz umreißen, was das Bürgerliche Gesetzbuch eigentlich ist?

„Das Bürgerliche Gesetzbuch ist eine Sammlung des Privatrechts. Und was ist das Privatrecht? Das ist das Recht, das sich auf die Beziehungen von Privatmenschen untereinander bezieht – im Gegensatz zum öffentlichen Recht, das die Beziehungen der staatlichen Organe untereinander oder die Beziehungen zwischen Staat und Bürger regelt. Im Bürgerlichen Gesetzbuch finden wir zum Beispiel Bestimmungen, die uns sagen, wer volljährig ist, wie wir die Ehe schließen sollen, welche Rechte und Pflichten wir gegenüber unseren Kindern haben oder wie wir Gesellschaften gründen sollen.“

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Warum haben wir in Tschechien nun ein neues Bürgerliches Gesetzbuch bekommen? Es handelt sich ja um ein umfangreiches Material, das sehr viele Gesetze betrifft. Vermutlich gibt es gute Gründe dafür, das alles mit einem Schlag zu reformieren…

„Bis 31. Dezember des vergangenen Jahres galt das alte Bürgerliche Gesetzbuch, das bereits 1964 verabschiedet wurde - also vor 50 Jahren. Es war für eine sozialistische Planwirtschaft geschaffen, und davon war es natürlich sehr stark geprägt. Das äußerte sich zum Beispiel in der Regel der absoluten Ungültigkeit der meisten Verträge, die vom Gesetz abwichen.“

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Also wenn ein Vertrag nicht hundertprozentig mit dem Gesetz übereingestimmt hat, war gleich der ganze Vertrag ungültig?

„Genau.“

Und was ist dagegen eigentlich einzuwenden?

„Es ist sehr problematisch, denn im praktischen Leben ist es nicht so einfach, dem Gesetz vollkommen zu entsprechen. Stellen Sie sich vor, Sie schließen einen Mietvertrag ab: Sie vereinbaren dort den Mietpreis und den Preis für Betriebskosten, also etwa für Wasser, Strom und Wärme. Aber wenn Sie das nicht ganz genau machen, wenn Sie sich irgendwo ein bisschen unklar äußern, dann bedeutete das nach dem alten Gesetzbuch gleich die Ungültigkeit des ganzen Vertrages. Das neue Gesetzbuch soll den Menschen mehr Freiheiten in ihren Rechtsbeziehungen bringen. Es hat im Gesetzblatt die symbolische Nummer 89 – in Erinnerung an das Revolutionsjahr 1989.“

Das war also kein Zufall?

„Nein, man hat auf diese Nummer gewartet.“

Auf dem Weg zu einer so umfangreichen Gesetzesänderung gab es bestimmt viele Stolpersteine. Worüber wurde am meisten diskutiert, und was würden Sie selbst als problematisch ansehen?

„Die erwähnten neuen Vertragsschlussregeln können sich auch als problematisch erweisen: Wie ich schon erklärt habe, werden sie wesentlich gelockert. Nach dem neuen Recht ist es viel leichter, einen Vertrag zu schließen – sehr informell, der Vertrag muss nicht schriftlich sein zum Beispiel. Dabei kann es aber natürlich auch passieren, dass Menschen Verträge schließen, obwohl sie es gar nicht wollen, oder obwohl sie sich einen anderen Vertragsinhalt vorstellen.“

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Für mich ist besonders interessant, dass das alte Bürgerliche Gesetzbuch noch aus der kommunistischen Zeit stammte. Das kommunistische Regime wurde ja vor fast 25 Jahren gestürzt. Ist es nicht erstaunlich, dass das Bürgerliche Gesetzbuch danach noch ein Vierteljahrhundert gehalten hat?

„Ja, das ist erstaunlich. Aber es ist auch nicht einfach, ein neues Bürgerliches Gesetzbuch zu schreiben. Das Buch ist einfach zu groß und betrifft zu viele Lebensbereiche. Außerdem wurde das alte Bürgerliche Gesetzbuch gleich nach der Wende grundlegend reformiert und novelliert. Ohne Novellierung hätten wir damals nicht weitermachen können. Trotzdem sind bestimmte Ideen und Grundlagen darin stecken geblieben, die man ohne ein ganz neues Gesetzbuch einfach nicht loswerden konnte.“

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Das heißt, es gab zwar eine Novellierung, die jedoch nicht umfangreich genug war?

„Ja. Außerdem bekamen wir nach der Wende ein ganz neues Handelsgesetzbuch, in dem die unternehmerischen Beziehungen und die Handelsgesellschaften geregelt sind. Das brachte ein weiteres Problem, nämlich einen großen Dualismus zwischen dem alten, kommunistischen Bürgerlichen Gesetzbuch und einem relativ modernen neuen Handelsgesetzbuch – mit vielen Duplizitäten, Widersprüchen und Komplikationen bei der Auslegung. Auch für Rechtsanwälte war es manchmal schwierig festzustellen, welches Gesetzbuch sie bei der Beratung ihrer Mandanten eigentlich in die Hand nehmen sollen. Wenn zum Beispiel ein Unternehmer einen Gewerberaum von einem anderen Unternehmer mietete, wurde diese Beziehung nach einem anderen Gesetzbuch geregelt, als wenn er den Raum von einer Privatperson mietete. Das ist unlogisch.“

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Beim Versuch, diese Dinge zu reformieren, wurde vermutlich auch in andere Staaten geschielt. Gab es irgendwelche Vorbilder? Und welche Chancen oder Komplikationen haben sich daraus ergeben?

„Natürlich haben sich die Autoren des neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs auch im Ausland Inspirationen geholt. Warum sollten sie auch alles neu erfinden? Sie haben sich stark vom deutschen und vom österreichischen Gesetzbuch inspirieren lassen, aber auch vom italienischen oder von dem, das im kanadischen Quebec gilt. Das Resultat ist davon stark geprägt. Kritiker werfen dem Gesetzbuch vor, dass es ein Mosaik von Inspirationen sei, und dass es besser gewesen wäre, wenn sich die Autoren an ein bestimmtes Land gehalten hätten.“

Wie sehen Sie das?

„Ich denke, die Kritiker haben zum großen Teil Recht. Man findet in dem Gesetzbuch verschiedene neue Regelungen, die mit dem Rest nicht gut zusammenpassen. Jetzt werden wir sehen, wie die Gerichte dieses Mosaik von Inspirationen interpretieren werden.“

Gibt es neben der Inspiration aus dem Ausland auch eine Bedeutung für das Ausland beziehungsweise für Ausländer? Was ist Ihrer Einschätzung nach für unsere ausländischen Hörerinnen und Hörer besonders wichtig, wenn in Tschechien seit dem 1. Januar das neue Bürgerliche Gesetzbuch gilt?

„Das neue bürgerliche Recht betrifft natürlich alle Privatpersonen, egal ob sie die tschechische Staatsangehörigkeit haben oder etwa aus der Schweiz, aus Deutschland oder aus Österreich kommen. Wenn sie in Tschechien leben, hier tätig sind oder Vermögen haben, dann wird das neue Bürgerliche Gesetzbuch angewendet. Insgesamt bringt das mehr Sicherheit für die, die sich an Verträge halten wollen. Nach dem alten Recht ist es oft passiert, dass ein Vertrag formell nicht vollkommen war, aber trotzdem jahrelang von beiden Parteien erfüllt wurde. Wenn eine der Parteien dann irgendwann festgestellt hat, dass der Vertrag für sie nicht mehr günstig ist, dann hat sie einfach einen formalen Fehler gefunden, beim Gericht geltend gemacht, und der Vertrag war weg. Das kann nach dem neuen Gesetzbuch nicht mehr passieren – oder nur noch in einem sehr geringem Umfang.“