Auf der Bühne zwischen Tschechien und Deutschland
Das tschechische Außenministerium hat in diesem Jahr insgesamt 15 Persönlichkeiten für ihre Verdienste um den guten Namen der Tschechischen Republik ausgezeichnet. Den sogenannten Preis Gratias Agit hat auch der Theaterregisseur Dušan Robert Parisek bekommen. Geehrt wurde er für sein Engagement in den deutsch-tschechischen Beziehungen.
„In Brünn habe ich 1963 ein Theater gegründet, das 1966 unter der Bezeichnung „Kleine Pantomime“ zur vierten Sparte des Nationaltheaters Brünn wurde, also Oper, Schauspiel, Operette und die alternative Bühne. Die Feierlichkeiten zum 85-jährigen Bestehen des professionellen Theaters in Brünn wurden am 1. Dezember 1969 noch mit meinem Stück „Labyrinth“ eröffnet. Am 18. Dezember des Jahres wurde mir lapidar die Absetzung meiner Inszenierung dieses Stückes vom Repertoire mitgeteilt, angeblich wegen Publikumsdesinteresses. Das allerdings ohne schriftliche Begründung und trotz der Tatsache, dass ich im Mai 1968 für Labyrinth‘ einen Preis des damals neugegründeten Verbandes von Schriftstellern und Dramatiker erhalten hatte. Meine Mitwirkung am Nationaltheater wurde dann immer spürbarer eingeengt, und da ich nach den Arbeitsregeln des Nationaltheaters Brünn unkündbar war, gab man mir zu verstehen, dass ich mich bemühen solle, mein Glück vorübergehend – vielleicht sogar im Ausland – zu versuchen.“
Das hat Dušan Robert Parisek auch getan.„Es ist aber wichtig zu bemerken, dass man die Zeit zwischen 1963 und 1968 in der Tschechoslowakei, im Vergleich zu den 50er Jahren, als verhältnismäßig frei und Weltoffen bezeichnen konnte. Wir haben problemlos viele europäische Festivals besucht. Deshalb habe ich 1969 einige Theater Europas angeschrieben, bei denen wir in den 1960er Jahren gastiert hatten. Auf meine Anfrage antwortete mir die Haagsche Comedie, dass sie an einer sofortigen Zusammenarbeit mit mir interessiert wäre. Ich arbeitete dann drei Spielzeiten lang in den Niederlanden, auch an Inszenierungen im Teater de la Mar und Teater Carrousel in Amsterdam. Anschließend führte mich mein Arbeitsweg in die Schweiz und nach Österreich.“
Kleine Pantomime und Exil
„Auf Einladung der Wiener Festwochen war ich, weil ich die deutsche Sprache noch nicht richtig beherrschte, in einer Mischung aus Bewegungstheater mit kleinen textlichen Einlagen als Alleinunterhalter aufgetreten.“
Im Jahr 1973 wurde Parisek während eines Arbeitsaufenthalts in Wien vom kommunistischen Regime der Tschechoslowakei in Abwesenheit zu einer Haftstrafe verurteilt. Dieses Urteil zwang ihm die Entscheidung auf, ins Exil zu gehen.
„1973 sorgte ich in der österreichischen Hauptstadt für einige Aufregung. Auf Einladung der Wiener Festwochen war ich, weil ich die deutsche Sprache noch nicht richtig beherrschte, in einer Mischung aus Bewegungstheater mit kleinen textlichen Einlagen als Alleinunterhalter aufgetreten. Sieben Mal stand ich vor ausverkauftem Haus. Das tschechoslowakische Kulturministerium behauptete jedoch, ich hätte keine Ausreisegenehmigung für Österreich, was nicht stimmte. Die Österreicher reagierten daraufhin mit der Feststellung, man mische keine Politik in die Kunst, der Mann sei als Künstler willkommen und sei kein Krimineller, also werde man Herrn Parisek einfach spielen lassen. Das war der Auslöser dafür, dass ich in Abwesenheit verurteilt wurde. Danach begann der ganze Weg über die Schweiz, erneut nach Holland bis nach Deutschland, wo ich mich schließlich niedergelassen habe. Ich bereue es nicht, obwohl ich damit, aufgrund der traurigen Erfahrungen meiner Familie im Dritten Reich, gerade heute wieder ein Problem habe.“
In Deutschland hat Parisek als Regisseur, Schauspieler, Dramatiker und Übersetzer die dortige Theaterlandschaft mitgeprägt. Er war aber auch als Theater- und Kulturorganisator aktiv.„1977 habe ich in München mit deutschen und tschechoslowakischen Künstlerkollegen zur Unterstützung der ‚Charta 77‘ einen Verein gegründet, der bis heute unter dem Namen ‚Erbe und Zukunft‘ existiert. Sämtliche Aktionen und Veranstaltungen, auch die des 2001 gegründeten Festivals ‚Prag–Berlin‘, beruhen auf der Tatsache, dass ‚Erbe und Zukunft‘, ein gemeinnützig anerkannter Förderverein in der Bundesrepublik Deutschland, und sein Pendant, der tschechische Förderverein „Dědictví a budoucnost“, die treibenden organisatorischen Kräfte sind.“
Erbe und Zukunft
Dušan Robert Parisek hat nie die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft abgelegt und sie wurde ihm auch nicht aberkannt. Überraschend schnell hat er Anfang der 1970er Jahre einen deutschen Pass bekommen. 1977 hat er das „Stadttheater Aalen“ in Baden-Württemberg sowie das „Schlosstheater Ellwangen“ und die dortigen „Schlossfestspiele“ gegründet, wo sich tschechische Künstler von beiden Seiten des Eisernen Vorhangs in gemeinsamer Arbeit begegnet sind.
„Ich glaube, dass das nichts Ungewöhnliches ist, sobald man als Künstler die Möglichkeit und auch die Macht dazu hat, ohne andere Leute beknien zu müssen. Man bettelt ja nicht für die eigene Person, um gewisse Projekte durchsetzen zu können. In der Zeit, da ich alleine entscheiden konnte, war das für alle sehr angenehm, und ich bin sehr stolz, dass ich zusammen mit meiner Frau, und später auch unserem Sohn, so viele Kollegen aus Tschechien, – ob sie inkognito zu uns kamen, oder ob es Exilkollegen waren, die sich bei uns getroffen haben – auf Schloss Ellwangen empfangen konnte.“Parisek leitete die Schlossfestspiele, das Schlosstheater in Ellwangen und die heute städtische Bühne in Aalen bis 1996. Nach der Samtenen Revolution erweiterte er die kulturellen Begegnungen unter dem Motto „Erbe und Zukunft“ in seine Heimat. Unter der Schirmherrschaft des deutschen und tschechischen Außenministeriums wurden von 1990 bis 2003 in 73 Städten der Tschechoslowakei, ab 1993 in Tschechien und in der Slowakei, zahlreiche Theatervorstellungen, Bühnenlesungen, Podiumsdiskussionen mit Künstlern, Wissenschaftlern, Theologen und Politikern Tschechiens und Deutschlands, Konzerte, Symposien und Ausstellungen realisiert. Als Initiator stand Parisek in den 1990er Jahren mit an der Wiege des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und des Prager Theaterfestivals deutscher Sprache. Das bekannteste Stück, das er selbst für „Erbe und Zukunft“ verfasste, war das Melodrama „Der Ackermann und der Tod“ mit Musik von Jiří Pavlica. Nach seinem Libretto, unter seiner Regie wurde das Stück als Kammeroper mit Musik von Emil Viklický am 26.01.2003 an der Staatsoper Prag uraufgeführt. Die konzertante deutsche Erstaufführung des „Ackermann“ fand im Juli 2004 an der Staatsoper Berlin, unter der Anwesenheit des tschechischen Kulturministers Pavel Dostal, statt.
Festival Prag–Berlin
Die Familie Parisek lebt inzwischen in Berlin, Prag, Zlín und Wien.
„In den ersten Jahren organisierten wir in der Bundesrepublik 60 bis 70 Veranstaltungen. Wenn es uns heute gelingt, zehn Aufführungen zu präsentieren, sind wir sehr zufrieden.“
„Wir sind 1997 aus Baden-Württemberg nach Berlin umgezogen, wo wir unsere in Westdeutschland begonnene Tätigkeit weiter fortgesetzt haben bis zum heutigen Tag.“
2001 wurde das Festival tschechischer Kunst und Kultur Prag–Berlin gegründet. Es findet alljährlich nicht nur in der Bundeshauptstadt, sondern an mehreren Orten Deutschlands statt, um die gegenwärtigen Tendenzen in verschiedenen Kunstarten Tschechiens der Öffentlichkeit zu präsentieren:
„In den ersten Jahren organisierten wir in der Bundesrepublik 60 bis 70 Veranstaltungen. Wenn es uns heute gelingt, zehn Aufführungen zu präsentieren, sind wir sehr zufrieden. Seit 2001 haben wir uns auf thematisch gebundene Veranstaltungen mit tschechischen Theatern und Orchestern in der Bundesrepublik konzentriert. Seit etwa 2012 mussten wir eine Veränderung des Klimas und eine Verringerung der Fördermittel feststellen. Nach wie vor sind wir sehr dankbar für die Gelder, mit denen uns das Kulturministerium Tschechiens, der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds, oder der Magistrat der Hauptstadt Prag unterstützen. Aber es ist mittlerweile sehr schwierig geworden, für unsere unbequemen, deutsch-tschechischen Themen einen Förderer in der Bundesrepublik zu finden. In Tschechien ist es aber auch nicht anders. Es betrübt mich, weil ich befürchten muss, dass es nicht besser wird. Abgesehen von allseits bekannten Daten, wie die Befreiung von Auschwitz oder der erste Transport nach Theresienstadt, was heute zur offiziellen Gedenkkultur in Deutschland gehört, finden wir – im Gegensatz zu 1977 – für unsere oft überraschenden und verstörenden Themen im heutigen politischen Klima zwar Interesse beim Publikum, doch kaum Förderung und erleben erhebliche bürokratische Behinderung.“
Dušan Robert Parisek recherchiert weiter und bemüht sich darum, immer neue Programme und Texte auf die Bühne zu bringen, welche dem Publikum die warnenden Signale in den Werken von Künstlern aus der Vorkriegszeit zu Gehör bringen, um in den populistischen Verführungen von anno dazumal das gefährliche Potenzial für heute zu entdecken.„Seit Jahrzehnten richten sich Veranstaltungen der deutsch-tschechischen Kulturinitiative ‚Erbe und Zukunft‘ gegen die billige Art irreführender Nachrichten und oberflächlicher Informationen über schwerwiegende Themen, die leider immer mehr an Aktualität gewinnen. Obwohl wir alle wissen, dass die Dummheit, gepaart mit Arroganz und Macht, kaum mit unseren künstlerischen Mitteln zu besiegen ist ‚(…) dürfen wir nicht aufhören, gegen die Dummheit zu kämpfen, sonst überflutet die Dummheit die ganze Welt (…)‘ (Jan Werich, Befreites Theater Prag, Anm. d. Red.). Dieser Denkweise dienen alle unsere Veranstaltungen bedingungslos und offenbaren dem Publikum Texte voller Gedanken, Ideen und Warnungen von Denkern, Schriftstellern und Künstlern, die ihrer Zeit weit voraus waren, doch von ihren Zeitgenossen kaum gehört wurden. Wir führen sie in der Hoffnung auf, dass zumindest heute einige unserer Zeitgenossen aufmerksam zuhören. Das sind großartige Texte von genialen Künstlern, die durch die KZs gegangen sind, oder im Exil waren, die wir heute fast schon vergessen haben. Und das Publikum besucht unsere Veranstaltungen! Wir können uns über das Publikumsinteresse nicht beklagen.“
Vergessene Künstler
Es handelt sich immer um eine Zusammenarbeit zwischen deutschen und tschechischen Mitwirkenden. Die Vorstellungen sind so kombiniert, dass nie nur Deutsche oder nur Tschechen dabei sind.„Für mich ist es selbstverständlich, Menschen, in unserem Fall also deutsche und tschechische Künstler, zusammenzubringen, um die heute kaum bekannten, bedeutenden Werke und ihre Schöpfer aus den 30er und 40er Jahren wieder vorzustellen.“
Und Dušan Robert Parisek nennt ein Beispiel:
„Wer weiß, dass einen der größten Schlager der Welt ein Mähre geschrieben hat, der gleichzeitig einer der bedeutendsten Librettisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert war? Er schrieb Opernlibretti für Oscar Strauss, Emmerich Kálmán, für Franz Lehár, Robert Stolz und andere große Komponisten. Wissen Sie, wer er ist? Julius Brammer. Er kommt aus Sehradice / Sehraditz bei Zlín. Julius Brammer hatte 1922 im Hotel Adlon in Berlin den genialen Einfall zu ‚Schöner Gigolo, armer Gigolo‘, womit er den Soldaten ein literarisches Denkmal setzte, die nach dem Ersten Weltkrieg ihr Geld damit verdienen mussten, mit den Damen der Gesellschaft zu tanzen. Herren waren zu dieser Zeit Mangelware. Der Star-Tenor Richard Tauber machte das Lied zum Welterfolg – und das gilt bis heute. Als Jude musste er 1938 flüchten und starb am 18. April 1943 in Juan-les-Pins an Herzversagen.“
Eine weitere Persönlichkeit und Inspirationsquelle für Parisek ist Fritz Grünbaum:„Fritz Grünbaum, ein Brünner, der nach Beendigung des Jurastudiums in Wien 1903 begann, Libretti zu schreiben und Kabbarett zu spielen in Österreichs-Doppelmonarchie. Auch nach 1918 war er nicht nur in Österreich die Kabarettgröße schlechthin. Er war der sprachbegabteste Kabarettist und hat auch regelmäßig in Berlin auf Rudolf Nelsons Bühnen (Chat Noir) gastiert, dort schaffte er es z.B. vierzehn Tage lang zweimal täglich ausverkauft zu sein. Er hat tausende von eigenen Texten als Alleinunterhalter vorgetragen, oder zusammen mit Karl Farkas. So entstanden die in Wien berühmten sogenannten „Doppel Conferencen“. Er spielte in Wien, Paris, Zürich, Berlin, aber kaum jemand kennt heute noch seine Texte. Ich erzähle Ihnen eine Geschichte, die mich am meisten beeindruckt: Er war nach Buchenwald deportiert worden. Die Nazis schickten ihn von einem KZ ins nächste, damit er dort für die Offiziere und für die Wächter Witze erzählte. Und auf einmal sagt er: ‚Meine Herren verzeihen Sie mir jetzt zum Schluss, darf ich eine Bitte äußern?‘ Jawohl sagte ein Offizier. Und Grünbaum äußerte eine Bitte: ‚Wissen Sie, wir stinken alle so, können wir nicht ein Stückchen Seife bekommen?‘ Die Antwort des Offiziers lautete: Es gibt kein Geld für Seife! Und so schnell und genial, wie er war, sagte er zu dem Mann: ‚Ach wissen Sie, derjenige, der kein Geld für ein Stückchen Seife hat, sollte sich kein KZ halten‘. Er ist mein großes Vorbild. Ich verändere seine Texte nie, sie sind phantastisch. Und er ist ein Brünner, er ist unser Landsmann. Und ich will, dass die Leute von heute das hören und sehen. Oder das Kabarett in Theresienstadt. Wissen Sie, was für Potential da war? Mir lässt das keine Ruhe, vielleicht auch, weil ich durch die traurigen Ereignisse in meiner Familie in jener Zeit belastet bin. Aber nicht nur deswegen gebe ich nicht auf.“