Der Pandemie zum Trotz: Theaterfestival deutscher Sprache läuft unter dem Motto „AUFgeschlossen“
Seit vergangener Woche läuft in Prag der 26. Jahrgang des Theaterfestivals deutscher Sprache. Nach der Corona-bedingten Online-Variante 2020 sind die Organisatoren froh, das Publikum in diesem Jahr wieder in die Theaterhäuser einladen zu können. Ob dies bis zum Festivalausklang am 6. Dezember so bleiben wird, ist derzeit mehr als unklar. Für den Pandemie-Notfall kann darum auf Streaming-Vorführungen ausgewichen werden.
Optimismus herrschte bei der Pressekonferenz, mit der die Festivalleitung sowie die Kooperationspartner kurz vor dem Auftakt das diesjährige Programm vorstellten. Allein diese Präsentation nicht online durchzuführen, sondern sich mit den Pressevertretern im Café der Neuen Bühne des Nationaltheaters persönlich zu treffen, drücke die Hoffnung aus, den diesjährigen Festivaljahrgang in traditioneller Form durchführen zu können, sagte Chefdramaturgin Jitka Jílková:
„Die Vorbereitungen für diesen Jahrgang waren nicht einfach. Für uns war es keine Selbstverständlichkeit, die deutschsprachigen Theater nach Prag einzuladen. Wir hatten befürchtet, dass sie uns nicht unbedingt zuströmen würden. Sehr lange war nicht klar, ob die Umstände die Gastauftritte erlauben würden. Am Ende sind uns aber alle Theater, die wir angesprochen haben, derart entgegengekommen, dass wir uns fast erschrocken haben. Wir mussten überprüfen, ob unsere Finanzen ausreichten, um alle potentiellen Partner auch einzuladen. Zum Glück ging die Rechnung auf.“
Seit seinen Anfangstagen wird das Festival vom Goethe-Institut Prag mitpräsentiert. Dessen neue Leiterin Sonja Griegoschewski belegt die Bedeutung der Veranstaltung mit ihrer persönlichen Erfahrung:
„Ich bin seit 30 Jahren für das Goethe-Institut weltweit an verschiedenen Instituten tätig. Ich kann daher bestätigen, dass es so ein Festival, das jedes Jahr in dieser außergewöhnlichen Qualität stattfindet, nirgendwo sonst in einem anderen Land gibt – außer natürlich in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Auch für eine Berlinerin wie mich ist es außergewöhnlich, in so kurzer Zeit so konzentriert und so großartige Stücke präsentiert zu bekommen, wie hier in Prag.“
Auftakt mit Optismismus
Das Motto des aktuellen Festivaljahrgangs heißt „AUFgeschlossen“. Auch hieraus soll Optimismus sprechen, was grafisch mit den ersten drei Großbuchstaben noch unterstrichen wird. Monika Loderová vom Goethe-Institut Prag mag die Hoffnung, die in dem Leitwort steckt:
„Ich halte es für eines der besten Mottos, die das Festival in der Vergangenheit hatte. Es trifft wirklich die jetzige Stimmung. Ich finde es auch immer spannend, dass man damit spielt, wie man im Tschechischen das Deutsche versteht. Ich glaube, jeder Tscheche weiß, was ‚geschlossen‘ heißt. Auch grafisch ist es sehr schön dargestellt mit dem großen ‚Auf‘.“
Festivalleiter Petr Štědroň war es ebenfalls ein Bedürfnis, besonders auf das Motto hinzuweisen:
„Das Wort ‚Aufgeschlossen‘ verweist auf die Situation, in der wir uns alle leider schon seit anderthalb Jahren befinden. Die Grenze zwischen Schließung und Öffnung ist sehr eng. Gleichzeitig signalisiert das Wort eine Offenheit, Zugänglichkeit, Extrovertiertheit – also jene Prinzipien, denen wir bei der Auswahl der Theaterstücke folgen und die für den Charakter des gesamten Festivals stehen.“
Davon zeugte allein schon das Stück „Orlando“, mit dem das Schauspiel Hannover das diesjährige Festivalprogramm eröffnete. Mit Corinna Harfouch in der Hauptrolle setzte Lily Sykes den Roman von Virginia Woolf um, der zwischen den Welten, Zeiten und Geschlechtern wandelt.
Insgesamt neun Inszenierungen hält das Hauptprogramm bereit. Ein weiterer Höhepunkt dürfte das Gastspiel des Deutschen Theaters Berlin sein. Das Stück „Sophie Rois fährt gegen die Wand im Deutschen Theater“ bezeichnet Štědroň als „unglaublich schwungvoll, wortreich und erstaunlich witzig“ – und das, obwohl ein existentialistischer Roman die Vorlage bildet. Mit der Umsetzung von „Die Wand“ von Marlen Haushofer ist Hauptdarstellerin Rois, die in den vergangenen Jahren mehrfach beim Prager Festival auftrat, im hiesigen Ständetheater zu sehen.
Publikumsgespräche von der Küche aus
Schon einige Tage vor diesen beiden Aufführungen stellt sich Regisseur Clemens Maria Schönborn den Fragen des Publikums. Die Debatte findet, wie alle Publikumsgespräche in diesem Jahr, online statt. In Vor-Corona-Zeiten war es üblich, auch die Regisseure nach Prag anreisen zu lassen und persönliche Begegnungen mit den Zuschauern zu organisieren. Diese nun in den virtuellen Raum zu verlegen, fasst Chef-Dramaturgin Jílková jedoch als ein positives Pandemie-Erbe auf:
„Die Corona-Zeit hat uns an das Streamen herangeführt, das sich als sehr praktische Angelegenheit bewährt hat. Die Theaterschaffenden müssen nicht extra nach Prag kommen. Sehr gern nehmen sie sich aber die Zeit und schalten sich von der heimischen Küche aus zu, wie dies vergangenes Jahr etwa Katie Mitchell getan hat. Online können sie sich im Prinzip mit den Zuschauern auf der ganzen Welt in Verbindung setzen. Diese praktische Gelegenheit nutzen wir also auch in diesem Jahr.“
Das Off-Programm, in dessen Rahmen diese Publikumsgespräche stattfinden, hält noch weitere begleitende Veranstaltungen bereit. Besonderes Augenmerk legen die Organisatoren dabei auf das Event „Das Thema: Erika Mann?“, das sich der Tochter von Thomas Mann widmet. Hervorgegangen sei dieses Projekt aus einer Ausstellung des Prager Goethe-Instituts vom Frühjahr, erzählt Monika Loderová:
„Diese Ausstellung befasst sich ausschließlich mit Texten von Erika Mann als Autorin. Es werden alle ihre Arbeiten dargestellt – als Schauspielerin, Kabarettistin, als politische Rednerin oder Kriegsreporterin. Dazu gab es ein recht umfangreiches Begleitprogramm. Unter anderem haben wir uns zusammen mit dem deutsch-tschechischen Kabarett ‚Das Thema‘ Gedanken gemacht, wie man die Inhalte in Theaterform darstellen könnte. Das Ergebnis halte ich für sehr gelungen. Das Stück ist in Deutsch und Tschechisch, also für alle zugänglich.“
Und wie jedes Jahr gibt es im Programm des Theaterfestivals auch eine tschechisch-deutsche Theaterproduktion. Für Tomáš Jelínek stellen diese Projekte den Höhepunkt der bilateralen Zusammenarbeit im Rahmen des Festivals dar. Jelínek ist der Leiter des Deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, der ähnlich wie das Goethe-Institut von Anfang an als einer der Hauptpartner agiert:
„Wir unterstützen den tschechisch-deutschen Austausch im Theaterbereich natürlich nicht nur durch dieses Festival. Dabei beobachten wir genau, ob es Signale gibt für einen neuen Trend bezüglich einer intensiveren Zusammenarbeit bei tschechisch-deutschen Koproduktionen. Denn die Theaterszene ist sehr asymmetrisch, und meist handelt es sich um Exporte aus Deutschland nach Tschechien. Natürlich ist auch dies wichtig für uns, weil es den tschechisch-deutschen Dialog belebt. Aber die Koproduktionen sind als Format für uns doch immer noch etwas bedeutsamer.“
Tschechisch-deutsche Koproduktion "Zdeněk Adamec"
Die diesjährige Koproduktion ist das Stück „Zdeněk Adamec + Eine Szene“ von Peter Handke, das von Regisseur Dušan David Pařízek am Prager Theater Na zábradlí inszeniert wird. Festivalleiter Petr Štědroň ist die Begeisterung anzumerken:
„Gemeinsam mit dem hervorragenden Theater- und Filmschauspieler Samuel Finzi inszenieren wir einen neuen Text von Peter Handke, dem frisch gekürten Nobelpreisträger. Dieser Text trägt einerseits alle Qualitätsattribute, die wir von Handkes Wortkunst kennen. Er ist unglaublich dicht, klug und lehrreich, aber vor allem beschäftigt er sich mit der tschechischen Wirklichkeit. Der Titel ‚Zdeněk Adamec‘ verweist auf den Schüler einer Industrieschule aus Humpolec, der sich 2003 auf dem Prager Wenzelsplatz mit Benzin übergossen und selbst verbrannt hat. Auf dieses tragische Ereignis ist Peter Handke in seinen Werken mehrfach eingegangen, und der aktuellste Bezug ist eben dieses neue Stück.“
Diese Inszenierung bleibt auch nach Beendigung des Festivals im Repertoire des Theaters Na zábradlí erhalten.
Die Auftaktwoche der Theaterschau ist also gemeinsam mit dem Publikum und unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen glücklich absolviert worden. Für die zweite Woche gibt es allerdings schon eine Absage: Das Ensemble der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin beugt sich der Pandemie-Situation und verzichtet auf die Reise nach Prag. Und angesichts der neuen Rekordzahlen an täglichen Corona-Neuinfektionen werden auch hierzulande weitere Einschränkungen immer wahrscheinlicher. Das Theaterfestival aber soll bis zur letzten Vorstellung am 6. Dezember durchgezogen werden. Laut Chef-Dramaturgin Jílková ist man auf alle Eventualitäten vorbereitet:
„Unser Team bereitet sich auf alle Möglichkeiten vor, die das Festival betreffen. Wir können nicht bestreiten, dass dies schwierige Zeiten sind. Natürlich hoffen wir, dass das Festival nach Plan ablaufen wird – von dieser Variante gehen wir erst einmal aus. Wenn im schlimmsten Falle aber die Pandemie wieder das Spiel beherrschen sollte, gibt es eine Ausweichvariante. Nach dieser könnten wir die Inszenierungen im Dezember, falls sie nicht live erlebt werden können, auch streamen. Dies haben wir schließlich im vorangegangenen Jahrgang gelernt.“
Das Theaterfestival deutscher Sprache findet in Prag noch bis zum 6. Dezember statt. Alle Informationen zum Haupt- und Off-Programm, zum Ticketverkauf sowie zu aktuellen Corona-Maßnahmen finden Sie auf der Webseite theater.cz. Für Schüler und Studenten bis 26 Jahre gibt es einen Festivalpass für 400 Kronen (knapp 16 Euro).