"Auf einmal war man nur noch Deutscher" - deutsche Antifaschisten in der Nachkriegstschechoslowakei

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Die deutschen Antifaschisten in der Tschechoslowakei. Obwohl sie gegen Hitler gekämpft und sich für den Erhalt des Tschechoslowakischen Staates eingesetzt hatten, wurden viele von ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg in der Tschechoslowakei häufig nicht viel besser behandelt als der Rest der deutschen Bevölkerung. Die tschechische Regierung hat im letzten Jahr, noch unter dem damaligen sozialdemokratischen Premierminister, Jiri Paroubek, beschlossen, die Geschichte der deutschen Hitlergegner in der Tschechoslowakei aufzuarbeiten und die Öffentlichkeit mit deren Schicksal bekannt zu machen. Andreas Wiedemann beschäftigt sich im heutigen Geschichtskapitel mit den deutschen Antifaschisten.

Internationale Konferenz ´Auch sie waren dagegen´
"Auch sie waren dagegen". Unter diesem Motto fand von Montag bis Mittwoch eine internationale Konferenz in Usti nad Labem / Aussig statt, die sich mit der Geschichte der deutschen Antifaschisten in der Tschechoslowakei befasste. Die Konferenz kann als Auftakt für ein umfangreiches Projekt gelten, das die tschechische Regierung auf den Weg gebracht hat. Vaclav Houfek vom Stadtmuseum in Usti nad Labem, das einer der Projektpartner ist, erläutert die Idee:

"Das Projekt ist ein wesentlicher Teil der Geste, die die tschechische Regierung unter der Führung von Jiri Paroubek gegenüber diesen Menschen gemacht hat. Das Projekt wird von dem Bewusstsein getragen, dass wir das Schicksal dieser Menschen und ihre Opfer nicht vergessen dürfen. Wir können die Geschichte nicht rückgängig machen und nicht das ersetzen, um was die Menschen gebracht wurden und in welche schwierige Situationen sie geraten sind. Aber wir können Informationen sammeln und bewahren und dadurch einen zentralen Ort schaffen, an dem die Erinnerung an ihre Haltung, die mutig und besonders war, erhalten bleibt", so Houfek.

Es gab in der Tschechoslowakei auch Deutsche, die gegen die Nazis waren. Tausende von Ihnen kamen in Gefängnisse und Konzentrationslager. Andere verloren ihr Leben. Die Überlebenden kehrten nach dem Krieg mit der Hoffnung auf den Wiederaufbau eines demokratischen tschechoslowakischen Staates aus dem Exil, dem Untergrund oder den Lagern zurück. In einigen Gebieten der Tschechoslowakei, vor allem in Nordböhmen, übernahmen, tschechische und deutsche Widerstandskämpfer bei Kriegsende gemeinsam die Macht aus den Händen der Deutschen und gründeten Nationalausschüsse. Vaclav Houfek erläutert dies am Beispiel Usti nad Labem:

"Das Ende des Krieges in Usti ist u.a. mit der Tätigkeit einer bewaffneten Einheit tschechischer und deutscher Sozialdemokraten verbunden. Den Kern bildeten hauptsächlich deutsche Sozialdemokraten. Diese Gruppe benannte sich nach dem berühmtesten deutschen Sozialdemokraten in Usti Leopold Pölzl. Diese Gruppe hatte große Verdienste an der relativ ruhigen Übernahme der Macht in der Stadt aus den Händen der nazistischen Verwaltung. Außerdem konnte die Gruppe die Zerstörung vieler Verkehrseinrichtungen in der Stadt verhindern."

Aber bereits nach einigen Tagen mussten die deutschen Antifaschisten ihre Tätigkeit in den örtlichen Verwaltungen im ganzen Land auf Anordnung des tschechoslowakischen Staates aufgeben. Sie waren plötzlich einfach nur noch Deutsche. Viele wurden von den gegen die deutsche Bevölkerung gerichteten Repression erfasst und mussten z.B. ihre Radios und Fotoapparate und Fahrräder abgeben oder weiße Armbinden tragen, wie die anderen Deutschen auch. Die Situation der Antifaschisten war von Ort zu Ort aber sehr unterschiedlich. Vor allem die Vertreibung und Aussiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei wurde von tschechischer Seite als Bestrafung für die Mithilfe bei der Zerschlagung des Staates und für die nationalsozialistischen Verbrechen betrachtet. Deutsche, die für den Erhalt des tschechoslowakischen Staates eingetreten waren und gegen Hitler gekämpft hatten, durften hingegen im Land bleiben. Aber auch die Legitimationen, die anerkannten Antifaschisten ausgestellt wurden, garantierten nicht unbedingt einen Schutz vor der Beschlagnahmung des Besitzes oder anderen Schikanen. Ein deutscher kommunistischer Funktionär der sieben Jahre lang von den Nazis in Haft gehalten worden war, schrieb am 7. August 1945 in einem Bericht an die Parteizentrale in Prag:

"Man gibt den Leuten auf der Strasse Ohrfeigen, man jagt sie aus dem Geschäft. Jetzt sollen die, welche Genossen waren und im Kampf standen und während der ganzen Hitlerzeit sich nicht gebeugt haben, genauso behandelt werden wie ein Faschist. Du bist eben ein Deutscher und als solcher stehst Du noch eben unter einem Hunde."

Irene Brügel ist die Tochter von Johann Wolfgang Brügel, der vor dem Krieg Sekretär des Vorsitzenden der deutschen Sozialdemokraten, Ludwig Czech war. Irene Brügel lebt heute in England und sagt dazu:

"Man kann sich heute nur schwer vorstellen, was die Menschen damals durchgemacht haben. Alles wofür man die ganzen Jahre gearbeitet hat und woran man geglaubt hat und das Risiko, das man eingegangen ist, weil man hier geblieben ist und im Untergrund war. Und dann ist man auf einmal nur noch Deutscher. Es gab auch Juden, die kamen aus Auschwitz zurück nach Prag und hatten auf einmal kein Recht mehr hierzubleiben, weil sie sich 1930 als Deutsche gemeldet hatten."

Die Kommunistische Partei war die einzige Partei in der Ersten Tschechoslowakischen Republik, die nicht nach Tschechen und Deutschen getrennt war. Nach dem Krieg gab es in einzelnen Städten wie z.B. im nordböhmischen Decin / Tetschen, noch eine Zusammenarbeit deutscher und tschechischer Genossen, dort erschien sogar eine zweisprachige Zeitung. Die Prager Parteizentrale der Kommunisten verfolgte aber das Ziel, möglichst viele Deutsche auszusiedeln und auch die Sozialdemokraten wollten in Anbetracht der antideutschen Stimmung im Land nicht schützend vor ihre deutschern Genossen treten. Die meisten Antifaschisten fühlten sich isoliert. Von den meisten Deutschen durch ihre politische Einstellung, von den meisten Tschechen durch ihre Nationalität. Ein deutscher Kommunist aus Liberec schrieb an den tschechischen Generalsekretär der Kommunistischen Partei. Rudolf Slansyk:

"Was Henlein und Hitler nicht gelungen ist, beginn sich jetzt zu entwickeln. Unsere Genossen beginnen am proletarischen, revolutionären Charakter unserer KSC zu zweifeln. Sie verlieren den Glauben an den Gedanken der proletarischen Solidarität und an die Möglichkeit, als Gleicher unter Gleichen zu leben."

So entschieden sich viele Antifaschisten, die Tschechoslowakei zu verlassen. Der bereits zitierte Kommunist aus Liberec schrieb dazu:

"Daher ist es ein Gebot der politischen Zweckmäßigkeit, diesen Genossen, welche die Ausreise wünschen, die Möglichkeit zu geben, sich in bester Freundschaft von der KPC, welche sie erzogen hat, von der CSR für welche sie gekämpft haben, verabschieden zu können."

Auch die Sozialdemokraten sahen keine Zukunft mehr in der Nachkriegstschechoslowakei und richteten sich auf die Ausreise ein, wie die Historikerin Karin Pohl erläutert:

"Nachdem das Verbleiben in der Tschechoslowakei für die sozialdemokratischen Antifaschisten immer unrealistischer wurde, plante Alois Ullmann, der einst Zentralsekretär des Arbeiter Turn- und Sportverbandes und langjähriger KZ-Häftling gewesen war, den möglichst geschlossenen Transfer dieser Gruppe in den Westen", so Pohl.

Für die Antifaschisten galten erleichterte Bestimmungen. So durften sie ihr Hab und Gut mitnehmen, wenn es die Transportmöglichkeiten erlaubten. Ca. 100.000 deutsche Sozialdemokraten und Kommunisten verließen in den ersten Nachkriegsjahren die Tschechoslowakei. Für viele war es gewissermaßen bereits das zweite Exil. Die Zeitzeugen, die an der Konferenz teilnahmen begrüßen, dass die Geschichte der deutschen Antifaschisten jetzt aufgearbeitet wird. Vielleicht bietet sich dadurch die Chance, einen anderen Blick auf die Nachkriegszeit und seine Folgen zu werfen, so hofft jedenfalls Irene Brügel:

"Natürlich haben die deutschen Antifaschisten vieles verloren, aber dass die Tschechen auch etwas verloren haben, weil sie die Deutschen aus dem Land geschickt haben, darüber kann man nachdenken."