Gegen Hitler und Henlein: deutsche Antifaschisten in der Tschechoslowakei

Seit einem Jahr bereits arbeiten tschechische Historiker an einem der wohl größten und bedeutungsvollsten Forschungsaufträge der letzten Jahre. Sie wollen mehr über die Leute unter der ehemaligen deutschen Bevölkerung des Landes wissen, die eben nicht mit Hitler oder Henlein paktiert haben: die deutschen Antifaschisten in der früheren Tschechoslowakei. Wir haben über das Projekt, das von der tschechischen Regierung initiiert wurde, bereits in früheren Ausgaben an diesem Sendeplatz berichtet. Mittlerweile sind die Forschungseinrichtungen unter der Leitung des Instituts für Zeitgeschichte an der tschechischen Akademie der Wissenschaften zu ersten Ergebnissen gelangt. Till Janzer hat sich mit zwei der am Projekt beteiligten Fachleute unterhalten.

Mit der Masse haben sie nicht gebrüllt. Es waren aber auch nicht so wenige, wie bisher angenommen wurde. Manche wandten sich gleich nach der Machtergreifung 1933 gegen Hitler-Deutschland. Andere stemmten sich erst nach der Besetzung der Sudetengebiete durch die Nationalsozialisten im Oktober 1938 gegen deren Terror. In jedem Fall sind die deutschen Antifaschisten in der damaligen Tschechoslowakei aber zum Großteil „vergessene Helden“, wie sie in einer Ausstellung bezeichnet werden, die Ende November im nordböhmischen Ústí nad Labem / Aussig eröffnet wurde. Die Ausstellung ist das sichtbarste Ergebnis der bisher einjährigen Forschungsarbeit tschechischer Historiker, sie soll nun in mehreren tschechischen Städten gezeigt werden. Aber sie wird auch nach Deutschland gehen. Denn hier wie dort gibt es viel über die deutschen Antifaschisten aufzuklären, wie die in Saarbrücken und Prag lebende tschechische Publizistin Alena Wagnerová weiß.

„In der alten Bundesrepublik, weil der Antifaschismus dort sowieso immer eine etwas problematische Position hatte. Und in den neuen Bundesländern, weil es alles unter dem großen Mantel des Antifaschismus verborgen war, so dass die spezifische Herkunft aus dem Böhmischen sozusagen keine Rolle gespielt hat. Und deswegen wurde darüber kaum gesprochen.“

So Alena Wagnerová, die die Gespräche mit den noch lebenden Zeitzeugen in dem Forschungsprojekt betreut. In ihrer eigentlichen Heimat tut man sich wiederum traditionell schwer mit den ehemaligen deutschen Mitbürgern. Als Antifaschisten in der Tschechoslowakei anerkannt wurden nur diejenigen Deutschen, die nach dem Kriegsende auch offiziell einen dementsprechenden Antrag stellten:

„In einer Zeit, da die Staatsverwaltung auf den Kopf gestellt war, mussten sie auf schwierige Weise ihre Haltung während der Okkupation beweisen. Sie mussten vertrauenswürdige Personen benennen und geprüfte Dokumente vorlegen können, die ihre antifaschistische Einstellung bezeugten – und das alles gegenüber Behörden, die als einzige Amtssprache das Tschechische anerkannten“, erläutert der Leiter des städtischen Archivs in Ústí, Václav Houfek.

Trotz dieser erschwerten Bedingungen erhielten immer noch 130.000 bis 150.000 Deutsche die Anerkennung als Antifaschisten. Von der Vertreibung verschont wurden sie dennoch nicht: Sie mussten genauso wie die Henlein- und Hitleranhänger das Land verlassen. Da die Vertreibung als Bestrafung für die Mithilfe bei der Zerschlagung des Staates und für die Verbrechen der Nazis betrachtet wurde, ist im Geschichtsbewusstsein der meisten Tschechen auch in Vergessenheit geraten, dass es überhaupt einmal deutsche Antifaschisten in ihrem Land gegeben hat.

Wer also waren diese deutschen Antifaschisten? Zum einen natürlich Sozialdemokraten und Kommunisten. Václav Houfek mit einem Beispiel aktiven Widerstands:

„In der Gegend von Aussig und Teplitz existierte eine Widerstandsgruppe, die sich Lindenbrüder nannte. Sie setzte sich aus Leuten von Jugendorganisationen zusammen, die der kommunistischen Partei nahe standen. Sie halfen bereits in den 30er Jahren Menschen aus Nazi-Deutschland, über die Grenze in die Tschechoslowakei zu flüchten. Zudem halfen sie Verfolgten in Deutschland. Es war ein Netz aus mehreren Dutzend Menschen, das solcherart Hilfe organisierte, aber auch fast schon militärischen Widerstand durch Sabotageakte leistete. Leider wissen wir über sie vor allem deswegen, weil sie später von der Gestapo aufgedeckt wurden. Mehr als 30 ihrer Mitglieder wurden festgenommen und die Hälfte von ihnen vor allem in Berlin-Plötzensee hingerichtet.“

Alena Wágnerová
Doch nicht nur die vergleichsweise gut organisierten Sozialdemokraten und Kommunisten leisteten Widerstand. Wie in Hitlerdeutschland selbst, gab es auch in den deutschböhmischen Gebieten christlich motivierte Opposition.

„Dazu gehörte der höchste Vertreter der katholischen Kirche in den Sudetengebieten, der Bischof von Leitmeritz, Anton Weber. Ein Teil seiner Diözese lag auf deutschem Territorium, der andere auf Protektoratsgebiet. Bei seiner Arbeit musste er sich ständig mit den nationalsozialistischen Behörden herumschlagen. Sie zwangen ihn, auch mit den tschechischen Pfarrämtern ausschließlich auf Deutsch zu kommunizieren, was er aber bis Ende des Krieges nicht zuließ. Ganz allgemein sind Dutzende katholische Geistliche in Konzentrationslagern umgekommen, weil sie sich gegen den Nazi-Terror in den Sudetengebieten gewandt hatten.“

Diese Fälle sind allesamt vergleichsweise gut belegt. Es gibt aber auch noch weitere Formen der Opposition. Alena Wagnerová:

„Man muss bedenken, dass der Widerstand meist schon im Kleinen begonnen hat. Beispielsweise wurde ein Sozialdemokrat in ein Gefangenenlager in Litauen delegiert und bekam eine Peitsche. Man kontrollierte, ob die Peitsche gebraucht wurde. Er aber wetzte sie an einem Stein, weil er die Gefangenen nicht geschlagen hat. Menschen wurden auch dafür bestraft, dass sie Gefangenen Brot gegeben hatten - also für Hilfeleistungen, die christlich und in unserem europäischen Kontext etwas Normales waren. Da sehen wir, wo der Widerstand eigentlich bereits angefangen hat – indem man sich anständig benahm.“

Wenn man den Begriff des Widerstands gegen den Nationalsozialismus allerdings so weit fasst, wie es die Akademie der Wissenschaften mit ihrem Projekt „Vergessene Helden“ macht - muss man dann nicht auch zwangsläufig zu neuen Zahlen gelangen?

„Ich würde sagen, das Bild muss nun etwas korrigiert werden. Man ging ursprünglich von den Ergebnissen der letzten Kommunalwahlen in der Tschechoslowakei vom Mai 1938 aus. Da wählten 95 Prozent der Deutschen in den Sudetengebieten die Henlein-Partei. Es hieß also, dass es 5 Prozent Antifaschisten gab oder zumindest jene, die sich nicht mit der nationalsozialistischen Bewegung anschlossen. Inzwischen weiß man, dass damals starker politischer Druck ausgeübt wurde und manche einfach die Sudetendeutsche Partei wählten, weil in einigen Ortschaften stark kontrolliert wurden. Deswegen würde ich sagen, dass es mehr Antifaschisten gab: 10 bis 20 Prozent. Es gab sogar im Mai 1938 noch Orte, in denen sozialdemokratische Kandidaten ihre Positionen behaupten konnten. Andere Orten hatten sogar sozialdemokratische Bürgermeister, Aussig ist ein solches Beispiel.“

Das Projekt zu den sudetendeutschen Antifaschisten wird im Übrigen noch weiter fortgesetzt. Im September kommenden Jahres soll der wichtigste Teil abgeschlossen sein und der Öffentlichkeit präsentiert werden. Doch soll damit kein Schlussstrich unter die Vergangenheit gesetzt werden, im Gegenteil: Es soll vielmehr Interesse an dem Thema geweckt werden.

In der übernächsten Ausgabe der Sendereihe „Kapitel der tschechischen Geschichte“, die wir am 29. Dezember senden, geht es weiter mit dem Thema sudetendeutschen Antifaschisten. Wir wollen dann einige Zeitzeugen zu Wort kommen lassen, die sich entweder selbst oder deren Eltern und Verwandte sich gegen Hitler und Henlein gestellt haben.