Ausstellung in Prag über den Völkermord an den tschechischen Roma
In der Nationalen Gedenkstätte auf dem Vítkov-Hügel in Prag erinnert eine Ausstellung an den Porajmos, den Völkermord an den tschechischen Roma. Insgesamt ist der Genozid an dieser Minderheit im Zweiten Weltkrieg in den vergangenen Jahren stärker ins Bewusstsein der hiesigen Gesellschaft gerückt.
Františka Janečková war als Kind im sogenannten Zigeunerlager in Lety bei Písek interniert. Zusammen mit ihren Eltern wurde sie im Juni 1941 in das Konzentrationslager in Südböhmen verschleppt. Die Familie lebte damals in Červený Kostelec / Rothkosteletz in Ostböhmen.
„Sie haben uns damals verhaftet und nach Jičín gebracht. Dort kamen wir in den Bau, wie man sagt, also ins städtische Gefängnis am zentralen Platz. Dann haben sie gewartet, bis wir noch mehr waren, erst danach haben sie uns nach Lety bei Písek verfrachtet“, hat Františka Janečková vor einigen Jahren im Rahmen des Zeitzeugenprojekts Paměť národa (Nationales Gedächtnis) erzählt.
Im Lager wurde das damals siebenjährige Mädchen von seinen Eltern getrennt:
„Meinen Vater verschleppten sie zu irgendeiner Arbeit, er war gar nicht mit uns im Lager. Meine Mutter musste in einem Steinbruch arbeiten. Ich war in einer der Holzbaracken. Wir Kinder mussten zum Beispiel den Kapos Wasser bringen und ihre Gärten gießen.“
Im Interview beschreibt Janečková die Bedingungen im Lager mit einigen wenigen Worten:
„Es war grauenvoll. Hunger, Kälte – alles ziemlich schlimm…“
In ihren schriftlichen Erinnerungen auf zwei Blatt Papier hat sie zudem die Essenszuteilung festgehalten:
„Pro Tag ein Viertel Brot. Morgens schwarzen Kaffee, nicht aus Bohnen. Am Mittag eine Kelle Suppe aus unverdicktem Wasser, in der Blätter von rohem Weißkohl schwammen und ein bis zwei Kartoffeln. Meine Mama hat das Brot mit mir geteilt, sonst hätte ich nicht überlebt.“
Zur Unterernährung kamen Krankheiten. Vor allem brach Typhus aus. Auch ihre Mutter erkrankte daran, überlebte aber. Františka Janečková blieb verschont.
Nach elf Monaten kam die ganze Familie frei.
„Im Jahr 1942 lösten sie das Lager auf. Rund 20 von uns, darunter auch wir, konnten nach Hause fahren. Alle anderen wurden in die großen Konzentrationslager verschleppt“, so die heute 87-jährige Frau.
Vom Konzentrations- ins Vernichtungslager
Solche Berichte von Zeitzeugen sind unter anderem Teil der Ausstellung, die derzeit in der Nationalen Gedenkstätte auf dem Vítkov-Hügel in Prag gezeigt wird. Die meisten tschechischen Roma hatten nicht das Glück wie Františka Janečková und ihre Eltern, den Völkermord zu überleben. Anna Míšková ist Historikerin am Museum der Kultur der Roma in Brno / Brünn und Kuratorin der Ausstellung. Gegenüber Radio Prag International sagte sie:
„1942 lebten im damaligen Protektorat ‚Böhmen und Mähren‘, also dem heutigen Tschechien abzüglich der Sudetengebiete, laut den Schätzungen und Volkszählungen rund 6500 Sinti und Roma. Sie wurden zum größten Teil in die beiden sogenannten ‚Zigeunerlager‘ respektive Konzentrationslager Lety bei Písek und Hodonín bei Kunštát verschleppt – oder später dann direkt ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Dort kamen dann auch diejenigen Inhaftierten hin, die Lety und Hodonín überlebt hatten. Den Schätzungen nach wurden bis zu 90 Prozent der Sinti und Roma aus Böhmen und Mähren während des Zweiten Weltkriegs ermordet. Das macht den hiesigen Porajmos zu einem der umfassendensten Völkermorde in der Geschichte der Menschheit.“
Die Ausstellung zu dem Völkermord wurde am Dienstag in Prag eröffnet. Das Datum 2. August haben Anna Míšková und ihr Team nicht zufällig gewählt: Es ist der internationale Gedenktag für den Porajmos. Denn am 2. und 3. August 1944 wurde das sogenannte ‚Zigeunerfamilienlager‘ im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau liquidiert. Die etwa 4300 dort verbliebenen Sinti und Roma wurden von den Deutschen in den Gaskammern ermordet. Zu den Opfern gehörten auch viele Menschen aus dem „Protektorat Böhmen und Mähren“.
Die Prager Ausstellung zu dem Völkermord ist eigentlich eine Wanderausstellung, die bereits 2010 entstanden ist. Sie lehnt sich an die Dauerausstellung im Brünner Museum für Kultur der Roma an.
„In der Dauerausstellung schildern wir die Geschichte der Roma von ihrem Weggang aus Indien bis in die 1990er Jahre. Einer der Säle widmet sich gerade den Ereignissen im Zweiten Weltkrieg. Damals war es uns ein großes Anliegen, diesen Teil der Geschichte hierzulande besser bekannt zu machen. Da nicht alle Interessierten zu uns ins Museum kommen dürften, entstand die Idee einer Wanderausstellung. Sie besteht vor allem aus großen Tafeln und schildert das Geschehen anhand der Erinnerungen von Zeitzeugen und anhand von zeitgenössischen Fotos sowie weiteren Archivmaterialien“, so die Kuratorin.
Immerhin wird auch in Tschechien seit einigen Jahren verstärkt in der Öffentlichkeit über den Völkermord an den Sinti und Roma gesprochen. Das hängt nicht zuletzt mit der Entwicklung am Ort des Konzentrationslagers in Lety zusammen. Zu kommunistischen Zeiten war dieser Ort entwürdigt worden, als man dort eine Schweinemast ansiedelte. Anna Míšková:
„Der Völkermord an den Sinti und Roma war lange Zeit hierzulande kein Thema. Auch konnte nicht geforscht werden, weil die Archive nicht zugänglich waren. Erst in den 1990er Jahren änderte sich das, als der amerikanische Autor Paul Polansky ein Buch über das Lager in Lety veröffentlichte. Auf das Thema war er eher zufällig gestoßen, in Historikerkreisen war es jedoch bekannt – und das spätestens seit den Arbeiten von Ctibor Nečas. Aber erst nach der Samtenen Revolution von 1989 gelangte es auch an die Öffentlichkeit. Und es begannen die Diskussionen über einen Abriss der Schweinemast am Ort des ehemaligen Konzentrationslagers. Zugleich bremsten die Vorurteile gegenüber Roma, die hierzulande immer noch überwiegen, die weitere Entwicklung.“
Dass in den vergangenen Jahren nun tatsächlich das Lager in Lety ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist, erklärt Anna Míšková mit der politischen Entwicklung. Denn 2017 beschloss die damalige Regierung, die Schweinemast aufzukaufen und anschließend abreißen zu lassen. Bis Mai kommenden Jahres entsteht nun an dem Ort des früheren Lagers eine Gedenkstätte. Und in Hodonín bei Kunštát ist sogar bereits ein solcher Ort des Gedenkens geschaffen worden.
„Das Thema ist so immer mehr in die Öffentlichkeit gelangt, und das kann ich nur begrüßen. Denn was den Roma widerfahren ist und welche Folgen das für ihr Leben nach dem Zweiten Weltkrieg und in kommunistischen Zeiten hatte, ist wichtig zu wissen, um die Zusammenhänge zu verstehen“, schließt die Ausstellungskuratorin.
Die Ausstellung „Der Genozid an den Roma im Zweiten Weltkrieg“ ist in der Nationalen Gedenkstätte auf dem Prager Vítkov-Hügel zu sehen. Sie läuft bis 15. Dezember dieses Jahres.