Bahnhof Vyšehrad: Streit um ein marodes Juwel

Foto: Tomáš Vodňanský, Český rozhlas

Der ehemalige Bahnhof Vyšehrad in Prag gilt als Juwel der Jugendstil-Architektur. Das Gebäude ist aber in einem katastrophalen Zustand und der derzeitige Eigentümer lässt es allmählich verfallen. Die Stadt Prag überlegt nun über einen Kauf der Station, doch der Preis ist hoch.

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Der ehemalige Bahnhof Vyšehrad liegt auf der rechten Moldauseite zwischen den wichtigen Knotenpunkten Prag-Smíchov und Prag-Hauptbahnhof. Man muss kein Fachmann sein, um zu sehen, in was für einem desolaten Zustand das Gebäude ist. Jiří Chmelenský vom Denkmalschutzamt hat das einstige Jugendstil-Juwel genau im Auge:

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„Es wird von Tag zu Tag schlechter. Wir Denkmalpfleger führen ein regelmäßiges Monitoring durch. Das ist unsere Aufgabe.“

Laut Chmelenský geht der derzeitige Eigentümer des Gebäudes, die Investment-Gruppe TIP Estate, unverantwortlich mit dem Kulturdenkmal um. Der Denkmalschützer zählt die massiven Schäden auf:

„Bereits jetzt fallen Komponenten der Fassade herunter, und auch sämtliche Bestandteile von Giebeln und Schornsteinen drohen herabzustürzen. Der Eigentümer wurde vom Bauamt schon mehrfach aufgefordert, in Richtung Straße wenigstens Netze anzubringen. Das reicht aber nicht. Zwar wurde das Dach provisorisch gedeckt, doch auch das ist nicht zufriedenstellend ausgeführt worden. Außerdem sind sämtliche Holzkonstruktionen von Schädlingen befallen. Im östlichen Flügel des Gebäudes ist sogar schon ein Teil der Decke eingestürzt, wobei andere Teile davon präventiv abgerissen oder extern gestützt werden mussten.“

TIP Estate wurde von den zuständigen Behörden wiederholt zu Geldstrafen in Höhe von mehreren Zehntausend Kronen verurteilt. Drei von ihnen sind bisher rechtskräftig.

Eine Kurve mit tragischen Folgen

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Doch wo beginnt die Tragödie des Bahnhofs Vyšehrad? Zunächst sah der Haltepunkt einer glänzenden Zukunft entgegen. Denn Anfang des 20. Jahrhunderts ließ sich die Stadt Prag das Objekt als Vorzeigebahnhof bauen. Vor gut einem Jahr erzählte der Kunsthistoriker Lukáš Beran die Geschichte, die dahinter steht:

„Jahre lang forderte Prag von der österreichisch-ungarischen Führung eine Ausweitung des Bahnhofs an diesem Ort. Denn die Durchfahrt war eng, im Jahr 1901 stießen dort sogar zwei Züge zusammen. Die Stadt wollte deshalb an dieser Stelle ein größeres Bahnhofsgebäude errichten.“

Welcher Architekt hinter dem Entwurf steht, ist bis heute nicht bekannt. Dennoch entstand ein Meisterwerk. Der Denkmalschützer Jiří Chmelenský erläutert, worin der Wert des Bahnhofs liegt:

„Er ist ein bedeutendes Denkmal der Industrie- und Technik-Architektur. Aufgrund seiner Ausführung ist er eine einzigartige Ergänzung zur Prager Innenstadt als geschützter Denkmalzone. Außerdem zählt das Gebäude zu den auffälligsten Bauten des Jugendstils.“

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Der Bahnhof hatte aber ein Problem: Er liegt in einer Kurve. Aufgrund eines neuen tschechoslowakischen Bahngesetzes war das aber nicht mehr zulässig für den Personenverkehr. Deswegen wurde der Betrieb im Jahr 1960 eingestellt. Personal blieb trotzdem dort, denn fortan diente Prag-Vyšehrad als Ausweich- und Rangierbahnhof. Zwar wurde der Bau in den 1980er Jahren grundsaniert, dennoch kam es zu mehreren Wasserschäden. Durch die geringe Nutzung und fehlendem Interesse verfiel er nach und nach. Nachdem der Bahnhof im Jahr 2000 zum Kulturdenkmal erhoben wurde, stellte man sich in der Hauptstadt die Frage, wie man das Objekt nutzen sollte.

Im Jahr 2001 konnte der Unternehmer Ivan Mečl die Tschechische Bahn und die Schienennetzverwaltung von seinen Plänen überzeugen, die Räumlichkeiten des Bahnhofs als Kulturzentrum zu nutzen. Der Pachtvertrag wurde aber für ungültig erklärt und die zuständigen Stellen entschieden sich für einen radikalen Schritt. Im Jahr 2007 verkauften sie das Gebäude für 49 Millionen Kronen (zwei Millionen Euro) an das zweifelhafte Investment-Unternehmen TIP Estate. Dieses wollte das Baudenkmal massiv umgestalten und ebenfalls ein Kulturzentrum daraus machen. Die Behörden nickten die Bebauungspläne sogar ab, doch in der Folge geschah nichts und Prag-Vyšehrad wurde endgültig zur Ruine.

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Rückkauf statt Enteignung

Im vergangenen Jahr schaltete sich schließlich die Unesco ein. Die Hauptstadt sollte den Bahnhof gefälligst enteignen und retten, hieß es von der Organisation. Die neue Stadtregierung war von diesem Vorstoß aber wenig begeistert. Jiří Pospíšil ist Stadtrat für die konservative Top 09:

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„Sollte sich die Stadt für einen solchen Schritt entscheiden, dann müssen das zunächst die Rechtsexperten des Magistrats bewerten. Eine Enteignung wäre mit entsprechenden Entschädigungszahlungen verbunden, deren Höhe sich an Gutachten orientiert. Eine Enteignung ohne Entschädigung wäre eine Konfiskation, und das ist bei uns illegal. So etwas können wir nicht wollen.“

Das Kulturministerium steht einer möglichen Enteignung ebenfalls skeptisch gegenüber, gerade aufgrund der Erfahrungen aus den 1950er Jahren. Deshalb steht nun ein Rückkauf als wahrscheinlichste Alternative im Raum. Doch die Verhandlungen könnten zäh werden, denn der derzeitige Eigentümer verlangt weit mehr als das Doppelte des damaligen Kaufpreises, und zwar 117 Millionen Kronen (4,5 Millionen Euro). Für Martin Kotík ist das vollkommen berechtigt. Der Architekt hat seinerzeit im Auftrag von TIP Estate ein Konzept für den Bahnhof Vyšehrad entworfen:

„Der Preis ist nicht wahnsinnig übertrieben, aber trotzdem recht hoch. Er ist aber angemessen für eine Immobilie beziehungsweise ein Grundstück in dieser Größenordnung in Prag. Natürlich gibt es Ausnahmen, bei denen der Preis deutlich niedriger oder deutlich höher liegt.“

Der Ball liegt nun zunächst beim zweiten Prager Stadtbezirk, denn dort befindet sich der Bahnhof. Die Bezirksverwaltung macht aber klar, dass es bei dem Preis zu keiner Einigung kommen wird und man sich deshalb mit anderen Stellen kurzschließen müsse. Andrea Zoulová ist Sprecherin von Prag 2:

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„Die bisherigen Treffen haben kein Ergebnis gebracht. Die Forderungen des Eigentümers sind für den zweiten Prager Stadtbezirk auch weiterhin unannehmbar. Wir wollen zwar weiterverhandeln, aber nur noch über den Magistrat.“

Große und kleine Pläne

Der Magistrat hat tatsächlich ein großes Interesse daran, den Bahnhof zu kaufen und zu restaurieren. In der Vergangenheit wollte man das Gebäude mit einem neuen privaten Eigner zu einem Kulturzentrum machen. Doch auch dieser Vorstoß war an den Forderungen des derzeitigen Besitzers gescheitert. Nun will man einen neuen Versuch wagen, denn in dem Bahnhof könnte ein Prestigeprojekt umgesetzt werden. Jan Chabr ist im Magistrat für öffentliche Immobilien zuständig. Er stellt die Pläne vor, betont aber gleichzeitig, dass man auch weiterhin nicht jeden Preis zahlen werde:

„Unsere Gutachten sprechen von einem Wert des Bauwerks in Höhe von 67 Millionen Kronen (2,6 Millionen Euro, Anm. d. Red.). Auf jeden Fall wollen wir eine Einigung erzielen, da wir die Räumlichkeit als Ausstellungsort für das Slawische Epos ins Auge fassen. Das hängt auch davon ab, inwieweit man den Bahnhof baulich erweitern kann. Damit beschäftigt sich derzeit das städtische Planungsbüro, das sich vor allem mit dem Ausmaß eines möglichen Umbaus beschäftigt.“

Ob das Slawische Epos des Jugendstil-Malers Alfons Mucha mit seinen epochalen Ausmaßen aber überhaupt in den Bahnhof hineinpasst und wie die Ausstellungsräume letztlich aussehen könnten, ist bisher vollkommen offen. Der Denkmalschützer Jiří Chmelenský hätte dahingegen eher bescheidene Pläne für das ehemalige Jugendstiljuwel:

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„Wir Denkmalschützer können den Eigentümern ja nicht vorschreiben, wie sie ihre Immobilien nutzen sollen. Bei ehemaligen Bahnhofsgebäuden ist das Besondere, dass sie für universale Zwecke konzipiert worden sind. Das könnte man für die zukünftige Nutzung berücksichtigen. Mir schwebt ein Restaurant vor, das mit einer öffentlichen Einrichtung kombiniert ist. Das könnte beispielsweise ein kleineres Amt sein oder eine Bibliothek. Das Wichtigste aber ist, dass solche historischen Bauten genutzt werden und dass man sich angemessen um sie kümmert.“

Im Rathaus des zweiten Prager Stadtbezirks werden aber noch weitere Pläne diskutiert. Einer davon ist, den Bahnhof wieder zum Bahnhof werden zu lassen. Dazu müsste man sich aber überlegen, wie das ganze Areal umgebaut werden könnte. Dazu der Bezirksrat Michal Zuna:

„Derzeit ist das ausgeschlossen, da die Haltestelle in einer Kurve liegt. Aber die Bahnsteige könnten beispielsweise in der Nähe der ehemaligen SchiffsAnlegestelle Výtoň neu gebaut werden.“

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