Rettet den Bahnhof Vyšehrad!

Bahnhof Vyšehrad (Foto: ŠJů, Wikimedia Commons, CC BY 4.0)
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Seit Jahrzehnten halten am Bahnhof im Prager Stadtteil Vyšehrad keine Züge mehr. Das Gebäude selbst steht zwar immer noch, doch das einst prächtige Neorenaissance-Haus ist heruntergekommen.

Bahnhof Vyšehrad  (Foto: ŠJů,  Wikimedia Commons,  CC BY 4.0)

Lukáš Beran  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Wenn man mit dem Zug vom Prager Hauptbahnhof in Richtung Smíchov fährt, sieht man kurz vor der Moldaubrücke rechter Hand ein halb verfallenes Haus. Dieser Neorenaissance-Bau erinnert eher an ein vornehmes Bürgerhaus als an ein Bahnhofsgebäude. Die Aufschrift „Praha-Vyšehrad“ an der Fassade verrät jedoch, zu welchem Zweck das Haus früher gedient hat. Aus- oder Einsteigen kann man auf dem Bahnhof seit mehr als 50 Jahren nicht mehr. Dazu der Architekturhistoriker Lukáš Beran:

„Die Verbindungsbahn vom Stadtteil Smíchov zum heutigen Prager Hauptbahnhof wurde 1872 eröffnet, Seitdem fahren Züge dort lang. Zuerst waren es nur Güterzüge, 1888 wurde auch der Personenverkehr aufgenommen. Zunächst stand in Vyšehrad ein kleines Bahnhofsgebäude, das den Fahrgästen diente.“

Bahnhof Vyšehrad  (Foto: ŠJů,  Wikimedia Commons,  CC BY 4.0)
Im Jahr 1900 hielten an dem Gebäude bereits acht Paare von Personenzügen, die auf der Strecke Prag-Pilsen-Furth im Walde fuhren. 1904 ließ die Direktion der k. u. k. Staatsbahnen ein neues und größeres Bahnhofsgebäude in Vyšehrad errichten. Lukáš Beran:

„Den Bau hat Prag von den österreichischen Staatsbahnen fast erzwungen. Viele Jahre lang bat die Stadtverwaltung um eine Erweiterung des Bahnhofs. 1901 kam es dort sogar zu einem Zusammenstoß von zwei Zügen, weil die notwendigen Gleise fehlten. Die Stadtverordneten forderten zudem, dass die Station ein entsprechend repräsentatives Bahnhofsgebäude erhielt. Damals hielt man in den Großstädten den für Bahnhöfe typischen zweckbetonten Baustil für überholt. Die österreichischen Staatsbahnen nutzten die Entwürfe ihres Angestellten Jan Heindl und errichteten ein repräsentatives Bahnhofsgebäude. Es wurde 1905 eröffnet.“

Rathäuser, Sparkassen, Bahnhofsgebäude

Bahnhofsgebäude in Zbiroh  (Foto: Ondra052,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0)
Von der Straße her hat das Haus zwei Etagen, auf der Seite zum Bahnsteig und den Gleisen ist es nur einstöckig. Jan Heindl habe aber nicht nur Bahnhofsgebäude entworfen, erzählt Lukáš Beran:

„Er arbeitete ursprünglich als Baubeamter bei der Adelsfamilie Lobkowicz. Danach war er als Architekt im späteren Prager Stadtteil Žižkov tätig. Ab 1901 war er dann bei den österreichischen Staatsbahnen angestellt. Vermutlich war er in dieser Funktion nicht so sehr ausgelastet, denn er nahm auch an mehreren Ausschreibungen für den Bau öffentlicher Gebäude teil. 1902 entwarf er zum Beispiel das Rathaus im mittelböhmischen Sedlčany. Und in Turnov stehen gleich mehrere interessante Häuser von ihm, so etwa die Buchdruckerei und die Sparkasse. Für die staatlichen Bahnen entwarf Heindl ebenfalls einige Gebäude. Das erste davon entstand im südböhmischen Majdalena (Sankt Maria Magdalena, Anm. d. Red.). Es war ein Wartehäuschen für Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este, der dort häufiger in den Zug stieg. Ferdinands Schloss in Chlum / Chlumetz liegt nämlich in der Nähe. Heindl entwarf zudem die Bahnhofsgebäude in Votice und in Zbiroh. Letzteres steht unter Denkmalschutz.“

Bahnhof Vyšehrad  (Foto: ŠJů,  Wikimedia Commons,  CC BY 4.0)
Ursprünglich bestand der Bahnhof Vyšehrad aus drei Gebäuden. Nur zwei von ihnen sind aber erhalten. Der Experte:

„Es ist noch das kleine Wärterhaus von 1888 erhalten, das Richtung Eisenbahnbrücke. Auf dem Bahnsteig befand sich zudem früher noch ein Holzbau, in dem die Reisenden auf den Zug warten konnten. Dieser Bau wurde 2007 abgerissen. Das repräsentative Hauptgebäude wird manchmal als Jugendstilbau bezeichnet. Das ist aber nicht korrekt, denn es hat nur ein paar dekorative Jugendstil-Verzierungen. Das ganze Gebäude mit den Dächern und zwei Türmen gehört stattdessen zur sogenannten ,tschechischen Renaissance‘. Anfang des 20. Jahrhunderts war dieser Stil aber nicht mehr aktuell. Diese Art der Neo-Renaissance hat ursprünglich der Architekt Antonín Wiehl in den 1870er Jahren erfunden. Und Jan Heindl hat in diesem Stil auch Rathäuser und Sparkassen entworfen.“

Foto: Jan Langer,  ČT24
Aus- und einstiegen kann man seit Jahren in Vyšehrad nicht mehr. Der Reiseverkehr wurde dort zugunsten des Nahverkehrs eingestellt. Lukáš Beran:

„Ab 1960 wurden dort keine Reisenden mehr abgefertigt. Der Grund war angeblich eine Sicherheitsvorschrift, nach der keine Bahnhöfe in einer Kurve stehen durften. Denn von der Haltestelle aus sollte der ankommende Zug gut zu sehen sein.“

Heruntergekommenes Kulturdenkmal

Prag-Vyšehrad wurde in den 1960er Jahren zu einem Ausweich-Bahnhof herabgestuft. 2014 wurde die technische Anlage repariert, sie wird jedoch vom Bahnhof Prag-Smíchov aus fernbedient. Das Bahnhofsgebäude steht leer, es ist seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt worden.

Foto: Jan Langer,  ČT24
Dabei hatte man in den 1980er Jahren versucht, den Bau instand zu setzen. Das ging jedoch daneben, und schon bald war das Dach nicht mehr intakt. Seitdem ist das ganze Haus stark heruntergekommen. Ein Großteil der dekorativen Bauelemente ist inzwischen von der Fassade herabgefallen. In den Fenstern fehlt das Glas, und sie sind nur mit verrosteten Gittern versehen. Könnte das einst schöne Gebäude irgendwann noch einmal genutzt werden? Der Experte:

„Das Gebäude steht nicht zwischen Häuserblöcken, denn Anfang des 20. Jahrhundert wurde erst damit begonnen, gegenüber dem Bahnhof Häuser zu bauen. Es ist eher ein Pavillon auf einem ansonsten nicht bebauten Grundstück. Das muss man für die Möglichkeiten einer Nutzung beachten. Ich denke aber nicht, dass im Voraus festgelegt werden sollte, was dort entstehen kann.“

Vor einigen Jahren wurde eine Unterschriftensammlung initiiert, sie ruft zur Rettung des Bahnhofsgebäudes auf. Und im neuen Prager Stadtrat ist vor kurzem eine Arbeitsgruppe für den Bahnhof Vyšehrad entstanden. Diese hat sich kurz vor Weihnachten das Gebäude angeschaut. Sie soll einen Standpunkt des Stadtrats zur beunruhigenden Causa erarbeiten. Der Zustand Kulturdenkmals verschlechtere sich mit jedem Tag, hieß es in einer ersten Stellungnahme.