Barock-Klänge am Original-Ort - die Musikschätze des Klosters Zeliv
Brände, Kriege, Angriffe, die Verstaatlichung und die Einrichtung eines kommunistischen Gefängnisses für Geistliche - diese Stichworte bezeichnen die tragischen Marksteine der mehr als 800-jährigen Geschichte des Prämonstratenser-Klosters in Zeliv /Selau. Auf jeden Schicksalsschlag folgte aber immer ein Wiedererstehen. So auch derzeit. Wichtiger Teil der Kloster-Renaissance sind die barocken Musikschätze aus dem einzigartigen Klosterarchiv im südmährischen Zeliv. Ludek Kudlacek hat für Radio Prag ein Konzert in Zeliv besucht.
Dukat, Öhlschlägel oder Boroni - so lauten die Namen der Komponisten, deren Werke aus dem Archiv des Klosters Zeliv im Konzert in der Klosterkirche am 22. September 2007 erklungen sind. Dem Leiter des tschechischen Kammerorchesters "Harmonia delectabilis", Lukas Vendl, war die schwierige Aufgabe zugekommen, aus dem reichen Klosterarchiv das Konzertprogramm zusammenzustellen:
"Die Auswahl war nicht leicht, die musikalischen Bestände der Abtei bestehen aus ungefähr 500 Werken. Weil wir kleinere einfallsreiche Kantaten für eine Stimme suchten, konnten wir natürlich vor allem den wichtigsten Autor der Abtei Zeliv, Josef Leopold Vaclav Dukat, nicht außer Acht lassen. Seine Sammlung ´Cithara nova´ aus dem Jahr 1707 gehört auch zu den schönsten Schriften des Archivs in Zeliv. Sie besteht aus vier in Leder gebundenen Bänden. Es war wirklich inspirierend, in den alten Folianten blättern zu können."
Der Organist und Cembalist Lukas Vendl machte das zahlreich erschienene Publikum nicht nur auf die Schönheit und Farbigkeit der Barockmusik in den damaligen tschechischen Ländern aufmerksam, sondern auch auf deren Sinn für Humor. So zum Beispiel in der Widmung des Komponisten Dukat:
"Dukat hat die erwähnte Sammlung ´Cithara nova´ im Vorwort seinem Abt, Pater Jeronym Hlina, gewidmet. Und er scheint dabei auch einen guten Sinn für Humor gehabt zu haben: Der Name Dukat kommt vom Dukaten, das ist klar. Und ´Hlina´ könnten wir als ´Lehm´ ins Deutsche übersetzen. Also schreibt der Autor: ´Obwohl ich ein Dukat bin, diene ich gerne dem Lehm´."
Das Kammerorchester "Harmonia delectabilis", das sich intensiv mit der Interpretation der Musik aus dem 17. und 18. Jahrhundert beschäftigt, brachte im Konzert noch andere Barockperlen aus Zeliv zur Aufführung. Lukas Vendl stellte diese vor:
"Zu den drei Kantaten von Dukat haben wir noch eine virtuose Arie des Prager Kantors Öhlschlagel hinzugefügt, deren Abschrift in Zeliv aufbewahrt ist, und außerdem zwei reizende Duette der italienischen Komponisten Boroni und Galuppi, die auch andernorts in Böhmen im späteren 18. Jahrhundert gespielt wurden. Alle diese Stücke illustrieren meiner Meinung nach die ganze goldene Epoche des Klosters am Ende der Barockzeit."
Nicht nur in instrumentaler Hinsicht lag das Konzert mit der Nutzung alter Musikinstrumente und alter Interpretationsweisen auf höchstem Niveau, sondern auch mit Blick auf die gesangliche Ausführung. Um diese Seite etwas näher kennen zu lernen, habe ich Irena Troupova-Wilke, eine der beiden Sängerinnen, gefragt, wie sie zur Alten Musik gekommen ist:
"Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der es Musik immer und zu jeder Zeit gab. Dadurch habe ich einen starken Bezug zur Musik. Da wir zudem viel in Kirchen gesungen haben, lag es auf der Hand, dass ich irgendwie zur Alten Musik gekommen bin. Die interessantesten Begegnungen waren dann in Prag mit Pavel Klikar und seinem Ensemble ´Musica Antiqua Prag´ - da bin ich richtig der Alten Musik verfallen. "
Irena Troupova-Wilke gehört zu den bekannten europäischen Interpreterinnen und Lektorinnen der Alten Musik. Bei ihren zahlreichen Aktivitäten versucht sie auch die heutzutage vergessenen Werke der in den tschechischen Ländern wirkenden deutschen Komponisten zu beleben. Zu diesen gehören zum Beispiel Joseph Wolfram oder Wenzel Veit. Irena Troupova-Wilke merkt zudem an, dass das Zeliver Konzert einen speziellen Aspekt hatte - die einzigartige Atmosphäre des Ortes. In dem hinteren Teil der Krypta der Klosterkirche ruhen die sterblichen Überreste des Komponisten Josef Leopold Vaclav Dukat, dessen Werke nicht nur im Konzert erklangen, sondern der seine Musik auch selbst an dieser Stelle gespielt hat.
"Alte Musik in alten Kirchen aufzuführen ist immer sehr schön. Der Genius loci beeinflusst schon, das muss ich sagen. Besonders wenn in der Akustik ein wenig Hall ist - nicht zu viel, nur so, dass man noch die Koloraturen oder einzelnen Noten erkennen kann -, funktioniert die Musik sofort ganz anders. Wenn man den Ton anstimmt, der Ton trägt und man noch hört, wie der Ton von hinten zurückkommt, dann ist das ein schönes Gefühl. Stellt man sich zusätzlich noch vor, dass dieselbe Musik schon vor 200 oder 300 Jahren genau an dieser Stelle aufgeführt wurde, ist das durchaus ein erhebendes Gefühl, dass muss ich schon sagen."
Die Prager Höhere Fachschule "Collegium Marianum" arbeitet sehr eng mit der Pädagogischen Fakultät der Karlsuniversität im Fachbereich Chorleitung geistlicher Musik zusammen. Aufgabe ist die Verbesserung des Interpretationsniveaus liturgischer und geistlicher Musik aus der Zeit vom 16. bis zum 18 Jahrhundert. Aus diesem Grund werden die Studenten und Studentinnen auch in der Bearbeitung alter Noten ausgebildet. Die Leiterin des "Collegium Marianum", Pavla Semeradova, ist eine der wichtigsten Bearbeiterinnen des Musikschatzes aus dem Kloster Zeliv. Sie bereitet gerade einen Katalog vor, der alle Kompositionen des Klosterarchivs umfasst. Der Musikkatalog ist nicht zuletzt bedeutend für die künftige Forschung an den bis jetzt noch nicht veröffentlichen oder aufgeführten Kompositionen. Pavla Semeradova fasst die bisherigen Kenntnisse über die Musikmaterialien des Zeliver Klosterarchivs zusammen:
"Im 18. Jahrhundert war das Kloster in Zeliv ein Bildungs- und Musikzentrum. Aus der Zeit vom 18. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts sind rund 500 Kompositionen mit der Bezeichnung ´Chori Siloensis´ oder ´Convent Siloe´ - so der lateinische Name des Klosters Zeliv - erhalten. Derzeit ist die Sammlung im Museum der tschechischen Musik gelagert, wohin die Kompositionen nach der Aufhebung des Klosters im Jahre 1950 überführt wurden. Diese Musiksammlung enthält nicht nur zahlreiche Kirchenwerke, sondern auch weltliche Instrumentalmusik, die für verschiedene Feierlichkeiten innerhalb des Klosterlebens geeignet war, wie zum Beispiel für die Weihe des Abtes und Ähnliches."
Seit den 1990er Jahren stehen die Zeichen für das Kloster in Zeliv wieder gut. Die Klostergebäude sind renoviert, das Kloster selbst gewinnt langsam seinen Ruf als geistliches und kulturelles Zentrum zurück. Für die Zukunft wünscht man dem Kloster nicht nur die Rückkehr der Musik, sondern auch des gesamten Archivs. Erst dann sind die Musikschätze aus Zeliv wieder da, wo sie hingehören.