Bauboom in Tschechien wird noch einige Jahre anhalten

Photo : Jana Sustova

Im nun folgenden Wirtschaftsmagazin beleuchtet Lothar Martin diesmal den anhaltenden Bauboom in Tschechien, der einheimischen und ausländischen Baufirmen noch auf weitere Jahre dicke Aufträge und Arbeitsplätze sichert.

In unserem letzten Wirtschaftsmagazin haben wir u. a. darüber berichtet, dass der in Tschechien gezahlte durchschnittliche Monatslohn im vergangenen Jahr um 6,6 Prozent bzw. nach Gegenhalten der Inflation real um 3,7 Prozent gestiegen ist. Das hat natürlich zufolge, dass die hiesigen Bürger mehr konsumieren, sparen oder investieren können. In letztgenannter Hinsicht investieren viele Tschechen immer mehr in den Kauf von Häusern und Wohnungen. Weshalb das so ist, dazu sagte der Vizechef für Wohnungspolitik beim Ministerium für regionale Entwicklung, Ivan Prikryl:

"Das hängt auch damit zusammen, dass die bestehenden, frei auf dem Markt verfügbaren Wohnungen einschließlich neuer Mietwohnungen unerschwinglich teuer sind, sowohl was ihren Kauf als auch ihre Miete betrifft. Bevor Wohnungssuchende diese Kosten auf sich nehmen, bauen sie lieber ihr eigenes Haus und zahlen die Hypothek."

Gerade die niedrigen Zinssätze der Hypotheken-Kredite sind es, die immer mehr Tschechen dazu animieren, sich ein Eigenheim zu errichten. Mit dieser Einstellung hat man hierzulande einen regelrechten Bauboom ausgelöst, der sich darin widerspiegelt, dass im vergangenen Jahr 32.268 Wohnungen fertig gestellt worden sind. Das ist die höchste Anzahl seit dem Jahr 1992 und damit auch ein neuer Rekordwert für die seit 1993 selbstständige Tschechische Republik. Und dieser Trend wird voraussichtlich weiter anhalten, denn in den älteren Mitgliedsländern der Europäischen Union bildet der Wohnungsbau einen Anteil von 30 Prozent am aktuellen Baugewerbe, während dieser in Tschechien erst bei 15 Prozent liegt.

Um den Wohnungsbau weiter voranzutreiben, will der tschechische Staat auch entsprechende Fördermittel ausschütten. Zum Beispiel für die wieder verstärkte Errichtung von Genossenschaftswohnungen. Warum man gerade diesen Sektor unterstützen will, dazu sagte der Minister für regionale Entwicklung, Jiri Paroubek:

"Der Ausbau von Genossenschaftswohnungen ist bestimmt für die mittlere Schicht der Bevölkerung. Das sind jene Bürger, die sich eine Finanzierung mittels einer Hypothek nicht leisten können, weil sie über kein monatliches Nettoeinkommen von 18 bis 19.000 Kronen verfügen. Mit Unterstützung des Staates können wir diese Mittelschicht für den Wohnungsbau in dem Maße interessieren, dass sie sich mehr oder weniger um die Art ihres Wohnens selbst kümmern."

In welcher Weise eine solche Genossenschaftswohnung finanziert werde, dazu erklärte Minister Paroubek:

"Die Unterstützung sieht so aus, dass die Genossenschaft für jede ihrer Wohnungen eine Subvention von 100.000 Kronen erhält, die Einlage von 200.000 Kronen hat der Genossenschaftler zu entrichten und 700.000 Kronen würden einem zinsgünstigen Kredit aus dem staatlichen Fonds der Wohnungsentwicklung entspringen. Dieser Kredit ist mit einem Zinssatz von lediglich drei Prozent zurückzuzahlen."

Eine nicht minder große Bedeutung kommt in Tschechien aber auch der Sanierung von Wohngebäuden, und hier ganz besonders der Plattenbauten aus der Zeit des so genannten Sozialismus zu. Weshalb die Sanierung des Plattenbaus in den kommenden Jahren eine hohe Priorität besitzt und warum man hierfür finanzielle Mittel aus europäischen Fonds nutzen will, das erläuterte Ivan Prikryl folgendermaßen:

"40 Milliarden Kronen beträgt der Umfang der Investitionen, die in die Plattenbauten gesteckt werden müssen. Für jeden Bürger, der in einem solchen Haus wohnt, wären das ca. 350.000 Kronen. Wir brauchen aber ein Konzept, bei dem die Rekonstruktion der Plattenbauten aus der Sicht seiner Bewohner finanzierbar ist. Die zweite Sache ist die, dass der technische Stand dieser Gebäude eine Sanierung in der Tat erforderlich macht. Wenn wir innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre nichts in eine solche Rekonstruktion investieren, dann kann es zu folgenschweren Schäden oder Zerstörungen kommen."

Die finanzielle Unterstützung von Seiten der Europäischen Union sollte aus dem Topf zumindest eines ihrer Strukturfonds fließen. Tschechien erwägt, in den Jahren von 2007 bis 2013 jährlich rund drei Milliarden Euro aus diesem zu erlangen. Doch Minister Paroubek weiß auch, dass man die EU-Vertreter von der Notwendigkeit der Plattenbau-Sanierung erst noch überzeugen muss:

"Dass das Geld fließen wird, ist klar. Doch hinsichtlich dessen, wofür es verwendet wird, haben wir zwar die Plattenbau-Sanierung in Erwägung gezogen, dürfen aber noch keine einzige Krone dafür ausgeben. Denn die europäischen Richtlinien lassen das nicht ohne weiteres zu, darüber müssen wir erst noch verhandeln."

In Tschechien gibt es eine Million und 160.000 Plattenbauwohnungen, von denen derzeit nur 20.000 pro Jahr saniert werden. Sanierung, das ist auch das Schlagwort für viele Haus- und Wohnungsbesitzer. Das aktuell noch geltende Gesetz über den Wohnungsbesitz sieht vor, dass hierfür das Einverständnis aller Eigentümer vorliegen müsse. Das hat sich in der Vergangenheit nicht selten als Hemmnis erwiesen, weshalb im März im Parlament eine Novelle zu diesem Gesetz verabschiedet wurde, aus der hervorgeht, dass zukünftig eine Drei-Viertel-Mehrheit unter den Eigentümern genügt, um Maßnahmen zur Rekonstruktion des Wohngebäudes durchzuführen. Minister Paroubek hat die Gesetzesänderung so begründet:

"Im bisher gültigen Gesetz über den Wohnungsbesitz ist die Zustimmung aller Eigentümer der Wohneinheiten erforderlich. Das ist mitunter problematisch, wenn sich beispielsweise einer dieser Eigentümer längerfristig im Ausland aufhält oder sich der eine oder andere zu gewünschten Sanierungen partout nicht äußern will. Daraufhin erfolgte die Gesetzesänderung, dass dafür zukünftig die Zustimmung einer Mehrheit genügt."

Das geänderte Gesetz muss lediglich noch vom Präsidenten der Republik unterzeichnet werden. Wenn dies geschehen ist, wird es aller Voraussicht nach ab dem 1. Januar 2006 in Kraft treten.

Neben all diesen Aktivitäten engagieren sich die Städte und Gemeinden in Tschechien auch wesentlich stärker als früher im sozialen Wohnungsbau oder aber bei der Unterstützung von jungen Familien, denen es finanziell noch schwer fällt, sich ein eigenes Zuhause zu schaffen. Ein solches Projekt wurde unlängst in der nordmährischen Stadt Jesenik/Freiwaldau vorgestellt. Die stellvertretende Bürgermeisterin Jaroslava Javorikova sagt uns, was es mit den so genannten Startwohnungen auf sich hat:

"Sie sollten vor allem dazu dienen, dass sich junge oder auch sozial schwache Leute nirgendwo anders um ihre Unterkunft kümmern müssen. Deshalb schaffen wir diese kleinflächigen, so genannten Startwohnungen für Hauhalte mit begrenztem Einkommen, um als Stadt zu helfen."

Die Stadt Jesenik will zu diesem Zweck fünf Millionen Kronen aus dem staatlichen Fonds der Wohnungsentwicklung erwerben. Dank all dieser Initiativen sowie der auf dem Bausektor relativ unbürokratischen Bedingungen ist der tschechische Markt im Bauwesen auch für viele internationale Firmen interessant. Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland zum Beispiel gibt es hierzulande auf diesem Gebiet keine solch strengen Vorschriften bezüglich des für Bauarbeiter einzuhaltenden Lohn- und Sozialniveaus. Das nutzen daher immer mehr Baufirmen aus der benachbarten Slowakei, aber auch aus Polen und den baltischen Ländern, um vom tschechischen Markt zu partizipieren. Doch die Auftragslage in Tschechien lässt für alle von ihnen auch einiges übrig vom großen Kuchen. In den nächsten zehn Jahren sollen nämlich in der Tschechischen Republik Bauten im Gesamtwert von nicht weniger als vier Billionen Kronen (ca. 133 Milliarden Euro) entstehen. Davon entfallen 1,5 Billionen auf den Wohnungsbau, eine Billion auf den Ausbau der Infrastruktur, 500 Milliarden auf den örtlichen Bau in Städten und Gemeinden sowie eine Billion auf die Aufträge von privaten Investoren. Das sind fürwahr keine schlechten Aussichten.