Besuch im Arbeitszimmer von T.G. Masaryk – vor 75 Jahren

Foto: ČTK

An vielen Orten in Tschechien wurde am Sonntag an den 160. Geburtstag von Staatsgründer Tomáš Garrigue Masaryk erinnert. Masaryks Geburtsort Hodonín zeigte eine Ausstellung zum Leben des ersten tschechoslowakischen Staatspräsidenten. Der präsidiale Sommersitz im mittelböhmischen Lány erhielt eine neue Statue. Und auf der Prager Burg konnten erstmals in der Geschichte „Normalsterbliche“ die Original-Arbeitsräume des ehemaligen Staatsoberhaupts besichtigen. Der Tschechische Rundfunk war aber 1935 bereits in diesen Räumen, die Reportage ist im Rundfunk-Archiv erhalten geblieben.

„Verehrte Zuhörer, wir sprechen heute von der Prager Burg zu Ihnen. Aus den Arbeitsräumen des Präsidenten der Republik, die zugleich seine Bibliothek sind.“

Am ersten März-Sonntag vor 75 Jahren hatte wahrscheinlich erstmals überhaupt ein Rundfunk-Reporter Zutritt zu diesen heiligen Hallen. Tomáš Garrigue Masaryk war eine weithin verehrte Persönlichkeit. Er galt beinahe als unantastbar – kaum erstaunlich, dass der Hausherr nicht persönlich durch seine Räume führte. Arbeite der „Herr Präsident“ auch wirklich hier und wann sei er denn das letzte Mal da gewesen, will der Reporter daher von einem Mitarbeiter Masaryks wissen:

Tomáš Garrigue Masaryk in seiner Bibliothek auf der Prager Burg
„Zuletzt war er am Freitag hier. Und er hofft, dass er jeden Sonntag wieder regelmäßig hierher nach Prag kommen kann. Wenn er da ist, dann arbeitet er in diesem Raum oder im kleineren Saal nebenan. In der Bibliothek empfängt er auch einige Besuche. Er sitzt meist an dem großen Tisch dort, der zwei mal drei Meter misst. Solche großen Arbeitstische mag Herr Präsident gerne“, so der literarische Sekretär Masaryks, Vasil Škrach.

Die Bibliothek hatte sich der Staatspräsident gleich nach seinem Einzug auf der Prager Burg einrichten lassen. Die Arbeiten wurden 1925 vollendet, und bis heute sind die Räume in ihrer damaligen Form belassen. Das Schmuckstück waren indes die Bücher. Sie standen auf Regalen aus dunklem, massivem Holz und waren bis unter die Decke gestapelt - aber nicht nur in der Bibliothek und im kleineren Arbeitszimmer, sondern auch im Schlafzimmer und in weiteren Räumen bis zum Speicher. Masaryks Bibliothekar Oskar Odstrčil:

Vasil Kaprálek Škach
„Insgesamt hat Herr Präsident in seiner Bibliothek über 100.000 Bücher. Davon sind genau 94.000 Bände katalogisiert.“

So der Bestand kurz vor dem 86. Geburtstag des Präsidenten. Die größten Themengebiete waren Religion und Philosophie sowie Geschichte. Masaryk war ja nicht nur Staatsmann, sondern auch Wissenschaftler. Er hatte an der Prager Karlsuniversität Philosophie gelehrt, kannte sich aber auch in Soziologie und Pädagogik aus:

„Die Bücher sind gemäß einem Plan angeordnet, den der Herr Präsident selbst erstellt hat und den er so gut kennt, dass er von jedem Buch weiß. Und wenn er ein Buch braucht, dann holt er es sich selbst“, erläutert Odstrčil.

Bücher seien für Masaryk tägliches Arbeitsmittel – er sammle sie also nicht der Schönheit wegen, wie der literarische Sekretär Škrach anmerkt. Dann greift Škrach nach einem Band jenes Philosophen, dem sich Masaryk sein Leben lang am stärksten verbunden gefühlt hat:

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„Warten Sie, ich zeige Ihnen etwas. Hier sind die ausgewählten Aufzeichnungen von Platon. Sie sehen, sie sind in einem wunderschönen Pergament-Einband gefasst. Und sehen Sie hier, hier hat der Herr Präsident in seiner Schrift auf den Buchrücken mit Tinte den Inhalt der Dialoge geschrieben, die jeder der Bände enthält.“

Heutzutage ist immer noch rund die Hälfte der Bücher in den Originalräumen auf der Prager Burg aufbewahrt und dient dem heutigen Präsidenten Václav Klaus. Den Rest beherbergt das Prager Masaryk-Institut.

Autor: Till Janzer
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