Betramka

Willkommen liebe Hörerinnen und Hörer, zum heutigen musikalischen Spaziergang durch Prag. Würde man alle Kompositionen von Wolfgang Amadeus Mozart hintereinender spielen, so bräuchte man neun Tage und neu Nächte - 650 Stücke, 220 Stunden Musik - dies haben mathematisch begabte Musikhistoriker ausgerechnet. Ein Teil dieser Werke entstand auch in Böhmen. Neben dem Ständetheater ist ein weiterer erhaltener Ort in Prag mit Mozarts Aufenthalten verknüpft - die Villa Bertramka im Stadtteil Smichov. Im Rahmen des Projektes Prag- europäische Kulturstadt des Jahres 2000 wurde die Exposition in der Mozart-Gedenkstätte Bertramka renoviert. Über die Geschichte dieses Prager Ortes, der dank Mozart Bestandteil der Musikgeschichte geworden ist, erfahren Sie mehr in den folgenden Minuten.

"An die Villa, deren früherer Besitzer Frantisek Dusek oder eigentlich seine Gattin, die Sängerin Josefina Dusek war, erinnere ich mich sehr gut. Nicht einmal heute - nach 59 Jahren - würde ich mich dort verirren. Von dem Haus selbst habe ich mir vielleicht jedes Zimmer sowie jede Stelle im dortigen Garten gemerkt... im Garten gab es damals links ein kleines Blumenbeet und einen hinauf führenden Weg, der von Obstbäumen gesäumt war. Rechts baute man ein Glashaus. Oben wurde der Berg landwirtschaftlich genutzt, von dort aus konnte man den Friedhof sehen. Oben auf dem Hügel befand sich auch ein Pavillon, in dem die erwähnte Besitzerin des Hauses einst die Feder und das Notenpapier für meinen Vater vorbereitet haben soll. Sie deutete ihm damals an, er dürfe den Pavillon nicht verlassen, bevor er die ihr versprochene Arie Bella mia fiamma, addio nicht zu Ende komponiert habe. Er tat, wie ihm geheißen wurde. Drohte jedoch seiner despotischen Freundin, dass er die Arie sofort vernichten werde, falls es ihr nicht gelingt, sie ohne a la prima vista vorzutragen... In Erinnerung habe ich auch, wie Sie sich denken können, den unteren Teil ihres Anwesens, wo sich ein Obstgarten erstreckte - wie ein Stück Paradies auf Erden...."

Ungefähr auf diese Weise beschrieb im März 1856 aus Mailand Mozarts Sohn Karl Thomas seine Erinnerungen an Betramka dem damaligen Besitzer des Anwesens, Adolf Popelka. Damit lieferte er zugleich ein authentisches Zeugnis über das Aussehen des Sommersitzes des Ehepaars Dusek in den Jahren 1792-1797. Er weilte gemeinsam mit seinem Bruder Franz Xaver zu dieser Zeit in Prag, beim Ehepaar Dusek und bei Professor Nemecek, der später Mozarts Biographie verfasste. Mozarts Söhne wohnten damals in Duseks Wohnung auf dem Kleinseitner Ring.

Adolf Popelka, der Adressat des erwähnten Briefes, war der Sohn von Lambert Popelka, dem Begründer des Mozart-Kults in der Villa Bertramka. Er hatte Verständnis für den dortigen genius loci und war sich dessen bewusst, dass Bertramka mit der Vollendung der Oper Don Giovanni und auch mit den erfolgreichen Augenblicken während Mozarts Aufenthalten in Prag - mit der Entstehung der berühmten Konzertarie Bella mia fiamma, addio und weiterer zwei Lieder - verbunden ist. Popelka konzentrierte sich als Sammler auf Gegenstände, die mit Mozarts Besuchen in Prag zusammenhingen und knüpfte an die Bemühungen der tschechischen Mozart-Bewunderer an, die 1837 - anlässlich des 50. Jahrestags der Uraufführung der Oper Don Giovanni - eine Mozart-Gedenkstätte in der Universitätsbibliothek eröffneten. Popelka konnte nicht ahnen, dass 1927 in der Tschechoslowakei die Mozart-Gemeinde errichtet wird, die die Villa Bertramka als Gedenkstätte retten sollte.

Die Bertramka - kann nach Meinung des Schriftstellers Arthur Schurig - viel eher Mozarts Heim genannt werden als alle die anderen Häuser, die er in Salzburg und Wien bewohnte. Wo überall war eigentlich Wolfgang Amadeus Mozart, einer der genialsten Komponisten aller Zeiten beheimatet? In Salzburg, in Wien, oder etwa in der Prager Villa Bertramka? Es besteht kein Anlass, die Worte, mit denen der Schriftsteller Arthur Schurig die musikliebenden Prager und vor allem die Besitzer der Bertramka zu Mozarts Zeiten bewunderte und pries, für eine Übertreibung zu halten. Auch wenn Mozart während seiner Pragbesuche nur zweimal in der Bertramka wohnte, wurde sie ihm zum Symbol großer Freundschaft, eines menschlichen wie musikalischen Verständnisses. Mozarts zweiter und letzter Aufenthalt in der Villa Bertramka war allerdings schon von der Krankheit und dem nahenden Tod überschattet.

Die heutige Bertramka ist ohne Probleme mit den städtischen Nahverkehrsmitteln erreichbar. Zu Mozarts Zeiten war es von Prag und seinen Stadtmauern zur Bertramka noch ein langer Weg. Von ihrem ausgedehnten Grundbesitz ist heute nur noch ein Teil des Gartens erhalten, in dem Mozart gern an einem steinernen Tisch saß und arbeitete. Der Winzer- und Bauernhof Bertramka stammt aus der Wende des 17. und 18. Jahrhunderts. Seinen Namen erhielt er von den ehemaligen Besitzern Frantiska und Frantisek von Bertrab, nach denen das Gut allerdings noch mehrfach seinen Besitzer wechselte.

1784 ging es in den Besitz von Josefine Dusek, geboren Hambacher, über. Josefina war eine hervorragende Sängerin, ihr um 18 Jahre älterer Mann Frantisek Xaver Dusek ein Komponist, Klaviervirtuose und Pädagoge. Zum ersten Treffen des Ehepaars Dusek mit Mozart kam es 1777 in Salzburg, wo Duseks auf ihrer Hochzeitsreise Station machten. Doch es vergingen fast zehn Jahre, bevor es zu einer Begegnung zwischen den Duseks und dem Komponisten in der Bertramka kam. Offensichtlich war es aber zwischendurch zu einigen gelegentlichen Treffen gekommen. Mozarts Aufenthalte in Prag in dem Zeitraum von 1787 bis 1791 beeinflussten das Entstehen einer Prager Mozart-Legende.

Die begeisterten Prager waren die ersten Zuhörer seines Don Giovanni im Oktober 1787, dessen Opernpartitur der Komponist kurz vor der Premiere in der Bertramka vollendet haben soll. In Prag wurde zum ersten Mal die Sinfonie D-dur aufgeführt, die seitdem die Prager genannt wird. Hier dirigierte Mozart Figaros Hochzeit, komponierte die erwähnte Konzertarie Bella mia fiamma, addio für Josefine Dusek. In Prag leitete Mozart, drei Monate vor seinem Tode, die Premiere seiner Oper La clemenza di Tito. Doch dieses ungeliebte Werk war ein Misserfolg, vielleicht sogar einer, der nicht nur das seelische Wohlbefinden des Meisters beeinträchtigte.

Gewissermaßen als Anhang zu dieser Oper führt das Köchel-Verzeichnis die Baß-Arie "Io ti lascio, o cara, addio" - ich verlasse dich, teure, adieu. Constanze Mozart hat die Urheberschaft ihres Mannes für dieses Gesangsstück energisch in Abrede gestellt. Denn natürlich spekulierte alle Welt darüber, wer diese "cara" gewesen sein könnte. Nun, möglicherweise niemand anderes als die berühmte Sängerin Josefine Dusek.

Nach dem Tode ihres Mannes musste Josefine Dusek Bertramka wegen hoher Schulden verkaufen. Mit der Zeit war sie gezwungen, auch ihr Haus in der Stadt und ihre Kunstsammlungen zu verkaufen. Josefine Dusek starb 1824 in Prag und überlebte somit ihren berühmten Gast um 33 Jahre. Die neuen Besitzer von Bertramka haben die berühmte Geschichte des Anwesens nur wenig geehrt. Alles änderte sich erst nachdem Bertramka 1838 in den Besitz des Ehepaars Lambert und Crescentia Popelka überging. Insbesondere ihr Sohn, der Großhändler Adolf Popelka, an den der anfangs zitierte Brief adressiert worden war, war ein großer Bewunderer Mozarts. Popelka ließ hier auch Mozarts Büste von Bildhauer Tomas Seidan errichten. Popelka legte in der Bertramka ein Gedenkbuch an, in das sich anlässlich des 100. Jahrestags der Premiere von Don Giovanni im Jahre 1887 bei ihrem Besuch in der Bertramka auch die Komponisten Antonin Dvorak und Zdenek Fibich eintrugen.