Bill Gates in Prag und Gedenken an die Opfer des Holocaust in Tschechien
Auch diesen Freitag heißt es wieder: Im Spiegel der Medien. Heute mit Reaktionen zu Bill Gates' Prag-Besuch und dem 27. Januar, dem Tag zum Gedenken der Opfer des Holocaust. Im Studio sind für Sie Daniel Satra und Markéta Maurová.
Petr Koubský, Chefredakteur der Computerzeitschrift Inside, begründet in der Tageszeitung Lidové Noviny, warum in Tschechien so viel Aufhebens um den Gates-Besuch gemacht wurde. Warum also Bill Gates mit seinem unscheinbaren Schuljungen-Charme auf die tschechische Öffentlichkeit und die Berichterstatter die Magnetkraft eines Popstars ausübt:
"Bill Gates hat sich unsere Aufmerksamkeit schon deshalb verdient, weil er einer der wenigen Weltstars ist, die ihre Position anders als mit öffentlicher Zurschaustellung, dem Spiel mit dem Ball oder der Politik erreicht haben. Er hat etwas zum Verkauf angeboten und hatte damit Erfolg - einen so großen - dass er die Konkurrenz ausschaltete und in Schwierigkeiten geriet."
Doch der Microsoft-Chef hat sich nicht nur Freunde gemacht, seine Feinde sichtet Koubský an unterschiedlichen Fronten:
"Viele Computerfachleute können Gates nicht leiden, weil der Druck von Microsoft eine geschäftlich erfolglose aber kreative Vielfalt durch ein solides durchschnittliches Fertigbauteil ersetzt hat. Zugleich geht er den Globalisierungsgegnern auf die Nerven, steht er doch für eines der schlagkräftigsten transnationalen Unternehmen."
Seine Freunde findet Bill Gates nach Koubskýs Ansicht bei den Liberalen, die die Kritik an der Monopolstellung des Software-Riesen als staatliche Schikane interpretieren.
Doch was von all dem ist nun wahr, fragt sich der Autor, und hat sogleich eine einfache Antwort parat: "So gut wie alles".
Der Sozialökologe Bohuslav Blazek nimmt den Gates-Besuch zum Anlass, um an die Geschichte zu erinnern. An die ersten Tage des heutigen Software-Riesens. Gates, so berichtet Blazek, konnte 1976 die damalige Bastler-Gemeinde überzeugen für ihre Computer seine Software zu nutzen. Blazek schreibt:
"Und die Bastler haben ihm geglaubt, und gingen davon aus, dass sie ohne gute Software ihre Mikrocomputer wegwerfen konnten."
Gates damalige Überzeugungskraft hatte fatale Folgen, meint Blazek, denn heute gäbe es Microsoft-Software, die mehr schlecht als recht funktioniert, und von Version zu Version teurer verkauft werde.
Und nun, liebe Hörerinnen und Hörer, verlassen wir Business, Bits und Bytes und kommen zu unserem zweiten Thema im Spiegel der Medien. Dem 27. Januar.
Im November vergangenen Jahres hatte das tschechische Abgeordnetenhaus beschlossen, dass der 27. Januar - der Tag, an dem die Roten Armee das KZ Auschwitz befreite - als Gedenktag an die Opfer des Holocaust auch in tschechischen Kalendern vermerkt sein sollte. 14 europäische Staaten haben diesen Tag bereits zum Anlass für ihr Gedenken genommen, und auch Israel zollt diesem Datum seit diesem Jahr besondere Aufmerksamkeit. Vergangene Woche, kurz vor dem ersten offiziell geplanten tschechischen Gedenktag, hat der Senat den Gesetzesentwurf über diesen und andere Gedenk- und Feiertage jedoch zurückgewiesen, es bestehe noch Bearbeitungsbedarf.
Der stellvertretende Chefredakteur der Lidové Noviny Jaroslav Plesl, schreibt, warum ein Gedenken an die Opfer des Holocaust auch in Tschechien notwendig ist: "Um zu warnen!", so Plesl schon in der Überschrift. Seine Warnung eröffnet er mit einem erschreckenden und beeindruckenden Beispiel, Zitat:
"Die Juden sollten aufhören, so zu tun, als seien sie die 'Opfer des Holocaust'. Das denkt jeder dritte Europäer, so das Ergebnis einer soziologischen Studie im Auftrag der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera in neun westeuropäischen Staaten."
Grund genug für Plesl das Gedenken europaweit aufrecht zu erhalten und zu fördern, nur so könne man gegen die "antisemitische Welle in Europa" ankommen. Weiter schreibt Plesl:
"In Tschechien gibt es zudem einen wichtigen Grund, warum auch wir hier gemeinsam mit 14 anderen Staaten in Europa der Opfer des Holocaust gedenken sollten. Denn wir würden uns nicht allein die Erinnerung an die Ermordung tschechischer Juden ins Gedächtnis zurückrufen, sondern auch die Ermordung der Roma und der Homosexuellen, beides Minderheiten, die auch heute oft zur Zielscheibe von Hassattacken und sogar Gewalttaten werden."
Nach wie vor seien in Tschechien die Wissenslücken groß, wenn es um den Holocaust und seine Opfer gehe. Über den Roma-Genozid seien erst nach 1989 nachhaltige Informationen ans Tageslicht der Öffentlichkeit gedrungen, die Ermordung Homosexueller zur Zeit des Protektorats Böhmen und Mähren sei gar bis in die Gegenwart nicht auf der Agenda eines öffentlichen Diskurses anzutreffen.
Auch Tomás Jelínek, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Prag, ist von Sinn und Notwendigkeit des staatlichen Gedenktages überzeugt. Zu Radio Prag sagte er:
"Es geht um ein gewisses Aufrechterhalten der gesellschaftlichen Erinnerung. Und Bestandteil einer solchen Kultur sind insbesondere Gedenktage. Ich sehe dabei als grundlegend an, dass neben dem Pietätsteil das Hauptaugenmerk auf die Jugend gerichtet ist. In der Tschechischen Republik gibt es heute bereits eine ganze Reihe von Programmen, die sich damit auseinandersetzen. Und alle haben sie Eines gemeinsam: Sie wollen die Jugend dazu bringen, sich mit dem Leid der Menschen im Zweiten Weltkrieg zu befassen."
Die Jugend ist es auch, die nach Ansicht Jelíneks den entscheidenden Beitrag dazu leisten muss, das Andenken an die Opfer aufrechtzuerhalten. Dazu gehört es auch die Erinnerung an die grenzenlose Gewalt, die sich gegen Juden, Roma und andere Bürger der Tschechoslowakei richtete, nicht verblassen zu lassen. Denn, so warnt Jelínek:
"Hier gibt es eine marginale aber vitale Gruppe Jugendlicher, die sich mit Verleugnungsliteratur und -argumentation beschäftigt, und die zudem Material verbreitet, das das Ermorden der Juden in Europa während des Zweiten Weltkriegs in Frage stellt. Diese beiden Gruppen werden - wie immer schon in der Geschichte - miteinander konkurrieren. Und die erste Gruppe, die an Masaryk zur Zeit der Justizaffäre gegen den Juden Leopold Hilsner anknüpft, soll langfristig den Sieg davontragen, und dies auch mit der Unterstützung tschechischer Eliten."
Das war Tomás Jelínek, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Prag.