Bleiben Tschechiens Sozialdemokraten in der Geiselhaft der orthodoxen Kommunisten?

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Auch die heutige Ausgabe unserer Sendereihe Schauplatz widmet sich dem wichtigsten innenpolitischen Thema der letzten Wochen, nämlich der Regierungskrise. Silja Schultheis und Robert Schuster gehen diesmal der Frage nach, welche Rolle die tschechischen Kommunisten in den vergangenen Wochen gespielt haben.

Die seit Monaten dauernde Regierungskrise in Tschechien hat vorvergangene Woche eine unerwartete Dynamik bekommen. Zunächst machten die Christdemokraten nach Wochen des Zögerns ihre Drohung wahr und verließen die Koalition mit den Sozialdemokraten und der liberalen Freiheitsunion. Kurz danach war dann Premier Stanislav Gross, dessen Affären die eigentlichen Auslöser der Krise waren, im Parlament mit einem Misstrauensantrag der Opposition konfrontiert. Er überstand ihn jedoch nur dank der Stimmenthaltung der kommunistischen Abgeordneten.

Die orthodoxen tschechischen Kommunisten sind also somit innerhalb weniger Jahre zum zweiten Mal zu Königsmachern geworden, indem sie aktiv eine wichtige politische Entscheidung maßgeblich beeinflusst haben. Während aber vor mehr als zwei Jahren, als die Kommunisten Vaclav Klaus ins Präsidentenamt verhalfen, ihre Haltung keine direkten innenpolitischen Konsequenzen hatte, fordern sie nun indirekt Einfluss auf die Regierungsarbeit. Gleichzeitig lassen die Kommunisten seit dieser Abstimmung niemand darüber im Zweifel, dass sie jederzeit die Regierung stürzen könnten.

Viele politische Beobachter vertreten seither die Meinung, dass die Sozialdemokraten nun zu Geiseln der tschechischen Kommunisten geworden sind. Das ist eine Entwicklung, die mittlerweile auch vielen Sozialdemokraten zu denken gibt. Davon zeugt nicht zuletzt auch die wachsende Bereitschaft, gegebenenfalls Stanislav Gross als Regierungschef aus dem Rennen zu nehmen und jemand anderes als Kandidaten für den Posten des Premierministers aufzustellen. Dessen Aufgabe wäre es dann wohl, die alte Drei-Parteien-Koalition wieder herzustellen und somit die Sozialdemokraten aus den Fängen der Kommunisten zu befreien.

Ob dieser Schachzug mit einem neuen Spitzenmann wohl aufgehen könnte? Darüber unterhielten wir uns im Folgenden mit dem Politikwissenschaftler Josef Mlejnek von der Prager Karlsuniversität:

"Wenn letztlich die Variante eintreten würde, dass jemand anders die Regierung bilden würde, ist es sowieso fraglich, ob dieser neue Regierungschef die notwendige Unterstützung bei den nichtkommunistischen Parteien im Parlament bekäme, oder vielleicht sogar die alte Koalition aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und Liberalen erneuern könnte. Das Problem ist nämlich, dass vor allem das Verhältnis zwischen den Sozialdemokraten und den Christdemokraten sehr angespannt ist und in den letzten Wochen haben sich noch zusätzliche Emotionen aufgestaut. Der einzige Ausweg aus der anhaltenden Krise wären Neuwahlen, aber hier haben wir die Situation, dass diese wohl niemandem so recht gelegen kämen. Die Sozialdemokraten befinden sich in einem historischen Tief, die liberale Freiheitsunion würde Umfragen zufolge nicht mehr ins Parlament gelangen. Ungelegen käme aber so etwas auch für die Kommunisten, denn nach den Wahlen gäbe es wohl auf Grund des schlechten Abschneidens der Sozialdemokraten im Gegensatz zur jetzigen Situation keine linke Mehrheit mehr im Parlament. Die Kommunisten befinden sich nun also in einer sehr komfortablen Lage, denn sie können die Sozialdemokraten in Schach halten und auch von dieser Situation profitieren."

Die tschechischen Sozialdemokraten sind schon lange uneins, wie man mit der Konkurrenz von links, sprich den Kommunisten, umgehen soll. Seit 1995 gibt es einen Parteitagsbeschluss, der jegliche Zusammenarbeit mit der früheren Staatspartei verbietet. Genauso alt sind aber auch die Versuche, diesen Beschluss zu umgehen oder ihn zu relativieren.

Welche Konsequenzen hätte eine offene Zusammenarbeit mit den Kommunisten für die Sozialdemokraten? Würde das die historisch älteste tschechische Partei in letzter Konsequenz nicht zerreißen? Hören Sie dazu die Ansicht des Politikwissenschaftlers Josef Mlejnek:

"Ich befürchte eher, dass so etwas zu einer Bolschewisierung der Sozialdemokraten führen würde. Gerade jetzt zeigt sich nämlich, dass die Partei nicht auf festen Füßen steht. Die Partei, die frührer irgendwo bei sechs oder sieben Prozent lag, verdankt ihren Aufstieg dem früheren Parteichef Milos Zeman, der mit Hilfe einer betont linken bis populistischen Rhetorik den Erfolg brachte. Im Grunde genommen hat aber die Partei kein klares Programm, weiß nicht, wofür sie stehen soll. Oft werden da nur irgendwelche Themen von den europäischen Schwesterparteien übernommen. Ein weiterer Nachteil ist sicherlich auch die fehlende Parteibasis, die zu einer schwachen Vertretung in den kommunalen und regionalen Parlamenten führt. Es mangelt dann also auch an Politikern, die im Stande wären, die gegenwärtige politische Garnitur zu ersetzen."

Eine gewisse Affinität der Sozialdemokraten gegenüber den Kommunisten hängt aber laut dem Politologen Josef Mlejnek auch mit einem anderen Faktor zusammen. Viele sozialdemokratische Parteimitglieder waren nämlich früher vor der Wende Mitglieder der Kommunistischen Partei und wurden dort auch politisch sozialisiert. Somit würden seiner Meinung nach auch die möglichen Hemmschwellen für eine eventuelle Zusammenarbeit sehr niedrig liegen. Das beginnt schon bei einigen führenden sozialdemokratischen Politikern, wie etwa dem Fraktionschef im Abgeordnetenhaus Michal Kraus. Kraus saß nämlich schon vor der Wende für die Kommunisten im Parlament und hielt der Partei auch nach 1989 eine gewisse Zeit die Treue. Dann trat er jedoch relativ problemlos zu den Sozialdemokraten über.

Michal Kraus  (Foto: Zdenek Valis)
Es besteht laut Josef Mlejnek gegenwärtig eine Art Panik, dass die Kommunisten stärkeren Einfluss auf die Regierung bekommen könnten. Dabei würde aber vergessen, dass im Grunde genommen auch die Sozialdemokratische Partei mit ihrem hohen Anteil an ehemaligen KP-Mitgliedern eigentlich einen Wandlungsprozess durchmachen müsste, so wie er korrekterweise auch immer wieder von den Kommunisten eingefordert wird. Josef Mlejnek:

"Die Tschechische Republik hat unter den Reformländern eine Sonderstellung, denn hier haben es die Kommunisten nicht geschafft, sich wie in Polen oder Ungarn in eine postkommunistische Partei umzuwandeln, das heißt in eine Partei, die sich weitgehend an den westeuropäischen Mitte-Links-Parteien orientieren würde. Auf Grund dieser Neupositionierung und einer Hinwendung zur Mitte sind diese Parteien in Polen oder Ungarn auch für andere Wählergruppen wählbar geworden. Nicht jedoch in Tschechien, wo die Kommunisten im Gegenteil in den letzten Jahren vor allem an den politischen Rändern neue Wähler erreichen konnten. Jetzt besteht die Frage, wie sich die Kommunisten weiter verhalten werden, ob sie sich als Oppositionspartei mit den sicheren zwanzig Prozent, die sie nun haben, zufrieden geben werden, oder ob sie wirklich die Macht erlangen wollen. Die erste Möglichkeit würde die Erhaltung des Status Quo bedeuten, die zweite eine Reform in die Wege leiten. Es fragt sich aber, wie die rigide Parteibasis zu so etwas stehen würde und ob sie nicht solche Veränderungen von vornherein ablehnen wird."

CSSD-Parteitag  (Foto: Zdenek Valis)
Schon seit Jahren wird beklagt, dass es in Tschechien nach den Parlamentswahlen immer schwieriger ist, eine stabile Regierungsmehrheit zu bilden, die sich auf eine breitere Mehrheit stützen würde. Einige Politologen sehen die Ursache dafür in den Bestimmungen des geltenden Wahlgesetzes und fordern deshalb dessen Änderung, oder zumindest eine Modifizierung der Methode, mittels derer die Stimmen auf Mandate umgerechnet werden.

Auch während der gegenwärtigen Regierungskrise wurde dieser Vorschlag erneut ins Spiel gebracht. Wäre das ein Ausweg? Abschließend kommt noch einmal der Politikwissenschaftler Josef Mlejnek von der Prager Karlsuniversität zu Wort:

"Ja, hier wird schon seit Jahren über eine mögliche Änderung des Wahlsystems diskutiert, genauso wie über eine Verfassungsänderung. Es gab ja bereits einen Versuch der Sozialdemokraten, die zusammen mit den oppositionellen Bürgerdemokraten bestimmte Änderungen herbeiführen wollten, aber das Vorhaben scheiterte am tschechischen Verfassungsgericht. Ich denke aber, dass die eigentliche Ursache der geringen politischen Stabilität eben die Starke Stellung der orthodoxen Kommunisten ist, welche die politischen Kombinationsmöglichkeiten der Parteien stark einschränkt. Das ist so, wie wenn beim Eishockey die Spielfläche um ein Fünftel, was dem Wähleranteil der Kommunisten entspricht, verkleinert würde. Das würde auch die Spielvarianten stark beeinträchtigen. Zudem darf man nicht vergessen, dass es wegen der Kommunisten seit 1989 in Tschechien nie zu einem wirklichen Machtwechsel gekommen ist, das heißt, dass die bis dahin regierenden Parteien nach den Wahlen alle in Opposition gegangen wären. Meiner Meinung nach würde also alle Probleme mit dem Wahlsystem die Etablierung einer starken, demokratischen politischen Kraft auf der Linken lösen."