Bohemians bittet Bohemians zur Kasse: Fünffacher Eintritt für Fans der Gäste

(Foto: ČTK)

Im Fußball sind Derbys bekanntlich das Salz in der Suppe. Die Gefühlslage in den Lagern der beiden Teams, die jeweils aufeinander treffen, strotzt oft vor Rivalität und Missgunst. Wenn diese Eigenschaften jedoch in offenen Hass umschlagen, bleibt der Sport meist auf der Strecke. Eine Tatsache, die man jetzt auch in Prag beobachten konnte – beim Erstligaduell der beiden verfehdeten Bohemians-Vereine.

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Seit über 100 Jahren werden sie von ihren Fans bejubelt und besungen, die Fußballer aus dem Bohemians-Stadion im Prager Stadtteil Vršovice. Es sind die Kicker des gleichnamigen FC Bohemians oder auch nur die „Klokani“, wie sie liebevoll wegen ihres Vereinwappens, dem Känguru, genannt werden. Seit vier Jahren aber ist ihre Freude getrübt. Denn ausgerechnet im Jahr seines 100-jährigen Bestehens war der Club im Frühjahr 2005 in den finanziellen Ruin geschlittert. Wegen einer Schuldenlast von umgerechnet 1,4 Millionen Euro musste der Verein Konkurs anmelden. Vor dem Untergang haben ihn seine tollen Fans gerettet: Sie sammelten drei Millionen Kronen, mit denen sich der Kultclub wenigstens die Lizenz für die dritte Liga sichern konnte. Der Vereinsname und das Wappen aber waren weg. Beides hatte der Gesamtverein TJ Bohemians Prag, in dem die Fußballer jahrzehntelang integriert waren, an den Drittligaclub FC Střižkov verliehen. Dieser FC Střižkov, ein Nobodyteam aus dem neunten Prager Stadtbezirk, wurde danach mit dem Geld seiner solventen Besitzer, dem neuen Namen FC Bohemians Prag und dem Känguru-Logo bis ganz nach oben gepäppelt. Den Aufstieg zurück in die erste Liga schaffte auch der Nachfolge-Club des Traditionsvereins aus Vršovice – Bohemians 1905, wie sich die Grün-Weißen in Anlehnung an ihr Gründungsdatum jetzt nennen. Bis heute aber haben die Funktionäre, Spieler und Fans des tschechoslowakischen Meisters von 1983 den Machern aus Střižkov nicht verziehen, sich mit erkauftem Recht nun ihres Namens und Wappens zu bedienen.

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Am vergangenen Sonntag kam es zum ersten sportlichen Aufeinandertreffen der beiden Bohemians-Teams in der ersten Liga. Zwei Clubs, die sich absolut nicht leiden können. Würden sie daher zumindest auf dem Spielfeld zeigen wollen, wer der sportlich Bessere von beiden ist? Eine illusorische Vorstellung, war sich der Clubdirektor der 05er, Lukáš Přibyl, schon vor dem Anstoß sicher:

„Dafür kann ich nicht die Hand ins Feuer legen, denn es wird viele Provokationen geben“, sagte Přibyl.

Přibyl wusste, wovon er sprach. Bereits zu Saisonbeginn hatten die Verantwortlichen um Střižkovs Bohemians-Chef Josef Jícha verlauten lassen, zu diesem beispiellosen Hass-Duell gar nicht erst antreten zu wollen. Das aber wären von vornherein drei verschenkte Punkte gewesen, die ausgerechnet dem ungeliebten Konkurrenten aus dem zehnten Stadtbezirk zugefallen wären.

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Die Begegnung fand statt, also wollten sie die Fans der 05er auch zu ihrem Saison-Highlight machen. Schon einige Zeit vor dem Spiel trafen sich über 200 von ihnen an der Metro-Endstation in Dejvice, um sich von dort gemeinsam auf den Weg zum Spielort, dem Strahov-Stadion zu machen. Angeführt wurden die Fans von keinem Geringeren als ihrem Präsidenten, dem Clubidol Antonín Panenka. Spätestens seit der tollen Rettungsaktion von vor vier Jahren fühlt sich Panenka den Fans zu tausend Dank verpflichtet:

Antonín Panenka  (rechts),  foto: ČTK
„Die Fans haben sich das verdient. Allein schon wegen ihnen muss man alles tun“, sagte Panenka, und spornte die Meute an, es allen zu zeigen. Das ließen sich die Fans nicht zweimal sagen. Stolz präsentierten sie sich in einem gelben Leibchen, auf dem geschrieben stand: „My jsme Bohemka“ (Wir sind Bohemians). Das Trikot mit dem unmissverständlichen Schriftzug war eine Anfertigung nur für dieses Spiel; mit der Farbe gelb symbolisierten sie ihre Solidarität mit ihrer Mannschaft: Als Gästeteam konnte diese nicht im traditionellen Grün-Weiß, sondern musste im gelben Auswärtsdress antreten. Auf dem Weg zum Stadion machten sie mehr als deutlich, welcher der beiden Bohemians-Clubs ihrer Meinung der einzig wahre ist:

„Wir sind Bohemians, und ihr seid nichts!“, skandierten die 05er-Anhänger immer wieder, was selbst weniger informierte Passanten aufhorchen ließ. Eine junge Touristin war dann umso mehr verwundert, als sie erfahren hatte, was der Grund für den ungewöhnlichen Aufmarsch war:

„Das ist aber nicht sehr klug, wenn zwei Clubs denselben Namen führen“, erwiderte die Touristin.

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Nun war also auch das Ausland eingeweiht in die böhmische Provinzposse, die schließlich direkt am Stadion eine weitere Zuspitzung erfahren sollte. Die Fans der 05er sahen sich nämlich plötzlich ausgegrenzt, die Stadionkassen hatten schon 45 Minuten vor Spielbeginn geschlossen. Střižkovs Bohemians-Chef Jícha begründete den ungewöhnlichen Vorgang damit, dass die Gästeanhänger die Kartenverkäufer angeblich mit Tränengas attackiert hätten. Die jedoch sahen die Aussage ihres Direktors Přibyl bestätigt, der eine Reihe von Provokationen vorausgesagt hatte. Als wenigstens ein Kassenhäuschen wieder öffnete, war die Anspannung entsprechend groß: Sie würden nur Probleme machen, warfen sich Gäste und Gastgeber gegenseitig vor.

Letzten Endes kamen alle Anhänger der 05er noch ins Stadion, allerdings nur für den stolzen Eintrittspreis von 300 Kronen – das ist fast das Fünffache des Preises, den man sonst für den Besuch einer Partie der unattraktiven Bohemians-Elf aus Střižkov zahlen muss. Hartnäckigen Gerüchten zufolge hätte das kleine Häuflein der Střižkov-Sympathisanten nur den üblichen Obulus gezahlt oder sogar freien Eintritt gehabt. Aus diesem Grunde geht das Bohemians-Duell nun auch noch in die Verlängerung: wegen der ungleichen Preise haben die 05er-Fans eine Klage bei der Tschechischen Handelsinspektion (ČOI) eingereicht. Die Begegnung auf dem Rasen ist übrigens 0:0 ausgegangen.


Bony Wilfried  (Foto: ČTK)
Das Geschehen rund um das Bohemians-Derby spielte sich am Sonntag also weitgehend vor und nach dem eigentlichen Punktspiel ab. Nur 24 Stunden später aber konnten sich die Fußballfreunde noch auf das „echte“ Hauptstadtderby freuen – auf das 270. Duell der beiden Traditionsvereine Slavia und Sparta Prag. Wie immer ging es in dieser Begegnung um sehr viel: Neben Prestige war dies vor allem eine Wiedergutmachung für die vorangegangenen Pleiten beider Teams in der Europaliga. Am Ende der 90 Minuten in der Synot-Tip-Arena konnten die Spieler der Gäste-Elf von Sparta Prag die Arme hochreißen: Durch einen Treffer des Schwarzafrikaners Bony Wilfried hatten sie 1:0 gewonnen. Nach der Begegnung hob Sparta-Trainer Jozef Chovanec dann hervor, dass dieser Sieg ein ganz besonderer war:

Jozef Chovanec  (Foto: ČTK)
„In diesem Stadion gewinnt man nicht so leicht. In der Liga hatte Slavia hier zuvor in 20 Spielen nicht verloren. Von daher bin ich froh, dass es uns als erstem Team gelungen ist, das zu ändern.“

Völlig anders war natürlich die Stimmungslage bei Slavia-Trainer Karel Jarolím. Der 53-jährige Fußball-Lehrer, der die Rot-Weißen in den letzten beiden Jahren zum Meistertitel führte, war sichtlich enttäuscht. Kein Wunder, denn nach den schwachen Vorstellungen seiner Schützlinge in dieser Saison ist er als Chefcoach nicht mehr unumstritten. Auf der Pressekonferenz gab er sich zu diesem Thema jedoch kämpferisch:

Karel Jarolím  (Foto: ČTK)
„Ich fühle mich in meiner Position nicht gefährdet. Mir hat niemand das Ultimatum gestellt, dass ich im Falle einer Niederlage meinen Hut nehmen müsste. Im Gegenteil: Die entstandene Situation motiviert mich umso mehr, gerade jetzt Entschlossenheit und Stärke zu zeigen. Wir haben das Potenzial, um in der Tabelle wieder nach oben zu gelangen.“

Dazu muss das Team des Titelverteidigers an den verbleibenden 20 Spieltagen wenigstens sieben Punkte auf Tabellenführer Jablonec nad Nisou wettmachen. Sparta Prag wiederum liegt mit zwei Pluspunkten mehr jetzt zwei Ränge vor dem Erzrivalen Slavia.

Autor: Lothar Martin
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