Braucht Tschechien einen Kinder-Ombudsmann?

Illustrationsfoto: PublicDomainPictures, Pixabay / CC0

Gewalt und Vernachlässigung bei Kindern nehmen zu in Tschechien. Deshalb will die Regierung nun handeln. Bei einer Kabinettssitzung in dieser Woche hat sie das Amt eines Koordinators für Kinderrechte ins Leben gerufen. Dieser Posten hat jedoch nur vorübergehenden Charakter, bis man einen richtigen Kinder-Ombudsmann ernennt. Um dessen Kompetenzen gibt es allerdings Streit.

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Es sind alarmierende Zahlen, die unlängst von der Kinderrechts-NGO Centrum Locika veröffentlicht wurden. Zwei Drittel der Kinder in Tschechien wurden bereits einmal schlecht behandelt in ihrer Familie oder in der Schule. Sechs Prozent der Kinder sind sogar wiederholt Opfer von Gewalt. Das ist keine positive Bilanz, 30 Jahre nachdem die UN-Kinderrechtskonvention angenommen wurde. Auch deshalb sieht sich Tschechien dazu gezwungen, endlich zu handeln. Helena Válková (Patei Ano) ist die Menschenrechtsbeauftragte der Regierung:

„Unser System ist fehlerhaft, denn es rückt Kinder immer in den Hintergrund. Wir haben hier fünf Ministerien, die für die Angelegenheiten für die Kinder zuständig sind. Natürlich kommt es da zu Konflikten, wenn sich beispielsweise das Bildungsministerium mit dem Justiz- oder Gesundheitsressort um einen bestimmten Gesetzesentwurf streitet. Ein Kinder-Ombudsmann hingegen soll direkt auf Beschwerden eingehen, wenn irgendetwas in dem System nicht funktioniert. Und zwar nicht nur auf Beschwerden von erwachsenen Bürgern, sondern auch auf die von Kindern bis 18 Jahre.“

Helena Válková  (Foto: Archiv des Regierungsamtes der Tschechischen Republik)
Am Dienstag hat sich das Kabinett von Premier Andrej Babiš (Partei Ano) deshalb darauf geeinigt, vorrübergehend zumindest den Posten eines Koordinators für Kinderrechte einzurichten. Dieser soll letztlich von einem richtigen Kinder-Ombudsmann abgelöst werden, für den zur Stunde jedoch der legislative Rahmen fehlt. Helena Válková erläutert, warum der Posten nötig ist:

„Natürlich hat das Amt eines Kinder-Ombudsmannes Sinn. Es löst zwar nicht alle Probleme. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen aber, dass der Posten einen entscheidenden Beitrag zum Schutz von Kindern leistet.“

Positive Stimmen aus der Fachwelt

Václav Mertin  (Foto: Tomáš Vodňanský,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die Ex-Justizministerin hat auf jeden Fall Rückhalt in der Fachwelt. Unter anderem der renommierte tschechische Kinderpsychologe Václav Mertin unterstützt Válkovás Vorhaben. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks sagte er:

„Auf jeden Fall sollten Kinder einen Ombudsmann haben. Man kann sagen, dass sie der schwächste Teil unserer Gesellschaft sind. Und die Qualität einer Gesellschaft zeigt sich ja gerade dadurch, wie sie sich gegenüber den Schwächsten verhält. Natürlich könnte man fordern, dass auch Senioren und Kranke ihren eigenen Ansprechpartner bekommen sollen. Doch gerade die Kinder und Jugendlichen sind eine große Gruppe, die gleichzeitig unsere Zukunft ist. Deshalb brauchen sie auf jeden Fall einen eigenen Ombudsmann.“

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Aber eines will die Menschenrechtsbeauftragte Válková vermeiden: dass der Kinder-Ombudsmann zahnlos ist. Sie fordert deshalb, klar die Kompetenzen des Amtes abzustecken:

„Ombudsmann ist nicht gleich Ombudsmann. Wenn man beispielsweise einen Schul-Ombudsmann ernennt, ihm aber nicht die nötigen Kompetenzen an die Hand gibt, dann stimmt etwas nicht mit der Legislative. Denn in dieser Funktion reicht es nicht, nur Beschwerden entgegenzunehmen, ohne weiterführende Vollmachten zu haben. Das wäre nichts anderes als ein politischer Schlag ins Leere, der nur zu Enttäuschung bei denjenigen führt, die tatsächlich Hilfe brauchen. Einen solchen Kinder-Ombudsmann will ich nicht.“

Streit um die Kompetenzen

Stanislav Křeček  (Foto: Šárka Ševčíková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
In Tschechien gibt es seit langem einen allgemeinen Ombudsmann. Die derzeitige Amtsinhaberin Anna Šabatová begrüßt den Vorstoß von Helena Válková für einen Kinder-Ombudsmann. Sabatovas Stellvertreter Stanislav Křeček hingegen warnt vor einer Kollision der Kompetenzen:

„Ich habe nur eine Befürchtung. Wie werden der ‚große‘ Ombudsmann für die Erwachsenen und der ‚kleine‘ Ombudsmann für die Kinder, der dem richtigen Ombudsmann untersteht oder nur sein Stellvertreter ist, mit ihren Kompetenzen zueinander stehen? Da gibt es dann Ombudsmänner, die entweder vom Gesetzgeber ernannt werden oder nicht – das ist ein Chaos.“

Vielmehr fordert der Jurist einen anderen Weg, um Kindern mehr Rechtssicherheit und Gehör in der tschechischen Gesellschaft zu verschaffen:

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„Es steht allgemein die Frage im Raum, ob wir überhaupt einen Ombudsmann brauchen, wenn doch der rechtliche Rahmen des Kinderschutzes viel wichtiger ist. Keiner braucht einen Ombudsmann, der nur auf Probleme hinweisen, aber nichts gegen diese machen kann. Jemand, der Beschwerden entgegennehmen kann, ist schön und gut. Dafür muss man aber nicht einen eigenständigen Posten einrichten.“

Stanislav Křeček verweist zudem auf Beispiele im Ausland, die den Kinder-Ombudsmann als eher überflüssig hinstellen:

„Ich will darauf aufmerksam machen, dass der Ombudsmann nicht alle Probleme löst. Ein Beispiel ist Norwegen, wo es dieses System ja schon gibt. Das Land verliert international trotzdem einen Prozess nach dem anderen um die Rechte von Kindern.“

Barnevernet  (Foto: Jaromír Marek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Křeček bezieht sich dabei konkret auf die Streitigkeiten um das norwegische Jugendamt Barnevernet und dessen umstrittene Praktiken.

Helena Válková weist diese Kritik zurück. Sie wirft Stanislav Křeček vor, die Aufgaben eines Ombudsmannes nicht wirklich verstanden zu haben:

„Bei den Kompetenzen muss gleich zu Anfang festgelegt werden, was er für die Kinder machen soll. Der jetzige Ombudsmann braucht einen Stellvertreter, dieser kann sich aber nicht auch noch um Kinder kümmern. Dazu sollte ein eigenständiger Posten geschaffen werden.“

Hilfe für die Schwächsten

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Aus diesem Grund hält die Ano-Politikerin auch nichts von dem Argument, dass man beispielsweise keinen Ombudsmann-Posten für Senioren plane:

„Ein Ombudsmann löst nicht automatisch alle Probleme, sondern nimmt konkrete Beschwerden entgegen. Er kann nicht den Kompetenzstreit zwischen den einzelnen Ministerien überwinden und auch nicht das fehlende Interesse der Politik an den kleinsten Bürgern. Das ist übrigens eine kritische Bemerkung zu allen vorhergehenden Regierungen sowie dem jetzigen Kabinetts. Kinder haben politisch keine Stimme, sie werden nicht als Wähler gesehen. Senioren hingegen schon.“

Dieses Desinteresse der Politik würde aber nicht nur Kinder betreffen:

„Gerade die Kinder aus jenen Elternhäusern sind bedroht, die auch nicht gerade attraktiv sind für die Politiker. Es sind Familien, die sich einfach nicht für Politik interessieren, da sie mit wirklich existenziellen Problemen zu kämpfen haben.“

Die Gerichte entlasten

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Der Streit um die Kompetenzen wirft konkret die Frage auf: Um wen soll sich der Kinder-Ombudsmann eigentlich kümmern?

„Zunächst muss er die Altersgruppen unterscheiden, wie es ja sonst in Europa gemacht wird. Das sind die Kategorien bis drei oder vier Jahre, dann von acht bis zehn Jahren und schließlich bis zwölf Jahre. Ab da sind die Kinder schon in einem heranwachsenden Alter und sehr klug. Gerade diese können dann bereits mitspielen, wenn es um die eigenen Rechte geht. In Tschechien binden wir sie in diesem Sinne bisher viel zu wenig ein. Diese Altersgruppe soll auch so eine Art Sparring-Partner des Ombudsmanns sein, der ihn bei der Arbeit unterstützt. Das wäre ganz neu in Tschechien.“

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Helena Válkova gibt aber zu, dass der Ombudsmann allein nicht genug sein wird, um in Tschechien einen besseren Umgang mit den Kindern zu erreichen. Vielmehr müsste man weitere Institutionen einbinden – und da vor allem die Justiz:

„Die Gerichte sind teilweise so langsam, dass die Kinder oft weiterhin in einem schwierigen Umfeld aufwachsen müssen. Meist verlangen die Richter bei Sorgerechtsstreitigkeiten unnötige Gutachten, und ihnen fehlt oft der Mut. Sie sollten sich natürlich von Gutachten inspirieren lassen bei ihren Entscheidungen, diese müssten sie aber nach eigenem Gewissen fällen. Vor allem müssen die Richter aber rechtzeitig handeln, denn das hat in solchen Fällen gleich doppeltes Gewicht. Urteile dürfen nicht erst nach drei, vier oder sogar fünf Jahren gefällt werden.“

Zudem müsste auch noch das Verfassungsgericht entlastet werden, meint Válková weiter. Denn dieses sei oft die letzte Anlaufstelle, wenn es um die grundlegenden Probleme von Kindern geht.