Brexit: Aus Briten werden Tschechen

Mark Simon Child (Foto: Familienarchiv Child)
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Am Freitag verlässt Großbritannien endgültig die Europäische Union. Noch gibt es zwar im Brexit-Verfahren eine Übergangszeit, aber die Entscheidung ist definitiv. Für britische Staatsbürger in anderen EU-Ländern dürfte in Zukunft das Leben komplizierter werden. Einige von ihnen lassen sich auch deswegen in ihrer bisherigen Gastheimat einbürgern. Radio Prag International hat einen Briten begleitet, der nun Tscheche geworden ist.

Mark Simon Child  (Foto: Familienarchiv Child)
Mark Simon Child ist tschechischer Staatsbürger. Am Donnerstag hat er den Eid auf die Verfassung geschworen. Direkt nach der Zeremonie im Bürgermeisteramt des fünften Prager Stadtbezirks ist er noch bewegt:

„Es ist schon eine leicht komische Sache, als Ausländer die Staatsbürgerschaft eines anderen Landes anzunehmen. Und das im Alter von 46 Jahren. Im Ganzen habe ich es aber genossen. Und ich bin dankbar dafür, jetzt zur tschechischen Nation zu gehören.“

Ein bisschen nervös sei er schon gewesen, gesteht Mark. Vor allem als die Leiterin des Bürgermeisteramtes vorschlug, die Nationalhymne zu singen.

„Ich liebe die Melodie. Aber der Text wäre für mich eine Herausforderung geworden so ohne Vorbereitung.“

Es ging dann letztlich auch ohne, denn niemand wurde zum Mitsingen gezwungen. Aber was für eine Symbolik, einen Tag vor dem Brexit hierzulande eingebürgert zu werden. Mark bleibt jedoch britisch-zurückhaltend:

Foto: ČTK / AP / Kirsty Wigglesworth
„Es ist ein Zufall, dass meine Einbürgerung mit dem Austritt zusammenfällt. Im März vergangenen Jahres habe ich meinen Antrag beim tschechischen Innenministerium eingereicht. Mir wurde gesagt, dass die ganze Bearbeitung bis zu einem Jahr dauern könnte. Als ich allerdings das Datum erfahren habe, war ich leicht erstaunt.“

Einen Tag vor dem Brexit eingebürgert

Seit über 24 Jahren lebt Mark Child in Prag. Er ist mit einer Tschechin verheiratet, sie haben zwei Kinder. Deswegen sagt er über die Annahme der tschechischen Staatsbürgerschaft:

Martin Swingler  (Foto: Archiv von Martin Swingler)
„Mir schwirrte das schon seit einiger Zeit im Kopf herum, auch schon vor dem Referendum. Als EU-Bürger habe ich allerdings nie größere Probleme erwartet. Doch angesichts des Brexit sah ich bürokratische Hürden auf mich zukommen. Außerdem wurde die doppelte Staatsbürgerschaft möglich. Deswegen habe ich gedacht: Warum es nicht probieren?“

Ähnlich sieht dies auch Martin Swingler. Er arbeitet wie Mark Child bei einer Marktforschungsagentur in Prag, ist ebenfalls Mitte der 1990er Jahre hier hergekommen und verheiratet. Lange habe er bereits über die tschechische Staatsbürgerschaft nachgedacht, sagt der 54-Jährige. Konkret sei das aber erst ab 2014 geworden. Damals machte Tschechien die doppelte Staatsbürgerschaft möglich.

„Und dann begannen in Großbritannien die Diskussionen über ein Austritts-Referendum. An diesem Punkt dachte ich: Jetzt ist die Zeit gekommen, mich einbürgern zu lassen. Mir hat nicht gefallen, welchen Verlauf die Debatte nahm. Ich habe befürchtet, dass der falsche Weg eingeschlagen würde, was dann auch so gekommen ist“, so der Engländer aus der Nähe von Stratford-upon-Avon.

EU-Mitgliedschaftsreferendum im Vereinigten Königreich 2016  (Quelle: Wikimedia Commons,  Public Domain)
Martin Swingler reichte Anfang 2016 seinen Antrag ein. Das war noch einige Monate vor dem Referendum. Seit der Entscheidung für den Austritt sind aber viele weitere sogenannte Expats aus Großbritannien ins Grübeln gekommen. Mark Child:

„Das ist selbstverständlich ein Gesprächsthema. Ich denke, nicht nur die in Tschechien, sondern alle 1,2 Millionen britischen Expats in der EU wollen nicht zum Spielball der Politik werden. Sie sind Menschen und auch Familienmitglieder. Ein Freund von mir hatte zum Beispiel wegen seiner Großmutter die Möglichkeit, irischer Staatsbürger zu werden. Es ist auf jeden Fall etwas, das die Menschen betrifft. Und sie versuchen, ihren Status zu erhalten. Wie dies alles endet, liegt letztlich an den Politikern.“

Trotz des Last-Minute-Brexitvertrags gibt es noch viele offene Fragen zwischen der Insel und der Union. Es gilt eine Übergangszeit bis Ende dieses Jahres. In dieser geht es auch darum auszuhandeln, welchen Status britische Bürger in den einzelnen EU-Staaten haben werden – und umgekehrt Bürger aus der Europäischen Union im Vereinigten Königreich.

Antrag zur Einbürgerung in Tschechien  (Foto: Archiv von Ian Willoughby)
Aber manche Betroffene wollten nicht warten. Das zeigt sich in den Statistiken. Ondřej Krátoška ist Sprecher des tschechischen Innenministeriums:

„In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Anträge von Briten auf eine Einbürgerung in der Tschechischen Republik gestiegen. 2016 waren es nur 19, in folgenden beiden Jahren dann jeweils um die 40. Und 2019 waren es bereits 64 Anträge.“

Eine Massenbewegung ist das natürlich nicht. Immerhin leben rund 8400 Briten offiziell in Tschechien (Stand Ende 2019).

Behördenmarathon und Sprachtest

Doch tschechischer Staatsbürger wird man auch nicht einfach so. Allein alle Formulare für den Antrag bedeuten einen Behördenmarathon. Unter anderem muss man nachweisen, dass man seine Steuerzahlungen beglichen hat und weder in Tschechien noch im Herkunftsland kriminell geworden ist. Außerdem wird jeder künftige Staatsbürger getestet. Und zwar in der tschechischen Sprache und im Wissen über tschechisches Recht, Kultur und Geschichte. Auf die entsprechenden Prüfungen kann man sich vorbereiten.

Sprachtest für die Einbürgerung  (Quelle: Archiv des tschechischen Innenministeriums)
„Es gibt online eine Sammlung von zehn Musterfragen je Kategorie, die aus früheren Tests stammen. Ich habe die Antworten alle auswendig gelernt, das waren 300 Stück. Manche sind sehr unterhaltsam. Der tschechische Teil meiner Familie hat viele der Fragen übrigens nicht beantworten können. Aber ich hab sie mir angeeignet“, erzählt Martin Swingler.

Es ist ein Multiple-Choice-Test, den man bestehen muss. Gefordert ist zudem, dass man sich auf Tschechisch ausdrücken kann. Mark Child:

„Beim Sprachexamen sind es vier Bereiche: Lesen, Schreiben, Reden und Hören. Man muss dabei mindestens 60 Prozent richtig haben. Das ist eigentlich kein Problem für jemanden, der so lange hier ist wie ich.“

Allerdings kann es auch sein, dass man noch zu einem persönlichen Gespräch eingeladen wird. So war das bei Martin Swingler:

„Ich bin dort zusammen mit der Mitarbeiterin einer Agentur hingegangen. Sie hatte ich beauftragt, sich um den ganzen Papierkram für den Antrag zu kümmern. Und der Anfang lief nicht sonderlich gut. Zum Gesprächsbeginn sagte die prüfende Beamtin zur Agentur-Mitarbeiterin: ‚Sie dürfen zwar dabei sein, aber kein Wort sagen.‘ Zudem fiel mir siedend heiß ein, dass ich meinen Lebenslauf und die anderen Papiere nur auf einem USB-Stick dabei hatte, aber nicht ausgedruckt. Ich dachte schon, dass es das nun gewesen wäre. Die Beamtin war aber sehr hilfsbereit und sagte mir, es gebe kein Grund, nervös zu sein. Sie hat die Sachen dann vor Ort ausgedruckt. Ich bin ein Amateur-Musiker, ein Singer-Songwriter, und mache bei mehreren Projekten mit. Am Ende des Gesprächs sagte die Beamtin, ich solle doch noch mal wiederkommen und etwas für sie spielen. Das war echt nett.“

Martin Swingler wurde schon im April 2017 tschechischer Staatsbürger. Mark Child nun zweidreiviertel Jahre später. Und für den leidenschaftlichen Hobby-Fußballer ist dies ganz und gar kein banaler Moment – im Gegenteil:

„Ich habe mich hier wirklich niedergelassen. Ich plane, hier auch alt zu werden. Meine Frau und ich haben zum Beispiel in ein Wochenendhaus außerhalb von Prag investiert, wie das viele Tschechen machen. Ganz allgemein bin ich vielleicht nicht perfekt im Tschechischen. Aber ich spreche genügend gut, um mich sowohl unter Tschechen als auch in der Expat-Community wohl zu fühlen. Meine Freunde kommen von beiden Seiten. Ich mag auch die Lebensart hier. Und Prag ist groß genug, um kosmopolitisch zu sein. Zugleich ist die Stadt nicht erdrückend. Ich bin hier wirklich glücklich.“