Das Attentat auf Finanzminister Rasin 1923
Am 5. Januar 1923 verliess Finanzminister Alois Rasin wie jeden Morgen seine Wohnung in der Zitna-Gasse im Prager Zentrum, um sich in das Finanzministerium im Clam Gallas Palast in der Karlova-Gasse zu begeben. Wie immer wartete sein Dienstauto mit Chaffeur vor der Tür. Doch in dem Moment, in dem Alois Rasin das Auto besteigen wollte, fielen zwei Schüsse. Eine Kugel traf den Finanzminister in den Rücken. Sechs Wochen später erlag der 55jährige Rasin der Schussverletzung.
Am 5. Januar 1923 verliess Finanzminister Alois Rasin wie jeden Morgen seine Wohnung in der Zitna-Gasse im Prager Zentrum, um sich in das Finanzministerium im Clam Gallas Palast in der Karlova-Gasse zu begeben. Wie immer wartete sein Dienstauto mit Chaffeur vor der Tür. Doch in dem Moment, in dem Alois Rasin das Auto besteigen wollte, fielen zwei Schüsse. Eine Kugel traf den Finanzminister in den Rücken. Sechs Wochen später erlag der 55jährige Rasin der Schussverletzung. Die Bevölkerung der vier Jahre alten tschechoslowakischen Republik war schockiert angesichts dieser blutigen Tat. Alois Rasin war das Opfer des ersten Attentats in der Tschechoslowakei. Bis heute ist er der einzige führende tschechische Politiker, der bei einem Attentat ums Leben gekommen ist.
Der 19jährige Attentäter Josef Soupal wurde bereits kurz nach der Tat gefasst. Soupal gab an, Anarcho-Kommunist zu sein. Er habe mit seinen Schüssen nicht nur den Finanzminister sondern das gesamte System treffen wollen, erklärte er vor Gericht. In der Tat hatte sich der Attentäter ein ideales Ziel ausgesucht. Rasin war nicht nur Finanzminister, er gehörte zu den führenden Repräsentanten des Systems, zu den Schöpfern und Vätern der Ersten Tschechoslowakischen Republik.
Alois Rasin war einer der fünf Männer, die am 28. Oktober 1918 in Prag die Unabhängigkeit der Tschechoslowakei ausgerufen hatten. Ausserdem war er es, der in weiser Voraussicht bereits in der Nacht vom 27. auf den 28. Oktober 1918 das erste Gesetz der Tschechoslowakei verfasst hatte - ohne zu wissen, dass dieses bereits am nächsten Tag als Grundgesetz des Landes veröffentlicht werden sollte.
Als Finanzminister scheute sich Rasin nicht vor unpopulären Massnahmen. Sein Ziel vor Auge schreckte der Minister scheinbar vor nichts zurück. Seine Deflationspolitik hatte Erfolg, die Tschechoslowakei war der erste Nachfolgestaat der Habsburger Monarchie mit einer stabilen Währung und einer sich dynamisch entwickelnden Wirtschaft.
Will man den Schock verstehen, den das Attentat auf Rasin damals hervorrief, so kann man es in die heutige Zeit verlegen. Stellen Sie sich vor, Anfang der 90er Jahre wäre Vaclav Klaus einem Attentat zum Opfer gefallen. Die Finanzpolitik der beiden Politiker wird oftmals verglichen. Beide beharrten auf einem ausgeglichenen Staatshaushalt. Unter Rasin wurde die tschechoslowakische Krone erfolgreich eingeführt, unter Vaclav Klaus 70 Jahre später die tschechische Krone. Zuvor hatte Rasin die Unabhängigkeit der Tschechoslowakei miterklärt, Vaclav Klaus wiederum stand an der Wiege der Tschechischen Republik. Anfang der 90er Jahre wurde der damalige Finanzminister Vaclav Klaus zuweilen mit Alois Rasin verglichen - ein Vergleich, der Klaus wohl geschmeichelte, erst unlängst hat er Rasin als seinen Helden der Vergangenheit bezeichnet.
Alois Rasin, der 1867 in einem Dorf im Riesengebirgsvorland zur Welt gekommen war, gehörte bereits vor dem Ersten Weltkrieg zu den bekannten tschechischen Politikern. Früh begann er sich für Politik zu interessieren. Nach der Beendigung seines Jurastudiums 1891 reiste Rasin durch die Böhmischen Länder. Auf Volksversammlungen wetterte er gegen die herrschende Regierung und den Kaiser. Eine Verhaftung liess nicht lange auf sich Warten: 1893 wurde Rasin gemeinsam mit 68 Studenten und Absolventen in einem politischen Schauprozess der Wiener Regierung des Hochverrats und der Majestätsbeleidung angeklagt.
Ziel der sog. Omladina-Bewegung, die vor Gericht stand, war in der Tat die Unabhängigkeit der Böhmischen Länder von Habsburg. Im Gegensatz zur älteren tschechischen Politikergeneration lehnten die Jungen es ab, sich in und mit Wien zu arrangieren. Alois Rasin wurde damals zu einer mehrjährigen Kerkerstrafe verurteilt, nach zwei Jahren aber aufgrund einer Amnestie entlassen. Die Gefängnishaft scheint keinen grossen Eindruck auf den jungen Politiker gemacht zu haben. Rasin zog sich keinesfalls aus dem politischen Leben zurück, im Gegenteil.
Kurz nach seiner Entlassung gründete Alois Rasin eine eigene Partei und zog 1911 als Abgeordneter in den Wiener Reichsrat ein. Hier erlebte er den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Sogleich schloss sich Rasin der geheimen Widerstandbewegung in den Böhmischen Ländern an und wurde einer der Führer der sog. Maffia - der grössten tschechischen Widerstandsbewegung gegen die Habsburger Monarchie. Im Juli 1915 wurde er verhaftet. Wie bereits zwei Jahrzehnte zuvor wurde Rasin erneut des Hochverrats angeklagt. Diesmal wurde der böhmische Politiker allerdings zur Todesstrafe verurteilt. Rasin hatte Glück. Der alte Kaiser Franz Josef verstarb, der neue Kaiser erliess eine Amnestie. Bereits im Juli 1917 konnte Rasin als freier Mann nach Prag reisen.
Kaum aus der Haft entlassen, stürzte sich Rasin wieder an die Arbeit, wurde Mitbegründer einer neuen Partei und erneut führende Persönlichkeit des heimischen Widerstands. Unbestreitbar gross ist seine Rolle am 28. Oktober 1918, als er gemeinsam mit vier weiteren Vertretern des Nationalausschusses in Prag kurzerhand die Unabhängigkeit der Tschechoslowakei ausrief.
Als am 14. November 1918 die erste Regierung der neuen tschechoslowakischen Republik ernannt wurde, wurde Alois Rasin Finanzminister. Der Jurist hatte bereits während der Kriegsjahre Bücher der damals bekanntesten Wirtschaftswissenschaftler studiert und sich Gedanken über die zukünftige Finanzpolitik einer unabhängigen Tschechoslowakei gemacht. Rasin wusste genau, was er wollte und wie er es durchzusetzen hatte.
Sein Finanzministerium verfügte über weitgehende Vollmachten. Rasin entschied nicht nur über Finanz- und Währungsfragen, sondern auch über Ein- und Ausfuhr von Rohstoffen, über Kapitalverschiebungen und vieles mehr. Rasins erstes Ziel war die Währungsunabhängigkeit des Landes. Mit drakonischen Massnahmen, der Abstempelung und Wertminderung der Banknoten begann Rasin die Sanierung der Währung. Seine Politik hatte Erfolg. Zum einen entging die Tschechoslowakei einer starken Inflation, die andere Staaten damals heimsuchte, zum anderen war das Land 1923 das erste mitteleuropäische Land mit einer eigenen und für damalige Verhältnisse stabilen Währung, der tschechoslowakischen Krone.
Rasin verfolgte als Finanzminister zwei Ziele: das eine war eine starke Krone, das andere ein stets ausgeglichener Staatshaushalt - diese Tradition belebte in den 90er Jahren die Regierung Vaclav Klaus wieder. Finanzminister Rasin war der Auffassung, dass eine starke Krone das nationale Selbstbewusstsein stärke. Dass die starke Krone den tschechischen Exporteuren schadete, scheint Rasin nicht gestört zu haben. Der sparsame Minister wetterte zudem bei jeder Gelegenheit gegen die Verschwendung von Geldern. So soll er heftig kritisiert haben, dass wohlhabende Leute Apfelsinen kaufen, statt einheimisches, billigeres Obst. Kein Wunder also, dass Rasin trotz all seiner Verdienste um die Entstehung des Staates, dessen Stabilität und festen Währung kein besonders beliebter Politiker war. Sein gewaltsamer Tod löste allerdings einen Schock in der gesamten Bevölkerung aus.
Nach Rasins Tod entstand eine breite Protestbewegung gegen linke Parteien, die als Schuldige betrachtet wurden. Die neugegründete, rechtsorientierte Bewegung der sog. "Rotweissen" forderte die Errichtung eines faschistischen Staates nach Vorbilds Italiens, da sie die Republik gefährdet sah. Die Regierung selbst reagierte schnell: Bereits am 6. März 1923, zwei Wochen nach Rasins Tod, verabschiedete das Parlament ein Gesetz zum Schutz der Republik. Das neue Gesetz gab der Regierung grössere Vollmachten, erhöhte die Strafen für gewisse Delikte und führte neue ein wie z.B. Angriff bzw. Beleidigung eines Amtsträgers oder Störung der öffentlichen Ruhe. Die Regierung reagierte mit dem neuen "Gesetz zum Schutz der Republik" auf die zunehmenden kommunistischen und faschistischen Bewegungen in Europa. Das Gesetz war nach einigen Änderungen auch noch nach 1945 in Kraft.
Als erster wurde Rasins Attentäter Josef Soupal anhand des neuen Gesetzes exemplarisch verurteilt, auch wenn er seine Straftat vor der Existenz des Gesetzes verübt hatte. Soupal wurde zu 18 Jahren Kerkerhaft verurteilt. Wäre er bei der Tatausführung bereits 20 Jahre alt gewesen, hätte er die Todesstrafe erhalten. Das Gericht bemühte sich vergebens ein grösser angelegtes Komplott von Kommunisten aufzudecken. Der selbsterklärte Anarcho-Kommunist beharrte darauf, allein und ohne Komplizen gehandelt zu haben, um dem Proletariat zu helfen. Bis heute ist unklar, ob dies der Wirklichkeit entsprach.
Nicht nur Kommunisten war Finanzminister Rasin damals ein Dorn im Auge. Auch bei der deutschen Minderheit war er äusserst unbeliebt. Dies hatte zwei Gründe. Zum einen war seine Finanzpolitik gegen den Einfluss deutschen und österreichischen Kapitals gerichtet. Zum anderen hatte sich Rasin bereits einige Tage nach Entstehung der Tschechoslowakei einen folgenreichen Faux pas erlaubt. Anfang November 1918 war eine Delegation deutscher Politiker aus Nordböhmen nach Prag gereist, um mit der provisorischen tschechischen Regierung Verhandlungen über eine künftige Zusammenarbeit zu führen. Das Treffen war von relativ kurzer Dauer. Alois Rasin soll die deutsche Delegation mit den Worten "Mit Rebellen verhandeln wir nicht" begrüsst haben, woraufhin diese erzürnt wieder abreiste. Wie folgenschwer jene Worte für die junge Republik sein sollten, zeigte sich Jahre später. Das Zitat von Alois Rasin führte zu einem ersten tschechisch-deutschen Medienkrieg, gegenseitige Vorwürfe und Anschuldigungen wurden vorgebracht. Zu weiteren Verhandlungen zwischen Tschechen und Deutschen kam es damals im Herbst 1918 nicht mehr.
Und damit sind wir am Ende unseres heutigen Geschichtskapitels über das erste Attentat auf einen tschechischen Politiker, das vor 80 Jahren in Prag passierte.