Die Tschechoslowakei 1918 - 1945: Währungsreformer Rašín und Währungsretter Kalfus

Alois Rašín

Sie haben wieder Konjunktur: Begriffe wie Finanzkrise, Wirtschaftskrise und Währungskrise oder Währungsrettung. Aber auch in der 75-jährigen Geschichte der Tschechoslowakei waren die Schicksale des Landes wiederholt mit dem seines Geldwesens verbunden. Im Folgenden „Kapitel aus der tschechischen Geschichte“ wollen wir aus wirtschaftshistorischer Sicht auf zwei Umbrüche zurückblicken: die Währungsreform nach der tschechoslowakischen Staatsgründung im Oktober 1918 sowie die Sicherung der Finanzen vor Hitler-Deutschland ab dem März 1939. In beiden Fällen bewahrten die jeweiligen Finanzminister das Land vor Schlimmerem.

Tschechoslowakei in 1922
Am 28. Oktober 1918 wurde die selbständige Tschechoslowakei ausgerufen. Das bedeutete auch für Wirtschaft und Finanzen einen schwierigen Prozess der Abkoppelung vom alten Österreich. Erschwert wurde das Vorgehen durch einen Haufen weiterer Probleme wie der hohen Inflation oder der drückenden Kriegsanleihen. Michal Stehlík ist Historiker an der Prager Karlsuniversität:



Michal Stehlík
„Schon am 6. November 1918 definiert der sozialistische Wirtschaftstheoretiker Josef Macek einige Grundprinzipien für die notwendige Trennung von der österreichischen Währung. Über die Wirtschaftsfragen soll man seiner Auffassung nach ausschließlich mit den vier Ententemächten und eventuell auch mit neutralen Staaten verhandelt werden. Des Weiteren sollen von außen her keine Banknoten ohne den Deutschösterreich-Stempel ins Land kommen. In diesem Zusammenhang galt als besonders plausibel der Vorschlag, die auf tschechoslowakischem Staatsgebiet zirkulierenden Noten abzustempeln. Dies sollte unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt werden.“

Zwanzig Kronen  (1919-1920) mit einer Stempelmarke
Ein sofortiger Umtausch der umlaufenden Noten gegen eine neue Währung war nämlich organisatorisch nicht durchführbar. Im ersten Schritt behalf man sich also damit, die Kronennoten abzustempeln, um sie von den Noten der anderen Staaten abzugrenzen. Die Tschechoslowakei führte die Währungstrennung als erster der Nachfolgestaaten der Habsburger Monarchie durch. Dies geschah in der Regie des erfahrenen Wirtschaftstheoretikers und Finanzministers Alois Rašín, der sich dabei auf ein Team von ebenso erfahrenen Finanzexperten, vor allem Bankdirektoren, stützen konnte. Alle trafen sich oft erst abends zu langen Verhandlungen in Rašíns Büro. Michal Stehlík:

„Die Vorbereitung der Reform Nummer eins verlief im neu gegründeten Staat nach strikten Regeln und wurde streng geheim gehalten. Im Februar 1919 wurde das tschechoslowakische Parlament praktisch vor beschlossene Sache gestellt. Rašín hatte entschieden, die in der ČSR im Umlauf befindliche Währung abstempeln zu lassen. Von den Vorschlägen lehnte das Parlament nur eines ab: 80 Prozent der bisher kursierenden Noten einzuziehen, wie es der Finanzminister verlangte. Gebilligt wurden nur 50 Prozent.“

Die eigentliche Währungstrennung verlief dann folgendermaßen:

„In der Nacht auf den 26. Februar 1919 wurde die Staatsgrenze geschlossen, in den Finanzinstituten galt unbegrenzte Arbeitsbereitschaft und die Beamten wurden sogar unter Eid genommen. In rund 1500 Amtsstellen wurde die Hälfte der eingereichten Banknoten abgestempelt.“

Stempelmarken  (1919)
Konkret sah es so aus, dass die Hälfte des eingereichten Geldes mit Stempel zurückgegeben und die andere Hälfte wiederum gegen Quittung eingezogen wurde. Damit gelang es der Tschechoslowakei in der ersten Reformetappe bereits, sich von der hoch inflationären und komplizierten österreichischen Währung abzukoppeln. Doch dieser Prozess war nicht ganz einwandfrei:

„Das Abstempeln und das Einziehen der österreichischen Währung verlief sehr erfolgreich vor allem auf dem Gebiet der böhmischen Länder. Nicht so in der Slowakei. Dort gab es viele Beamte, die dem neuen tschechoslowakischen Staat nicht ganz loyal gegenüberstanden. Die Slowakei musste den eingeleiteten Prozess aber noch in der ersten Hälfte des Jahres 1919 vollenden. Finanzminister Rašín gab nicht nach, und am 16. April desselben Jahres wurde die tschechoslowakische Währung gesetzlich verankert.“

Fünf Sokol  (Falke)
Unter den tschechoslowakischen Politikern wurde nun heiß diskutiert, wie die neue tschechoslowakische Währung heißen soll. Vorgeschlagen wurden zum Beispiel die Namen „Lev“ (Löwe), „Sokol“ (Falke) oder „Franken“. Doch letztlich entschied man sich trotz der etwas negativen Wahrnehmung der österreichischen Krone für den Namen „Krone“, also tschechoslowakische Krone. Erst danach wurde der etappenweise Austausch der abgestempelten Banknoten gegen neue tschechoslowakische Kronenscheine eingeleitet. 1922 folgten dann auch die ersten eigenen Münzen. Die grafische Gestaltung der neuen Währung übernahm im Übrigen der international bekannte Maler Alfons Mucha.

Zehn Kronen mit der grafischen Gestaltung von Alfons Mucha
Trotz eigener Währung musste aber der junge tschechoslowakische Staat noch sieben Jahre auf die Entstehung einer klassischen Zentralbank warten. Ihre Kompetenzen behielt nämlich gezielt Finanzminister Rašín in seinen eigenen Händen. Im Finanzministerium ließ er das so genannte Bankenamt einrichten, das unter seiner Aufsicht die Finanzpolitik des Staates betrieb. Michal Stehlík zieht eine positive Bilanz von Rašíns Politik:

„Ihm ist - wie man sagt - ein kleines tschechoslowakisches Wirtschaftswunder gelungen. Die tschechoslowakische Währung und Wirtschaft entwickelten sich hervorragend im europäischen Vergleich. Erst die große Wirtschaftskrise Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre bereitete auch der Tschechoslowakei große Probleme. Alois Rašín lebte damals leider nicht mehr, weil er 1923 an den Folgen eines Attentats gestorben war.“

Karel Engliš
„Herr Gouverneur, in die Hände der Tschechoslowakischen Nationalbank übergebe ich unser kostbarstes Kleinod: die tschechoslowakische Krone, die das Symbol unserer Freiheit und Selbständigkeit darstellt. Ich übergebe sie an die Verwaltung der autonomen Notenbank mit dem tief empfundenen Wunsch, unsere Währung wie ein Kind zu pflegen, mit Sorgfalt und Liebe so, dass keiner unserer Bürger besorgt sein muss und jeder die Sicherheit hat, dass ihr heutiger Wert auch noch morgen oder in Jahrzehnten Bestand haben wird.“

So Finanzminister Karel Engliš am 21. März 1926 bei der konstituierenden Generalversammlung der Tschechoslowakischen Nationalbank. Mit der Gründung der unabhängigen Zentralbank glaubte man allgemein, den Prozess der wirtschaftlichen Selbstständigkeit des jungen Staates abgeschlossen zu haben. Doch schon im kommenden Jahrzehnt wurde die Position der tschechoslowakischen Währung sowie die Unabhängigkeit der Zentralbank infolge des weltpolitischen Geschehens mehrfach stark erschüttert. Dass dies nicht zur Katastrophe ausartete, wird vor allem einem Mann beigemessen. Michal Stehlík:

Josef Kalfus
„Das Schicksal der tschechoslowakischen Währung wurde logischerweise stark durch die politischen Ereignisse am Ende der 1930er Jahre beeinflusst. Konkret durch die Expansionslust des Großdeutschen Reiches, das zunächst die sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei besetzte und anschließend auch in Prag einmarschierte und das so genannte Protektorat Böhmen und Mähren errichtete. Der Name des Finanzministers Josef Kalfus ist heutzutage nur noch wenigen Menschen bekannt. Dabei handelt es sich um einen sehr bedeutenden Mann, dem in der Protektoratszeit eine ganze Reihe von Husarenstücke gelangen.“

Mit diesen Husarenstücken konnte Kalfus die Wirtschaft des territorial geschrumpften Landes vor einem Zusammenbruch bewahren und das Protektorat vor einem drohenden Finanztransfer an Hitlerdeutschland retten. Noch in der Nacht auf den 15. März 1939, als die Wehrmacht in Prag einmarschierte, erbat sich Kalfus von den Mitgliedern des Regierungskabinetts, einige Finanz- und Wirtschaftsmaßnahmen durchzuführen.

„Es ging unter anderem um die Übertragung des Eigentums der größten Staatsunternehmen - der Anglobank, der Škoda-Maschinenbauwerke und der Waffenfabrik Zbrojovka - in die Hände von Sparkassen, Versicherungsanstalten und Genossenschaften. Dieser Vorgang erwies sich als äußerst bedacht, denn nach dem 15. März 1939 erzwangen die Okkupanten den Verkauf der restlichen Staatsaktien zugunsten des Deutschen Reichs zum von ihnen angeordneten ungünstigen Kurs der Krone zur Reichsmark 10:1.“

Protektorat Böhmen und Mähren | Foto: XrysD,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0
Dank der Strategie von Josef Kalfus blieb ein Großteil des einstigen tschechoslowakischen Vermögens im Protektorat. Stehlík findet daher für den damaligen Finanzminister der Protektoratsregierung nur positive Worte:

„Minister Kalfus war ein tschechischer Patriot, der als Minister der bei den Tschechen verhassten Protektoratsregierung bemüht war, die tschechische Wirtschaft gesund zu erhalten. Und dies auch trotz des zunehmenden Drucks von Seiten der deutschen Verwaltung, insbesondere nach dem Amtsantritt des stellvertretenden Reichsprotektors Reinhard Heydrich in Prag.“

Reinhard Heydrich  (Foto: Bundesarchiv,  Bild 146-1969-054-16 / Hoffmann,  Heinrich / CC-BY-SA / Wikimedia Commons 3.0)
Aber nicht nur das. Kalfus gelang es auch kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges, einige Finanzoperationen durchzuführen, durch die fast eine Milliarde Kronen für die Nachkriegstschechoslowakei gerettet werden konnten. Außerdem machte er sich darum verdient, dass Familien, deren Angehörige von der Gestapo verhaftet wurden, Gelder aus dem Staatsfonds bezogen. Nach 1945 wurde er trotzdem verhaftet und mit den anderen Ministern der Protektoratsregierungen vor Gericht gestellt. Aus heutiger Sicht kaum zu fassen, wie Historiker Stehlík findet:

„Er war eine Persönlichkeit, die sich in äußerst schweren Zeiten um die Erhaltung der tschechoslowakischen Währung verdient gemacht hat. Ähnlich wie an Alois Rašín sollte auch an Josef Kalfus erinnert werden.“

Kalfus wurde letztlich immerhin straffrei entlassen. Vor dem Gericht konnte er unter anderem auch seine Beziehungen zu in- und ausländischen Widerstandskämpfern nachweisen.