Das billigste Orchester der Welt

Foto: www.europera.org
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Das Hobby kann einen weiter bringen. Und zwar buchstäblich, denn musikalisch begabte Jugendliche aus der tschechisch-deutsch-polnischen Euroregion Neisse / Nisa / Nysa packen ihr Musikinstrument mit und fahren regelmäßig über die Grenze. Das trinationale Symphonieorchester "Europera" stellt den organisatorischen Rahmen dafür. Bara Prochazkova berichtet über das Orchester.

Musik verbindet - das dürfen jedes Jahr rund 80 Jugendliche aus dem tschechisch-deutsch-polnischen Grenzgebiet erleben, die gemeinsam im Orchester Europera musizieren. Jedes Jahr auf Neue werden junge Musiker ausgewählt und ein Repertoire für die Saison zusammengestellt. Dennoch gibt es eine gewisse Kontinuität, erklärt Tomas Kolafa, der Leiter der Musikschule in Liberec / Reichenberg:

"Der Grundgedanke ist: Wenn jemand im Orchester spielt, dann sollte er auch möglichst zwei bis fünf Spielzeiten dabei bleiben. Das Alter hängt vom Musikinstrument ab, manche Instrumente spielen eher ältere Jugendliche. Am Anfang leben sich die Jugendlichen im Orchester ein, später leiten sie dann zum Beispiel eine Arbeitsgruppe und helfen den jüngeren. Es gibt also keine zeitliche Beschränkung, dass man zum Beispiel nur ein Jahr mitmachen darf."

1992 haben sich die Leiter der Musikschulen im Dreiländereck zusammengetan und die Idee, dass sich Jugendliche über die Grenzen hinweg treffen und gemeinsam Musik machen, in Wirklichkeit umgesetzt. Damals gab es jedoch noch keinen künstlerischen Leiter des Projektes, die Leitung hat zwischen den beteiligen Ländern jährlich gewechselt. Das hat sich in den Jahren verändert, inzwischen hat Europera einen eigenen Manager und ein Büro in Zittau. Auch das Interesse der Jugendlichen ist mit der Zeit angestiegen. Jedes Jahr werden Bewerbungstermine ausgeschrieben, die Jugendlichen können dann vorspielen und es entsteht eine Datenbank mit jungen Musikern. Wenn sie den jeweiligen Kriterien für das Jahr entsprechen, können sie mitmachen. Was heißt es nun genau? Eine gemeinsame Woche im Herbst wird zum Kennen lernen und zur Vorstellung des Repertoires genutzt. Abgeschlossen wird das Jahr mit einer Konzertreise ins Ausland, zum Beispiel nach Frankreich oder Italien. Und dazwischen? Proben, Proben, Proben und selbstverständlich Auftritte:

Der Sinn des trinationalen Symphonieorchesters liegt nicht nur in der interkulturellen Begegnung der Jugendlichen, sondern auch in deren musikalischer Weiterentwicklung. Viele Musikschulen sind klein und haben keine großen Orchester - damit sind die jungen Musiker auch in der Auswahl der gespielten Stücke beschränkt. Europera eröffnet ihnen die Möglichkeit, mit einem großen Klangkörper zu musizieren, sagt der Dirigent des Orchesters Milos Krejci:

"Es werden im Programm Stücke gespielt, die anspruchsvoller sind als das normale Programm in den Musikschulen. Nicht jeder kann das schaffen. Ich halte es für positiv und hoffe, dass diese Schritte das Orchester auf eine andere Ebene führen werden."

Nach den Worten von Musiklehrer Tomas Kolafa ist an den beteiligten Schulen eine eindeutige Weiterentwicklung der Jugendlichen zu sehen - das Zusammenspiel gibt neue Impulse, durch den Anreiz üben sie fleißiger. Musik verbindet zwar, aber es gilt auch hier "anderes Land, andere Sitten". Tomas Kolafa weiter:

"Die Region besteht aus drei Ländern und in jedem Land gibt es andere Bedingungen für den Musikunterricht. Am problematischsten ist es in Sachsen, Polen hat die besten Bedingungen und wir befinden uns irgendwo in der Mitte."

In der ehemaligen DDR gab es ein ähnliches System der Musikschulen wie in der Tschechoslowakei, das nach der Wende zu Anfang der 90er Jahre aber schnell aufgelöst wurde. Es kamen zwar neue Stadt- oder Privatschulen für Hobbymusiker nach, aber das Niveau ist gesunken, beschreibt die Lage der Leiter der Musikschule in Liberec, Tomas Kolafa. Dies erklärt er mit einer neuen Orientierung der Schulen auf neue Musikrichtungen wie Jazz oder Pop. Auch die Musikschulen in Polen haben in den letzten Jahren eine Reform erlebt, dort kann man nun sechs Jahre lang Musik Vollzeit studieren. In Tschechien funktionieren die Musikschulen begleitend zu einer normalen Ausbildung als eine Freizeitbeschäftigung. Aber nicht nur die Systemunterschiede in der Musikausbildung bereiten dem Symphonieorchester Europera Schwierigkeiten. Tomas Kolafa erzählt:

"Die Kinder? Mit denen ist es am Leichtesten! Am schlimmsten finde ich das Organisatorische, das dahinter steckt, zum Beispiel die Sicherstellung von Unterkunft oder Transport. Die Zusammenarbeit mit den Leitern der jeweiligen Musikschulen ist auch kompliziert. Sie geben zum Beispiel nicht die Informationen an Lehrer und Schüler weiter, dass ein neuer Jahrgang der Europera ausgeschrieben wurde. Nicht jeder ist von dem Projekt überzeugt. Das ist schon seltsam, denn die Schulen können davon nur profitieren."

Dazu kommen organisatorische Komplikationen, wenn es zum Beispiel vor einem Theater nur für einen Bus einen Parkplatz gibt oder für die 80 Musiker nicht genug Stühle im Saal sind. Die Eltern zu überzeugen sei manchmal auch nicht leicht, und ein ständiges Problem sei nicht zuletzt auch die Finanzierung, sagt der Dirigent Milos Krejci, fügt aber gleich an:

"Ich bin optimistisch. Denn ich weiß aus der Geschichte der Musik, dass es für Kultur und Musik immer wenig Geld gab. Das können wir auch in vielen Büchern lesen. Man muss nur suchen, um die richtigen Partner zu finden. Die Möglichkeiten gibt es."

Im Moment wird Europera, also das Orchester der begabtesten Musikschüler im Dreiländereck, vom europäischen Finanzprogramm "Interreg" finanziell unterstützt, es laufen aber auch Verhandlungen mit privaten Sponsoren. Viel Geld braucht man jedoch nicht, sagt Krejci:

"Das Orchester ist nicht teuer, die Kinder müssen essen, schlafen und üben. Sie kriegen auch kein Honorar, also man muss nicht denken, dass sie damit Geld verdienen. Ich denke, dass es das billigste Orchester der Welt ist."

Das Symphonieorchester zeigt den Menschen im Dreiländereck, dass die Verständigung sowie die Zusammenarbeit möglich sind. Am 1. Mai 2004 zum Beispiel hat Europera bei der feierlichen Veranstaltung zum EU-Beitritt Tschechiens und Polens in Zittau gespielt. Die Politiker nutzen das Projekt gerne als ein Aushängeschild, bestätigt Tomas Kolafa. Allerdings:

"Die politische Unterstützung ist unsicher, denn die Politiker brauchen solche Projekte vier Jahre lang beziehungsweise in der Zeit der Wahlen. Sie nutzen dann die Projekte für sich, was selbstverständlich auch für das Projekt positiv ist. Aber in der Musik kommt es nicht nur auf die Begegnung an sich an, so wie zum Beispiel wenn sich die freiwillige Feuerwehr trifft. Hier müssen die Jugendlichen gefunden und das Repertoire vorbereitet und geprobt werden - es ist nicht so, dass sie zusammenkommen und gleich gemeinsam losspielen. Dahinter steht eine drei- bis vierjährige Vorarbeit."

Und wer neugierig geworden ist, wie es sich anhört, wenn junge Tschechen, Deutsche und Polen miteinander Musik machen, kann zum nächsten Konzert kommen. Das Europera-Orchester tritt das nächste Mal am 17. Februar in Görlitz auf. Auf dem Programm stehen unter anderem Werke von Wolfgang Amadeus Mozart und Bohuslav Martinu.

Foto:www.europera.org