Das Ende des Warschauer Paktes

Der grosse Nato-Gipfel in Prag ist gerade zuendegegangen. Grund für uns im heutigen Geschichtskapitel an ein anderes Gipfeltreffen eines anderen Militärbündnisses in Prag zu erinnern, das am 1.Juli 1991 stattgefunden hat. Damals wurde nicht über die Erweiterung jenes Militärbündnisses verhandelt, sondern über dessen endgültige Auflösung. Die Rede ist, Sie werden es bereits ahnen, vom Warschauer-Pakt. Jenem Militärbündnis der sozialistischen Staaten Ost- und Mitteleuropas, das längst in Vergessenheit geraten ist. Vor 11,12 Jahren jedoch wurde heftig über dessen Sinn und Zukunft diskutiert und dieses auch in Prag.

So ziemlich genau 10 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, am 14. Mai 1955, unterzeichneten die Regierungsvorsitzenden von acht sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas ein Militär- und Verteidigungsbündnis. Der Einfachheit halber gaben sie diesem Bündis den Namen der Stadt, in dem die feierliche Unterzeichnung stattgefunden hatte: Warschau. Zu den Unterzeichnerstaaten gehörten Polen Ungarn, Bulgarien, Rumänien, die DDR, die Tschechoslowakei, natürlich die Sowjetunion und Albanien. Dieses trat allerdings aus Protest gegen den Einmarsch von Warschauer Pakt- Truppen in die Tschechoslowakei im September 1968 aus dem Bündnis aus. Als offizieller Grund für die Gründung des Militärbündnisses wurde die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die Nato am 9. Mai 1955 genannt.

Der damalige tschechoslowakische Regierungsvorsitzende, Viliam Siroky erklärte nach seiner Rückkehr aus Warschau am 15. Mai 1955 vor einer jubelnden Menschenmenge in Prag:

"Gestern haben wir im Namen des tschechoslowakischen Volkes ein grosses historisches Dokument über die Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe von acht Staaten unterzeichnet. Dieser Vertrag ist sowohl für unsere Republik als auch für alle friedensliebenden Völker und die internationale Entwicklung von grosser Bedeutung. Agressive Kreise im Westen haben in letzter Zeit alles unternommen, die internationalen Spannungen zu verschärfen und die Menschheit in einen neuen Krieg zu jagen. Der bedrohlichste Schritt in diese Richtung ist die Ratifizierung der Pariser Abkommen und damit die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die Nato. Unsere Antwort darauf ist die Bildung des stärksten und mächtigsten Verteidigungssystems, das jemals in Europa enstanden ist."

Mit der Entstehung des Warschauer Paktes begann das Hoch-, Nach- und Wettrüsten der beiden mächtigsten Militärbündnisse jener Zeit. Soldaten, Panzer, Raketen, Kampfflugzeuge und Bomben wurden mit der Begründung, der Gegner habe sie auch, nachgerüstet. Jahrzehntelang übertrumpften sich Nato und Warschauer Pakt in gegenseitigen Beschuldigungen und Bedrohungen.

In Wirklichkeit diente der Warschauer Pakt allerdings nicht nur der Verteidigung gegen den kapitalistischen Feind aus dem Westen, sondern vor allem der Moskauer Kontrolle über die kleinen sozialistischen Bruderstaaten, die es manchmal wagten, andere Wege als den von Moskau vorgeschriebenen gehen zu wollen. In der Preampel des Vertrags wurde zwar das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten verankert, doch bereits ein Jahr nach der Gründung des Bündnisses marschierten sowjetische Soldaten in Ungarn ein, um die von Moskau als Konterrevolution bezeichnete Reformbewegung zu beendigen.

Der tschechoslowakische Regierungsvorsitzende Viliam Siroky hatte in seiner Rede im Mai 1955 nach der Unterzeichnung des Warschauer Abkommens voller Stolz folgendes erklärt:

"Der Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitge Hilfe gibt unserem Volk die Garantie, dass sich niemals mehr München oder der 15. März 1939 wiederholen werden. Er garantiert, dass niemals mehr fremde Eindringlinge unserer Heimat schänden werden"

Nun, in der Nacht zum 21. August 1968 rollten fremde Panzer úber tschechische Strassen, fremde Truppen marschierten in die Tschechoslowakei ein und besetzten das Land. Hierzulande wurde oftmals zynisch festgestellt, dass der wohl grösste und erfolgreichste Militäreinsatz des Warschauer Paktes gerade die Besetzung der Tschechoslowakei im August 1968 darstellte. Zehntausende von Soldaten aus der Sowjetunion, Polen, Ungarn, Bulgarien und der DDR marschierten in die Tschechoslowakei ein und beendeten so die Reformbewegung des Prager Frühlings. Rumänien hatte sich geweigert, sich an der Aktion zu beteiligen, Albanien trat kurz darauf aus dem Bündnis aus. 20 Jahre später verurteilten führende Vertreter der fünf Staaten, die damals einmarschiert waren, die Okkupation der Tschechoslowakei als eine "zu verurteilende Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates". Im Dezember 1989 wurde eine entsprechende Erklärung in Moskau formuliert, die in der Tschechoslowakei, in der gerade die sanfte Revolution die sozialistischen Machthaber entmachtete, mit Begeisterung und auch Genugtuung aufgenommen wurde.

Nachdem 1989 in den meisten der Warschauer Pakt-Staaten die sozialistischen Regierungen von demokratischen abgelöst worden waren, begann die Diskussion über den Sinn, Zweck und die Zukunft jenes Militärbündnisses, das zur Zeit des Kalten Krieges entstanden war. Nach dem Austritt der DDR im September 1990 wurden die Rufe nach einer Auflösung des ohnehin äusserst unbeliebten Militärbündnissen lauter, insbesondere in Prag, Warschau und Budapest.

Dieses Protestlied mit dem Titel "Geh nach Hause Ivan, Natascha wartet auf dich" war im August 1968 in der Tschechoslowakei äusserst beliebt. 21 Jahre später erlangte es wieder Aktualität: die Forderung nach einem Abzug der sowjetischen Truppen wurde in allen Ländern des Warschauer Paktes erhoben. Die Tschechoslowakei war bis zu jener Nacht im August 1968 der einzige Mitgliedsstaat des Bündnisses gewesen, in dem keine Truppen der Roten Armee stationiert gewesen waren. Nach dem Einmarsch liessen sich die Russen auch hier nieder: rund 75.000 Soldaten waren von nun an in der Tschechoslowakei stationiert und dieses bis zum Sommer 1989. Entsprechend einer Ankündigung von Michail Gorbatschov verliessen bis Sommer 1990 5300 sowjetische Soldaten die Tschechoslowakei. Nach der Sanften Revolution konnte sich ein Traum der Tschechen und Slowaken erfüllen: der Abzug aller sowjetischer Soldaten aus der Tschechoslowakei. Gleich im Dezember 1989 wurden entsprechende Verhandlungen mit Moskau aufgenommen. Zwei Monate später, im Februar 1990, begann der Abzug der Soldaten. Am 21. Juni 1991 verliess der letzte Zug mit Soldaten der Roten Armee die Tschechoslowakei. Michal Maly, Mitglied der für den Abzug der Roten Armee zuständigen Parlamentskommission, erklärte am 20. Juni 1991 im Rundfunk:

"Ich selbst und die ganze Kommission sind zufrieden mit dem Verlauf des Abzugs. Heute, am 20. Juni verlassen die letzten Soldaten unsere Republik. Ein Bevollmächtigter der sowjetischen Regierung wird noch bis zum 25. Juni hierbleiben. Anschliessend werden 25 sowjetische Experten über finanzielle Ausgleichszahlungen mit unserer Seite verhandeln."

Zur gleichen Zeit, wie der Abzug der sowjetischen Soldaten aus der Tschechoslowakei erfolgte, wurde auch über das Schicksal des Warschauer Paktes verhandelt. Im Februar 1991 hatten die zuständigen Minister des Bündnisses in Budapest beschlossen, die Existenz der militärischen Organisationen des Warschauer Paktes zu beenden. Auf einem Ministertreffen in Prag wurde am 1. Juli 1991 ein Akommen unterzeichnet, dass auch die Existenz der politischen Organe des Warschauer Paktes für beendet erklärte. In den einstigen Mitgliedsstaaten musste dieses Abkommen ratifiziert werden. Als letztes geschah dies in Moskau im Dezember 1992 - vor 10 Jahren wurde damit die Existenz jenes Militärbündnisses endgültig beendet, das über Jahrzehnte im Westen als Inbegriff des Bösen aus dem Osten galt. Drei der einstigen Mitgliedsstaates des Warschauer Paktes, Polen, Ungarn und Tschechien wurden bereits im März 1999 Mitglied der Nato. Der jetzige Natogipfel in Prag hat über die Aufnahme weiterer Staaten aus dem ehemaligen Warschauer Pakt entschieden.