Niederschlagung des Prager Frühlings: Libor Rouček erinnert sich

Libor Rouček (Foto: Gerald Schubert)

Am Mittwoch jährt sich zum 45. Mal die Niederschlagung des Prager Frühlings. In den frühen Morgenstunden des 21. August 1968 rollten Panzer der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei und beendeten gewaltsam die Reformbewegung, die nach einem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ rief. Die meisten Tschechinnen und Tschechen, die damals schon auf der Welt waren, wissen noch ganz genau, wo und wie sie diese schicksalhaften Stunden erlebt haben. So auch der EU-Abgeordnete Libor Rouček, ehemaliger Vizepräsident des Europäischen Parlaments, heute stellvertretender Fraktionschef der Sozialdemokraten. Gerald Schubert hat mit ihm gesprochen.

Libor Rouček  (Foto: Gerald Schubert)
Knapp 14 Jahre alt war Libor Rouček, als er im Sommer 1968 mit seinen Eltern Urlaub in Österreich und Jugoslawien machte. Die Nacht vom 21. auf den 22. August verbrachte er auf einem Campingplatz in der Nähe von Zagreb. Um fünf Uhr früh wurde die Familie von Zeltnachbarn geweckt. Der Weckruf war unvergesslich: Euer Land ist besetzt.

„Also sind wir nach Österreich gefahren“, erinnert sich Rouček. „Dort waren wir eine Woche lang in einem provisorischen Lager in einer Schule untergebracht. Meine Eltern haben sich dann aber doch entschieden, nach Hause zu fahren. Danach hat es neun Jahre gedauert, bis ich als 22-Jähriger die Entscheidung getroffen habe, ins Exil zu gehen.“

1977 emigrierte Rouček nach Österreich. Dazwischen lagen lange Teenager-Jahre zur Zeit der so genannten Normalisierung. Manches, das Rouček aus seinen früheren Jugendtagen kannte, gab es da plötzlich nicht mehr. Beatmusik zum Beispiel, oder viele ausländische Filme. Die Entscheidung zur Emigration war die schwerste, aber auch die beste seines Lebens, sagt Rouček:

„Ich wollte studieren und die Welt kennen lernen. Und ich wollte etwas gegen die Okkupation machen.“

Bereits ein Jahr später hatte er dazu die Gelegenheit. Anlässlich des 10. Jahrestags der Besetzung seiner Heimat wollte Rouček die Öffentlichkeit auf die Situation in der Tschechoslowakei aufmerksam machen:

„Ich habe mich entschieden, in den Hungerstreik zu treten. Dazu habe ich einen Platz auf der Wiener Ringstraße ausgewählt, wo gleich nebeneinander die Büros der tschechischen Fluggesellschaft ČSA und der sowjetischen Aeroflot waren. Ich habe eine Bewilligung bekommen und dort zehn Tage in einem Zelt gelebt, ohne Essen, nur mit Wasser und Tee.“

Zehn Tage Hungerstreik gegen zehn Jahre Okkupation. Die Reaktionen der Wiener waren durchwegs positiv, erinnert sich Rouček:

„Viele haben mir Wasser gebracht, oder Tee mit Zitrone. Manche wollten mich auch füttern. Aber das musste ich natürlich ablehnen, weil es ja ein Hungerstreik war.“

Die österreichische Presse hat viel über seine Aktion berichtet. Auch in der Tschechoslowakei verbreitete sich die Nachricht über ausländische Sender wie Radio Freies Europa oder Voice of America, wo Rouček später selbst als Redakteur arbeitete.

Nach der Samtenen Revolution des Jahres 1989 kehrte Rouček nach Prag zurück und ging selbst in die Politik. 2002 wurde er für die Sozialdemokraten ins tschechische Abgeordnetenhaus gewählt, seit 2004 ist er Mitglied des Europäischen Parlaments. In der europäischen Integration sieht er das beste Mittel gegen das Aufkeimen neuer Diktaturen:

„Heute haben wir, trotz aller Probleme in der Union, ein geeintes Europa. Die EU ist meiner Meinung nach ein Garant für Stabilität“, so Rouček.