Das Ende des Zweiten Weltkriegs aus persönlicher Sicht

Mai 1945

Bereits zum 58. Mal jährt sich heute das Ende des Zweiten Weltkriegs. Und die Zahl derer, die es bewusst und aktiv miterlebt haben, verringert sich von Jahr zu Jahr. Deshalb kann es interessant sein, Zeitzeugen zu befragen, wie sie es erlebt und erlitten haben. Dazu der folgende Beitrag von Alexander Schneller.

Mai 1945
Adolf Porner aus Kladno, Jahrgang 1921, war gerade mal 24 Jahre alt und verlobt, als am 8. Mai 1945 das Ende des Kriegs nahte. Er arbeitete damals wie auch bis zu seiner Pensionierung in der Poldi-Hütte in Kladno. Die Poldi-Hütte war eine Fabrik, die hochwertigen Edelstahl produzierte, und damals ein deutscher Betrieb. Nach dem Krieg und der Verstaatlichung produzierte die Poldi weiterhin qualitativ hochstehende Ware, die überall auf der Welt bekannt war. Poldi war auch jahrelang Sponsor des ehemals erfolgreichen Eishockeyklubs Poldi Kladno. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und der Neuorientierung der Wirtschaft verschwand der Betrieb von der Bildfläche.

Wie Adolf Porner das Ende des Kriegs erlebte, wollte ich von ihm wissen:

"Das Ende des Zweiten Weltkriegs habe ich als Angestellter der Poldi-Hütte in Kladno erlebt. Weil wir zu dieser Zeit die Lohnabrechnungen für die ganze Belegschaft machen mussten, waren wir noch im Betrieb, während andere zu Hause geblieben waren oder den Aufständischen in Prag zu Hilfe eilten. Der sogenannte Prager Aufstand fing in Kladno sowie in Prag und Andersen Orten am 5. Mai an und endete am 9. Mai. Weil die Kommunisten den 8. Mai als offizielles Kriegsende nicht anerkannt haben, wurde das Ende des Kriegs in der sozialistischen Tschechoslowakei am 9. Mai gefeiert."

Seine zukünftige Frau musste als Mitarbeiterin des Roten Kreuzes zu Hause bleiben. Nach der Arbeit wartete auch Adolf Porner mit vielen anderen auf dem Hauptplatz in Kladno auf die Befreier, auf die Russen. Sie kamen mit ihrer ganzen Kriegsmaschinerie, von der sie behaupteten, es seien alles russische Erzeugnisse. Bei genauerem Hinschauen konnte man aber erkennen, dass sich darunter u.a. Studebakers und anderes von den Alliierten stammendes Material befanden.

Wie jeder Krieg schrecklich ist, so ist auch das Ende eines Kriegs nicht ohne Schrecken. Adolf Porner erzählt:

"Die schlimmsten Sachen passierten in der Zeit zwischen Mai bis Juli 1945, als die sogenannten "Revolutionsgarden" entstanden, die wir damals "Räubergarden" nannten. Sie waren auf Betreiben der kommunistischen Partei entstanden. Vor allem im Grenzgebiet, wo die Deutschen ausgesiedelt waren, stahlen sie alles, was nicht niet- und nagelfest war und bereicherten sich dort schamlos. Dieselben Leute, die sich während des Protektorats mit den Deutschen arrangiert und sich eher still und unauffällig verhalten hatten, haben nach dem Kriegsende die Deutschen oft am schlimmsten behandelt. Dies auch aus Angst, man könnte sich an ihr eher deutschfreundliches Verhalten erinnern und sie zur Rechenschaft ziehen. Auch sonst kam es zu hässlichen Szenen, private Rechnungen wurden aufgemacht und oft auf schreckliche Weise beglichen. Und man ließ den Mob gewähren."

Der Krieg bringt nicht nur Trauriges mit sich, sondern manchmal auch Komisches, Tragikomisches, Bizarres auch. Dazu passt jene Geschichte vom jungen Sowjetsoldaten und der Kuckucksuhr. Die Porners hatten damals und haben bis heute ein Wochenendhaus in Dedkuv mlyn (Großvaters Mühle) beim mittelböhmischen Unhost. Als die Familie an einem Weekend kurz nach Kriegsende dorthin kam, fanden sie das Häuschen von Sowjetsoldaten besetzt. Auf die Frage, was sie denn hier suchten, antworteten sie, sie hätten den Auftrag, deutsches Eigentum zu beschlagnahmen. Nach längerem Hin und Her und der Versicherung, dass es sich hier um tschechisches Privateigentum handele, ließen sie sich dazu überreden, ihre Mission zu beenden. Plötzlich aber begann sich die Kuckucksuhr an der Wand zu regen, und der Kuckuck sprang unter lautem Rufen aus der Uhr. Einer der jungen, offenbar ziemlich nervösen Sowjetsoldaten zuckte zusammen, riss seine Kalaschnikow herum und verpasste dem gefährlichen Vogel eine Kugel. Noch heute kann man dort, wo sich einst die nunmehr erschossene Kuckucksuhr befand, ein Loch mit der Kugel sehen, quasi als Memento.

Die Familie von Adolf Porner war aufgrund der Erfahrungen während der Ersten Republik entschieden antikommunistisch eingestellt und ist es bis heute geblieben. Dennoch war man in Bezug auf die Zukunft zunächst durchaus optimistisch.

"Unsere Zukunft haben wir uns im Jahr 1945 im Grossen Ganzen positiv vorgestellt. Wir wussten, dass fast ganz Europa zerstört war, während wir eher verschont geblieben waren. Unsere Industrie war praktisch als einzige in Zentraleuropa intakt, abgesehen von kleineren Schäden. Und weil man damals in der Tschechoslowakei alles produzierte, von der Stecknadel bis zur Lokomotive, haben wir gedacht, jetzt geht's wieder bergauf und wir erreichen wieder einen der vordersten Plätze in Europa. Man darf nicht vergessen, dass wir vor dem Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich auf dem 6. oder 7.Platz waren, dass wir damals zu den stärksten Ländern in Europa gehörten."

Präsident Benes
Unverkennbare Bitterkeit ist zu bemerken, wenn Adolf Porner davon spricht, warum diese Hoffnungen nicht in Erfüllung gegangen sind. Da die Tschechoslowakei von den Siegermächten letztlich dem Ostblock zugerechnet wurde und, wie Porner meint, der damalige Präsident Benes im Februar 1948 den Fehler machte, die Demission seiner Minister anzunehmen, gelangten die Kommunisten an die Macht. Und die zentrale Planwirtschaft sowie die erzwungene starke Bindung an die Sowjetunion und deren Interessen richtete die Ökonomie des Landes über Jahrzehnte hinweg zugrunde. Adolf Porner meint rückblickend, es hätte auch alles anders kommen können:

"Wenn damals unsere Leute, die Mitglieder des westlichen Widerstands, die Sache in die Hand genommen hätten, wäre wahrscheinlich manches anders gelaufen. Aber die durften eben, aufgrund einer Abmachung zwischen den Alliierten und der Sowjetunion, nicht nach Prag vordringen. Ich erinnere mich noch gut, dass meine Großmutter, die in Prag wohnte, erzählte, sie habe schon am 6. Mai 1945 auf der Pilsnerstrasse, von Pilsen her kommend, sechs amerikanische Panzer gesehen. Auf Geheiß von General Eisenhower mussten sie dann aber umkehren."

Die 41 Jahre kommunistischer Herrschaft sieht Adolf Porner als eine verlorene Zeit an, als eine Zeit, in der Vieles kaputt gemacht wurde, nicht nur Wirtschaft und Wohlstand, sondern auch Menschliches. Umso optimistischer blickt er auf die Gegenwart und in die Zukunft:

"Ich halte die gegenwärtige Situation der Tschechischen Republik für ziemlich gut, obwohl noch sehr viel getan werden muss. Ich denke aber, dass 13 Jahre viel zu wenig sind, um alles, was in den Jahrzehnten kommunistischer Herrschaft zugrunde gerichtet wurde, wieder aufzubauen. Es braucht mehr Zeit, meiner Meinung nach mindestens zwei Generationen. Unsere Leute müssen sich daran gewöhnen und lernen, für die eigene Arbeit und das eigene Handeln selbst Verantwortung zu übernehmen und diese auch selbst zu tragen. Ich persönlich bin aber überzeugt, dass die Zukunft der Tschechischen Republik durchaus positiv zu sehen ist. Wenn die neue Generation, die Jungen von heute, das Schicksal der Republik in ihre Hände nimmt, in die Schlüsselpositionen von Politik und Wirtschaft kommt und jeder für sich und das Ganze Verantwortung trägt, dann werden wir mit Europa zumindest Schritt halten können. Dazu gehört auch der Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union. Auch wenn es nicht einfach für uns sein und zunächst einige Opfer kosten wird, ist dieser Schritt die einzige Möglichkeit und der einzige Weg, der uns nachhaltig hilft, die Prosperität des Landes zu steigern und Stagnation zu verhindern."

Der nunmehr 82 jährige Adolf Porner, der vor anderthalb Jahren seine Frau verlor, und heute bei der Familie seiner Enkelin in Zliv bei Liban lebt, ist froh, dass er heute in einem freien Land leben darf, und genießt das Leben, so gut er kann. Und so ist für ihn das Ende des Zweiten Weltkriegs nur mehr eine Erinnerung, aus der man allerdings, wie er meint, seine Lehren ziehen sollte. Viel wichtiger aber sind ihm die Gegenwart und die Zukunft.