Das Hochwasser in Tschechien und die Moldau-Stauseen
Das Jahrhunderthochwasser, dass die Tschechische Republik Mitte August heimgesucht hatte, war der Auslöser zu zahlreichen Debatten unter Experten, wie künftig solche Krisensituation vorgebeugt werden könnte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird dabei eine bessere Absicherung der Dämme bei den Stauseen eine der Schlüsselaufgaben werden. Mehr darüber erfahren Sie im folgenden Schauplatz, den für Sie Robert Schuster gestaltet hat.
Obwohl bereits zwei Wochen seit der größten Flutkatastrophe in der Geschichte Tschechiens vergangen sind, sind die Folgen und vor allem die Schäden, die das Jahrhundertwasser hinterlassen hat immer noch nicht im vollen Umfang erkannt. Nach dem ersten Schock über die Leichtigkeit, mit welcher das Wasser außer Kontrolle jeglicher technischer Mittel geraten konnte wird nun aber immer stärker die Frage gestellt, ob es nicht doch möglich gewesen wäre das Aufkommen der großen Wassermenge vorauszusagen, oder diesem zumindest entgegenzuwirken. Besonders starker Kritik waren deshalb in den letzten Wochen und Tagen die Wassertechniker an der Moldau ausgesetzt. Sie hätten, so der Vorwurf, den Pegel des Wassers in den sieben Moldau-Stauseen, die in den Jahren 1930 - 1992 gebaut wurden, schon früher, also bereits nach dem Einsetzten der ersten Regenfälle, durch Ablassen des Wassers senken sollen und somit zusätzlichen Raum für die neu dazu kommenden Wassermassen zu schaffen. Ein anderer Kritikpunkt, der sogar auf wissenschaftlichen Modellen und genauen mathematischen Berechnungen basiert, geht in die andere Richtung: Wissenschaftler rund um Universitätsdozent Ladislav Satrapa von der Prager Technischen Hochschule, vertreten nämlich die Meinung, dass die Moldau-Stauseen weitaus mehr Wasser aufnehmen können, als bisher angenommen wurde. Zu dem Team von Dozent Satrapa, welches seine Thesen auf erfolgreichen Modellversuchen nach dem letzten grossen Hochwasser in Tschechien des Jahres 1997 stützt, gehört auch die Hydrologin Maria Bujnokova, die im Gespräch mit Radio Prag diesen Standpunkt näher erläutert:
"Wir haben schon damals, vor fünf Jahren, nach dem großen Wasser in Mähren, an der Odra eine Computersimulation durchgeführt. Wir stellten uns damals die Frage, ob es technisch möglich ist, die Dämme mehr zu belasten, als von den Projektionsplänen her vorgesehen ist. Das Ergebnis hat uns selber überrascht, denn wir fanden heraus, dass die Deiche weitaus mehr aushalten, als vorgeschrieben ist. Denn vorgeschrieben ist in den Stauseen die Maximalhöhe in Metern, was aber in der Praxis bedeutet, dass es noch Reserven gibt. Dann kann es um jeden Meter zusätzlich gehen und das kann im Endeffekt viel helfen, gerade wenn so große Städte, wie etwa Prag bedroht sind."
Erwartungsgemäß sind aber diese und ähnliche Ansichten auf wenig Gegenliebe bei den Betreibern der Moldau-Talsperren gestoßen, verwiesen sie doch in den ersten kritischen Tagen stets darauf, dass sie sich strikt an die gegebenen Vorgaben halten und für den Anstieg der Wasseroberfläche in den Stauseen kein Spielraum mehr besteht. In durchaus emotionsgeladenen Stellungnahmen für die tschechischen Medien gaben einige von ihnen dann nach dem Abflauen der Jahrhundertflut, zu erkennen, dass ganz einfach nicht anders gehandelt werden konnte, als die Schranken der einzelnen Stauseen zu öffnen und das überlaufende Wasser unkontrolliert in die Moldau fließen zu lassen. In diesem Zusammenhang wurden sogar Vermutungen laut, wonach das Wasser der Moldau absichtlich weitaus langsamer von den sieben Talsperren ausgelassen wurde, als notwendig wäre, um somit billigen Strom für den grössten tschechischen Energieproduzenten CEZ produzieren zu können. In Richtung der Prager Technischen Hochschule ging von Seiten der Betreibergesellschaft der Vorwurf, wonach Erfahrungen aus anderen tschechischen Flüssen, also aus Nordmähren etwa, kaum auf die Moldau übertragen werden könnten. Dennoch zeigten laut Frau Bujnoková die Erfahrungen mit dem nordmährischen Fluss Odra, dass es im Rahmen der bereits bestehenden Bedingungen Verbesserungen unternommen werden könnten. So könnte z.B. die Koordinierung unter den einzelnen Talsperren verbessert werden, wie Marie Bujnokova von der Technischen Hochschule im Gespräch mit Radio Prag meint:
"Es geht jetzt darum, dass einer neuer Weg gefunden wird, wie die Koordination der einzelnen Stützpunkte der Moldau-Kaskaden verbessert werden kann. Dort würden alle Informationen, von den Hydrologen, den Meteorologen und anderen Experten aufgenommen und ausgewertet. Daraus könnten dann konkrete Lösungsvorschläge für ähnliche Hochwassersituationen, wie die vor zwei Wochen ausgearbeitet werden."
Auch Frau Bujnokova von der Prager Technischen Hochschule sieht jedoch ein, dass der Aufbau eines solchen s.g. Nervenzentrums für das System der Moldau-Talsperren nicht nur viel Zeit, sondern vor allem Investitionen in einer Grössenordnung erfordern würde, welche die finanziellen Möglichkeiten der Moldau-Betriebsgesellschaft auf lange Zeit auschöpfen würde. Dennoch könnte bereits eine Art Grundversion des Systems Abhilfe schaffen, mit dessen Unterstützung die einzelnen Wasserlagen im Computer modeliert werden könnten. Somit wäre es z.B. möglich zu verhindern, dass das Hochwasser auch dann noch ansteigt, wenn der bereits vorausgesagte Höhepunkt der Flut überschritten würde.
Das Hauptziel all jener, die sich am Kampf gegen die Fluten beteiligten ist es laut Frau Bujnoková zumindest ein Mindestmass an Informationen zur Verfügung zu haben, um entsprechend handeln zu können. Denn, und das hat gerade das Hochwasser in Tschechien vor zwei Wochen wieder einmal verdeutlicht, wenn einmal alle bis dahin für möglich gehaltenen Grenzen überschritten werden, fehlt es an den vielleicht wichtigsten Grundlagen für alle weiteren Entscheidungen, nämlich an genauen Daten z.B. über die Pegelhöhe, bzw. den Wasserdurchfluss. Alle Geräte sind dann auf einmal unbrauchbar und man muss sich auf die eigenen Einschätzungsgabe verlassen. So musste z.B. an jenem Nachmittag des 14. August, als die Flut der Moldau in Prag ihren Höhepunkt erreichen sollte und Vorbereitungen getroffen wurden, um den Altstädter Ring in der Prager Innenstadt vor dem Jahrhunderthochwasser zu schützen, auf sämtliche Messungen verzichtet werden. Dieser Umstand wird zwar laut Frau Bujnoková wahrscheinlich auch in Zukunft, beim Einsatz modernster Computersimulation nicht auszuschließen sein wenn sie gegenüber Radio Prag meint:
"Natürlich kann auch die beste Technik versagen und wahrscheinlich wären uns, würden wir bereits vor zwei Wochen das bereits erwähnte moderne Computersystem, welches die einzelnen Felder der Moldau-Kaskade besser mit einander verbindet, die Wassermassen in den Städten Süd-, Mittel- und Nordböhmens nicht erspart geblieben, aber wir hätten zumindest eine gewisse Sicherheit, dass wir so etwas künftig vorausahnen können. Letztlich geht es ja vor allem darum, die Folgen des Hochwassers zu minimalisieren."
Insgesamt gibt es heute an der Moldau sieben Talsperren, die zu unterschiedlichem Zeitpunkt und Zweck erbaut wurden. Die beiden ältesten Anlagen (Vrané und Stechovice) wurden bereits in den dreissiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erbaut. Zu deren Hauptaufgaben gehörte es damals vor allem die Binnenschifffahrt südlich von Prag zu ermöglichen. Spätere Werke, vor allem jene, die in den 50. und Mitte der 60. Jahre ihren Betrieb aufnahmen (wie z.B. Slapy, Lipno I und Kamýk) waren vor allem für die Energieproduktion bestimmt. Erst ab diesem Zeitpunkt, wurden die Talsperren auch mit dem Ziel gebaut künftigen Hochwassern an der Moldau vorzubeugen.
Eine Frage die sicher im Zusammenhang mit den Ereignissen von vor zwei Wochen gestellt werden wird, ist die nach der Zweckmäßigkeit eines möglichen Aufbaus von weiteren Stauseen in Tschechien. Wäre es also hilfreich, nun weitere Staudämme an den größten tschechischen Flüssen zu errichten? Maria Bujnoková von der Prager Technischen Hochschule meint dazu abschließend:
"Ich denke, diese Lösung, also neue große Staudämme aus Beton zu errichten nicht der richtige Ansatz sind. Schon seit vielen Jahren ist bekannt, dass in Tschechien Plätzen fehlen, wo man im Falle von Schwierigkeiten das überflüssige Wasser abführen konnte. Vielleicht würde der Bau von Polderanlagen, so wie es sie seit Jahrzehnten in den Niederlanden gibt, helfen. Oft sind es aber auch scheinbare Kleinigkeiten, die helfen würden die Schäden zu minimalisieren - z.B. klare Verbote in der Nähe von Flüssen zu bauen."