Das Marionetten- und Zirkusmuseum in Prachatice
Von den Wandertheatertruppen bis zu den ständigen Bühnen: In einem speziellen Museum in der südböhmischen Stadt Prachatice / Prachatitz wird die Geschichte des Marionettentheaters dokumentiert. Aber nicht nur das Puppenspiel steht im Fokus der dortigen Dauerausstellung, sondern auch die Welt des Zirkus und der Zauberei.
Das helle historische Haus auf dem Hauptplatz im Stadtzentrum von Prachatice ist nicht zu übersehen. Über der Fassade prangt eine Tafel, dort steht „Tschechisches Marionetten- und Zirkusmuseum“. Vom Eingang gelangt man rechts zur Kasse. Und dann sind es nur noch einige Treppenstufen hinauf, um in die Kindheit zurückzukehren. Denn gleich im ersten Raum hängen überall Marionetten verschiedenen Alters und Größen. Lenka Šaldová ist stellvertretende Leiterin der Theaterabteilung des Prager Nationalmuseums, zu dem das 2006 eröffnete Marionettenmuseum gehört. Sie erläutert, dass im ersten Stock des Gebäudes die Geschichte des Marionettentheaters hierzulande beschrieben werde:
„Die Historie beginnt mit den Wanderpuppenspielern. In unseren Sammlungen haben wir Marionetten, die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gefertigt wurden. Viele stammen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als viele Marionettentheater für Familien geschaffen wurden. Zahlreiche interessante Firmen produzierten sowohl Theaterdekorationen als auch Marionetten.“
Das Bühnenbild für die Marionettentheater stammte oft von namhaften tschechischen Künstlern – darunter von Karel Štapfer, Otto Bubeníček und Josef Váchal. Sie alle entwarfen Kulissen für Marionettentheater.
„Die bedeutendste Firma, die Marionetten produzierte, war das Unternehmen von Antonín Münzberg. Sie stellte Marionetten her, die 15 bis 50 Zentimeter groß waren. Die großen Puppen wurden aus Holz geschnitzt. Damals erlebte das Marionettentheater einen Boom. In vielen Familien wurde zu Hause Theater gespielt. Bis heute haben viele Tschechen noch Münzbergs Marionetten zu Hause, die sie von ihren Großeltern geerbt haben. Und in manchen Familien wird bis heute Marionettentheater gespielt.“
Schon im 19. Jahrhundert gab es in den Familien bekannter Schriftsteller und Künstler häufig Aufführungen mit Marionetten. Die Serienproduktion von Puppentheater begann der Expertin zufolge aber erst 1913. Einen Aufschwung erlebte sie in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Als 1948 die Kommunisten in der Tschechoslowakei die Macht ergriffen und anschließend alle Privatunternehmen verboten, bedeutete dies auch das Ende der Marionettenproduktion.
Puppentheater „Říše loutek“
In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gab es auch noch Wandertruppen, die Puppentheater auf dem Lande und in kleineren Städten spielten. Aber es seien zudem mehrere Vereine und Laiengruppen für diese Form des Theaters entstanden, erzählt Lenka Šaldová.
„Damals wurden einige Puppentheater gegründet, die sich als künstlerische Bühnen bezeichneten. Am berühmtesten davon ist das Theater von Spejbl und Hurvínek, das auch im Ausland bekannt geworden ist.“
Unter den Laienensembles gehört das Prager Puppentheater „Říše loutek“ zu den bekanntesten. Dieses habe vor einigen Jahren seinen 100. Geburtstag begangen, merkt die Theaterwissenschaftlerin an:
„Unser Museum hat sehr gute Beziehungen zu dem Theater. Gemeinsam haben wir einige Ausstellungen veranstaltet. In unseren Sammlungen befinden sich zudem viele Marionetten von Bildhauer, Holzschnitzer und Puppenspieler Vojtěch Sucharda. Und er gründete 1920 zusammen mit seiner Frau Anna Brichová Suchardová das Puppentheater. Sie entwarf Bühnenbilder, und viele ihre Entwürfe werden im Nationalmuseum aufbewahrt. Einige der Bühnenbilder und einige von Suchardas Puppen sind auch bei uns im Marionettenmuseum zu sehen. Gezeigt werden zudem Puppen, die Jiří Trnka für das Theater in Pilsen entworfen hat. Auch Spejbl und Hurvínek dürfen in der Dauerausstellung nicht fehlen. Dokumentiert wird zudem die Arbeit weiterer Puppentheater, die in der Tschechoslowakei aufgetreten sind.“
Marionetten in Lebensgröße
Die Dauerausstellung beschreibt die Geschichte des Marionettentheaters in der Tschechoslowakei bis in die 1950er Jahre. Damals sei ein Netz von professionellen Puppentheatern aufgebaut worden, erläutert Lenka Šaldová.
„In den 1950er und 1960er Jahren sind Theater entstanden, von denen viele bis heute spielen. Einige davon sind sehr angesehen – wie beispielsweise das Theater ,Drak‘ in Hradec Králové, das Theater ,Naivní divadlo‘ in Liberec oder das Theater ,Alfa‘ in Pilsen. Die zuletzt genannte Bühne steht im Fokus einer Ausstellung, die auf dem Dachboden des Museums zu sehen ist. Dort dokumentieren wir die Geschichte des Puppentheaters bis in die Gegenwart anhand von Beispielen konkreter Bühnen. Angefangen haben wir mit dem Puppentheater ,Alfa‘. Die Schau hat das Westböhmische Museum in Pilsen zusammengestellt. Präsentiert werden sechs bedeutende Inszenierungen von Alfa. Die Besucher können dort ganz andere Marionetten bewundern als in der Dauerausstellung.“
Im Ausstellungsbereich auf dem Dachboden werden Puppen in Lebensgröße gezeigt. Vorgestellt wird zudem das Werk von Künstlern und Bühnenbildnern, die mit dem Pilsener Theaterensemble zusammenarbeiten.
Einzigartig am Museum in Prachatice sei die Verbindung von Marionettenmuseum und Zirkusmuseum, betont Šaldová:
„In Tschechien bestehen mehrere Dauerausstellungen über Puppentheater. Die größte davon befindet sich in der Stadt Chrudim. Aber es gibt nur ein einziges Zirkusmuseum hierzulande. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass der Zirkus und die Zirkusleute eine Welt für sich bilden. Und sie haben oft nicht die allerbesten Beziehungen zu offiziellen Stellen. Dem Nationalmuseum und meinem Kollegen Hanuš Jordán, der die Dauerausstellung über die Zirkusgeschichte zusammengestellt hat, vertrauen sie jedoch. Die ganze Zirkusgemeinschaft kommt auch regelmäßig im Museum in Prachatice zusammen. Und wir haben von ihnen auch einige Gegenstände für die Museumssammlungen erhalten, die wir ansonsten nicht erworben hätten.“
Humberto, Kludsky, Berousek
Im Fokus steht die Geschichte des Zirkus vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Vorgestellt werden die einzelnen Zirkusdisziplinen sowie die Requisiten, die im Zirkus genutzt werden. Eine kleine selbständige Schau ist dem Metier der Zauberer gewidmet. Welche Zirkusse waren hierzulande am berühmtesten?
„Dank einer Fernsehserie aus den 1980er Jahren ist der Zirkus Humberto in der Öffentlichkeit vermutlich am bekanntesten. Im Museum finden sich interessante Exponate zu den Zirkussen Kludsky und Berousek. Früher gab es viele, die internationale Kooperationen betrieben haben und und durch die Welt gereist sind. Derzeit sinkt die Zahl der Zirkusse. Aber ihre Geschichte verdient es, im Museum dokumentiert zu werden.“
Das Tschechische Marionetten- und Zirkusmuseum beherberge aber nicht nur Dauerausstellungen, sagt Lenka Šaldová:
„Bei uns arbeitet die hervorragende Kuratorin Hanka Patrasová, die das ganze Jahr hindurch Führungen und Workshops organisiert. Es ist schon zur Tradition geworden, dass zweimal im Jahr Festivals im Museum organisiert werden. Vor kurzem fand das Festival ,Floutek‘ in Prachatice statt. Es war ein Puppentheater- und Zirkusfestival auf der Straße. Trotz des regnerischen Wetters sind viele Menschen gekommen. Im Herbst wird ein weiteres Fest organisiert. Im Museum pulsiert das Leben, die Besucher können aus unterschiedlichen Programmangeboten auswählen.“
Prachatice liegt nahe der Grenze zu Bayern. Das Museum wird auch von Touristen aus Deutschland besucht. Und Lenka Šaldová möchte die Zusammenarbeit mit dem Nachbarland ausbauen.
„Vor zwei Jahren haben wir im Museum eine Ausstellung mit dem Titel ,Die Grenze ist nur ein Wort‘ gezeigt. Sie dokumentierte die Treffen von Tschechen und Deutschen an unterschiedlichen Orten auf beiden Seiten der gemeinsamen Grenze, als diese während der Corona-Zeit geschlossen war. Durch die Ausstellung haben wir Kontakte zum Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee geknüpft. Wir bemühen uns darum, alle Ausstellungen, die wir für das Museum zusammenstellen, mit tschechischen und deutschen Beschriftungen auszustatten.“
Das Tschechische Marionetten- und Zirkusmuseum ist sich auf dem Platz Velké náměstí in Prachatice angesiedelt. Es ist täglich außer montags von 9 bis 17 Uhr geöffnet.