Ein Leben für das moderne Puppentheater

Karel Makonj (Foto: Archiv des Theaterinstituts Prag)

Karel Makonj hat die Entwicklung des Puppentheaters in der Tschechoslowakei entscheidend beeinflusst. Einst sagte er, dass sich die Jahrhunderte alte Tradition des Marionettenspiels hierzulande als „Danaergeschenk“ erwiesen habe. Der Neuerer ist Anfang Januar im Alter von 70 Jahren gestorben. Ein Nachruf auf den Theatertheoretiker und Künstler.

Karel Makonj  (Foto: Archiv des Theaterinstituts Prag)
„Ein Theaterschaffender, der seiner Zeit voraus war“– diese Worte über Karel Makonj kann man in einem Nachruf seiner Branchenkollegin Nina Malíková lesen. Sie ist die Vorsitzende des tschechischen Zentrums bei der internationalen Puppenspieler-Vereinigung, kurz Unima. Ihr zufolge versuchte Karel Makonj bereits in den 1960er Jahren, seine Ideen umzusetzen. Damals studierte er noch am Puppenspiel-Institut der Prager Akademie der musischen Künste. Makonj sah Schauspiel und Marionettenspiel als gleichberechtigte Kunstrichtungen. Nina Malíková im Gespräch für den Tschechischen Rundfunk:

„Gut informiert über die aktuellen Trends in der Welt des sogenannten Figurentheaters bemühte er sich um eine bessere Position dieser Sparte der tschechischen darstellenden Kunst. 1969 begründete Makonj eine Experimentalbühne unter dem Namen ‚Vedené divadlo‘ (Geführtes Theater, Anm. d. Red.). In seinen Inszenierungen führte er Marionetten beziehungsweise Figuren, manchmal sogar in Menschengröße, zusammen mit auf eine Bühne. Sie interagierten, wie wir das aus dem Schauspieltheater kennen. Das verlieh dem jeweiligen Stück eine neue Qualität.“

„Enfant terrible“ des Marionettentheaters

Nina Malíková  (Foto: Archiv DAMU)
Makonj schuf Marionettentheater für Erwachsene. Die Inszenierungen sollten auch aktuelle gesellschaftliche Themen aufgreifen. Das machte ihn zu einem „Enfant terrible“ seiner Zunft hierzulande. Laut Nina Malíková brachte Makonj in den 1960er Jahren absurde Stücke und existenzialistische Werke auf die Bühne. So etwa „Das Missverständnis“ von Albert Camus oder „Hop, Signor!“ von Michel de Ghelderodes. Dabei war das Theater „Vedené divadlo“ in keinerlei Hinsicht auf Rosen gebettet.

„Das Theater wurde vom sogenannten ‚Staatlichen Theaterstudio‘ verwaltet. Dabei handelte es sich um eine Art sonderbaren Konglomerats von ungefähr fünf Theaterbühnen. Damals gab es hierzulande keine unabhängigen Ensembles, die selbst über ihr Programm entscheiden konnten. Weder das Repertoire von Makonjs Theater noch die eigenartige Aufführungspraxis passten ins Konzept derer, die das Sagen hatten. Kurzum, man war nicht am Fortbestand des Ensembles interessiert. Es hatte nicht einmal einen festen Ort für seine Auftritte. Auch die finanzielle Unterstützung lief fehl. Letztlich musste das Theater aus verwaltungspolitischen Gründen im Jahr 1972 seine Tätigkeit beenden“, so Nina Malíková.

„Naive Theater“ in Liberec  (Foto: encsere,  CC BY 3.0)
In den folgenden Jahren verkleinerte sich der Spielraum für Theaterexperimente noch weiter. Der neue restriktive Kurs, die sogenannte „Normalisierung“ nach der Niederschlagung der Reformbewegung „Prager Frühling“ im August 1968, schlug vollends durch. Das bekam auch Karel Makonj zu spüren. Er war zwar als Regisseur an verschiedenen Puppentheaterbühnen tätig, aber immer nur kurz. Zu diesen Orten gehörten zum Beispiel das „Naive Theater“ in Liberec / Reichenberg, das Prager Theater „Spejbl und Hurvínek“ oder das „Mittelböhmische Puppentheater“ in Kladno. Makonjs originelle Einstudierungen in den 1980er Jahren im Pilsener „Kindertheater Alfa“ lösten erneut Diskussionen aus. Einerseits weckten sie das Interesse an etwas Neuem, zugleich aber herrschte auch wieder viel Missverständnis. Nach einiger Zeit wurden die Inszenierungen in aller Stille verboten. Das tiefe Interesse des Regisseurs an der Entwicklung des künstlerischen Puppenspiels ließ aber nicht nach.

Inszenierung des „Kleinen Prinzen“

Mindestens fünfmal inszenierte Karel Makonj seine eigene Dramatisierung von Antoine de Exupérys „Der kleine Prinz“. Das geschah jeweils mit unterschiedlichen Mitteln, doch jedes Mal zu den gleichen Themen: Wüste, Einsamkeit, Flucht und Selbstreflexion. Besonders stand dabei die Begegnung mit sich selbst im Mittelpunkt. Karel Makonj 2008 in einem Rundfunkinterview:

„Der Pilot stürzt ab und begegnet dem kleinen Prinzen. Er schafft es aber nicht, sein Flugzeug zu reparieren und bleibt deshalb in der Wüste zurück. Der kleine Prinz jedoch kann verschwinden, indem er sich von der Schlange beißen lässt. Der kleine Prinz ist der Pilot selbst als Kind. Im Moment der Todesgefahr trifft er sich selbst. Und in ihm vollzieht sich ein inneres Reifen, begleitet vom Gefühl der Versöhnung.“

Eine seiner Inszenierungen von Exupérys „kleinem Prinzen“ führte Makonj im polnischen Lublin auf. Die Musik komponierte einer der berühmtesten polnischen Liedermacher und Sänger: Czesław Niemen. Die Premiere fand am 2. Mai 1977 statt:

„Die Einladung nach Lublin kam von Włodzimierz Felenczak, meinem Kommilitonen aus der Zeit unseres Studiums in Prag. In den 1970er Jahren war er Leiter und Regisseur der Lubliner Puppenbühne ‚Teatr lalki‘. Ich habe mich auf das Treffen mit dem polnischen Theater sehr gefreut. Es war – insbesondere damals – unvergleichlich progressiver als ich. Ich suchte jemanden, der gute Musik für die dortige Inszenierung komponieren könnte. Man hat mir Czesław Niemen vorgeschlagen. Das Lubliner Theater bot an, als erstes Puppentheater in Polen ein professionelles Quadrophonie-System im Saal installieren zu lassen. Das war interessant auch für Niemen. Die Einspielung der Musik fand in seinem ‚Atelierstudio‘ im Warschauer Nationaltheater statt. Es war eine Art ‚kosmische Musik‘. Exupérys Pilot sowie sein kindliches Pendant waren letztlich ja auch mit dem Kosmos konfrontiert“, so Karel Makonj.

Foto: Tschechisches Fernsehen
Der Tscheche hatte in der Tat ein Faible für das polnische Theater. Deswegen wollte er weiter in Polen bleiben. Sein nachfolgendes Engagement als Regisseur am Puppentheater in Lodz wurde 1981 durch die Ausrufung des Kriegsrechts in Polen beendet.

Neuanfang nach der Wende

Die neuen Spielformen, für die sich mittlerweile Namen wie zum Beispiel „Figurentheater“, „Objekttheater“ oder „Theater der Spieler und Figuren“ eingebürgert haben, wurden hierzulande erst nach der politischen Wende von 1989 aufgegriffen. Im Rundfunkinterview von 2008 bekannte sich Makonj dazu, dass er früher Länder beneidete, die zwar keine so lange Tradition des Puppentheaters wie Tschechien hatten, in denen aber Marionettentheater für Erwachsene ohne Vorurteile gespielt wurde und dieses genauso gut besucht war wie die gängigen Schauspielhäuser:

Foto: Tschechisches Fernsehen
„Die Tradition hat sich bei uns manchmal oder sogar oft als Danaergeschenk erwiesen. In den Ländern mit nicht so langer Geschichte des Puppenspiels wurde das Marionettentheater wahrscheinlich nicht so sehr mit Kindern und Nachmittagsvorstellungen am Samstag und Sonntag assoziiert. Dass die Interaktion von Schauspieler und Marionette in den früheren Ostblockländern entstanden ist, war meiner Meinung nach kein Zufall. Sie ist eine Metapher auf das dortige Gesellschaftssystem gewesen, dass sich der Mensch also wie eine Marionette in jemandes Händen fühlen kann. Die Wurzeln dieser Metapher lassen sich aber schon in der deutschen Romantik finden.“

 Kindertheater „Minor“  (Foto: VitVit,  CC BY-SA 4.0)
Erst ab 1990 öffnete sich der Raum für Makonjs Theaterkonzept wieder. Bis dahin hatte er in einer psychiatrischen Klinik in Prag als Kunsttherapeut Zuflucht gefunden, nun wurde er Direktor des Prager Kindertheaters „Minor“. In seinen Inszenierungen knüpfte er an die Poetik seines Theaters „Vedené divadlo“ an, seine 20 Jahre alten Konzepte wollt er aber nicht mehr umsetzen. Das „Minor“ bot Vorstellungen sowohl für Kinder als auch für Erwachsene. Für Letztere wagte Makonj auch, einige bis dahin – besonders im Theater – tabuisierte Themen auf die Bühne zu bringen. Das war etwa die Auseinandersetzung mit dem Tod oder dem Lebens nach dem Leben. Kurzum: Der Regisseur wollte zum Nachdenken anregen. Acht Jahren später wechselte Makonj an das „Institut für alternatives Theater und Puppentheater“ und unterrichtete dort als Hochschullehrer. 2009 wurde er zum Universitätsprofessor ernannt.

Vor zwei Jahren wurde Makonj beim Festival des alternativen Theaters „Příští vlna / Next Wave“ für sein Lebenswerk ausgezeichnet. „Lebendiger Schatz“ nennt sich der Hauptpreis dort – und das gilt nach Meinung vieler auch für das Vermächtnis des Künstlers nach dessen Tod.