Das Reliquiar des Heiligen Maurus – ein Kriminalfall mit Happy end

Reliquienschrein des Heiligen Maurus

Ab dem 24. November wird auf der Prager Burg das Reliquiar des Heiligen Maurus ausgestellt. Eigentlich ist sein Zuhause in Westböhmen, ganz genau im Schloss von Becov nad Teplou / Petschau. Von dort zieht das Kunstwerk aus dem 13. Jahrhundert nun für eine Sonderausstellung in die Hauptstadt um - unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen. Schließlich handelt es sich um den zweitwertvollsten Kunstgegenstand hierzulande. Trotzdem wissen selbst viele Tschechen nicht allzu viel über den Maurus-Schrein. Dabei hat er viel zu erzählen. Spektakulär war vor allem die Wiederentdeckung des Schreins vor 25 Jahren.

Statue des Hl. Maurus in der Kirche Bec Hellouin  (Foto: www.wikimedia.org)
Der Heilige Maurus: in Rom geboren, in böhmischer Erde begraben. Und doch ist Maurus, lateinisch „der Mohr“, alles andere als ein böhmischer oder tschechischer Nationalheiliger. Im 6. Jahrhundert war Maurus ein Schüler des Heiligen Benedikts von Nursia, dem Begründer des christlichen Mönchtums im Westen. Dieser soll Maurus nach Gallien gesandt haben, wo er um das Jahr 584 starb. Etwa 300 Jahre später sollen in Frankreich Reliquien von Maurus gefunden worden sein, für die das Benediktinerkloster in Florennes (heute in Belgien) im 13. Jahrhundert ein prächtiges Reliquiar herstellen ließ. Dessen Anblick ist überwältigend. Es ist ein goldglänzender Schrein von etwa 1,40 Meter Länge, verziert mit verschiedensten Reliefs, reich geschmückt mit unzähligen Edelsteinen. Ein mittelalterliches Kunstwerk von unschätzbarem Wert, und heute die Hauptattraktion im Schloss Bečov nad Teplou / Petschau in Westböhmen.



Reliquienschrein des Heiligen Maurus
Der Maurus-Schrein gilt als das zweitwertvollste Kunstwerk in der Tschechischen Republik, gleich nach den Krönungsinsignien des Königreichs Böhmen. Dabei wusste bis 1985 kaum jemand überhaupt von seiner Existenz. Warum, das erklärt ein Blick in die Geschichte der belgisch-französischen Adelsfamilie Beaufort-Spontin. Alfred de Beaufort erwarb das Reliquiar des Heiligen Maurus im Jahre 1838. Er ließ es restaurieren und 50 Jahre später in Brüssel ausstellen. Danach sollte die Öffentlichkeit den Maurus-Schrein fast 100 Jahre nicht mehr zu Gesicht bekommen, erzählt Kateřina Pánková, Historikerin im Schloss Bečov:

Schloss Bečov nad Teplou
„Der Reliquienschrein des Heiligen Maurus wurde bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts im Schloss Bečov aufbewahrt, das damals im Besitz der Familie Beaufort-Spontin war. Diese Familie musste nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Tschechoslowakei verlassen. Sie hatte mit den Nazis kollaboriert. Vor ihrer Flucht versteckte die Familie den Schrein auf dem Gelände des Schlosses von Bečov. Offenbar wollte sie einige Jahre später zurückkehren, um ihn zu holen. Das gelang aber nicht, und dass der Maurus-Schrein jemals in Bečov aufbewahrt wurde, geriet in Vergessenheit.“

Den Reliquienschrein des Heiligen Maurus fanden sie unter dem Boden der Burgkapelle
Im Jahr 1984 erhielten der junge Prager Kriminalpolizist František Maryška und sein Team eine knifflige Aufgabe.

„Wir wurden aufgefordert einen Gegenstand zu finden, der ins Ausland verkauft werden sollte, von dem man aber nicht wusste, was es ist“, erinnert sich Maryška.

Kurz zuvor war der in Österreich lebende amerikanische Geschäftsmann Danny Douglas im tschechoslowakischen Konsulat in Wien aufgetaucht. Der damals 46-Jährige bot den tschechoslowakischen Behörden 250.000 US-Dollar. Dafür wollte er einen nicht näher bestimmten Kunstgegenstand aus der Tschechoslowakei ausführen dürfen, den angeblich niemand suche und der niemandem fehle. Die Behörden bissen an. Sie wollten jedoch sichergehen, dass sie kein Diebesgut verkaufen. Und dass der Verkauf des Gegenstands keinen großen Verlust für den tschechoslowakischen Staat darstellen würde. Der Amerikaner Douglas aber verriet nichts. 2006 erzählte er einem Team des Tschechischen Fernsehens:

Foto: www.ct24.cz
„Sie haben schon in Wien versucht, Informationen aus mir herauszubekommen: ‚Was ist es? Wo ist es?’ Ich entgegnete: ‚Ich kann Ihnen nichts sagen. Es geht um viel Geld. Gebt mir die Chance mit jemandem aus dem Außenministerium zu sprechen.’ Als ich dann in die Tschechoslowakei kam, verwiesen sie mich nur an die staatliche Firma Artia, die mit Kunsthandel zu tun hatte.“

Douglas verhandelte also mit den Vertretern der Firma Artia. Mit am Tisch saßen Beamte des tschechoslowakischen Finanzministeriums. Das glaubte zumindest Douglas. In Wirklichkeit waren es František Maryška und seine Kollegen von der Kriminalpolizei:

Reliquienschrein vor der Restaurierung  (Foto: Polizeimuseum der Tschechischen Republik)
„Wir haben am Anfang überhaupt nichts gewusst. Er sagte immer nur, er könne nicht sagen, was es ist. Daraus schlossen wir, dass es sich um eine außergewöhnliche Sache handeln musste, die vielleicht schon mal irgendwo ausgestellt wurde“, so Maryška.

Für die Kriminalisten begann eine 14-monatige sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen, mit dem Unterschied, dass derjenige, der im Heuhaufen wühlt, wenigstens weiß, dass er nach einer Nadel sucht. Doch in den Verhandlungen über einen Kaufvertrag lieferte Douglas winzige, aber wichtige Informationen, die die Polizei auf die Spur brachten. Er gab zum Beispiel an, dass der Gegenstand unmittelbar nach dem Krieg vergraben wurde, und dass das Versteck immer noch in seinem ursprünglichen Zustand sei. Da ein hoher Wert des Gegenstandes angenommen werden musste, kamen also nur reiche Adelsgeschlechter in Frage, deren ehemalige Immobilien seit 1945 nicht restauriert wurden. Zudem musste Douglas versprechen, das Kunstwerk mit fachkundigen tschechoslowakischen Kunstexperten aus der Erde zu holen. Der Amerikaner lieferte also Informationen über die zur Bergung benötigte Technik. Die Beamten konnten daraus auf die Größe und das Material des Gegenstandes schließen. Noch heute ärgert sich Douglas über seine Naivität:

Foto: http://feudum.eu
„Während wir redeten, machte ich einige Fehler. Mein letzter Fehler… das war, als sie mich fragten, wo wir uns treffen könnten. Ich nannte einen Ort nahe dem Versteck. Ich sagte Karlovy Vary / Karlsbad.“

Für die Kriminalisten war damit klar: Der gesuchte Schatz muss in Bečov sein. Doch sie wussten noch immer nicht, woraus dieser Schatz eigentlich bestand. Ein Besuch bei Dagmar Heydová, der damaligen Leiterin des Kunstgewerbemuseums in Prag, sollte das ändern. Dabei war aber auch Glück und Zufall im Spiel, sagt Heydová:

Foto: ČTK
„Ich nahm das Verzeichnis der Kunstdenkmäler in Tschechien zur Hand, ein dickes Buch, das noch auf Deutsch geschrieben wurde. Das Verzeichnis wurde 1932 herausgegeben. Ich habe darin ein wenig herumgeblättert und da sah ich es dann plötzlich. Ich starrte darauf. Da war das Reliquiar.“

Mit Schaufeln und Metalldetektoren machten sich Maryška und seine Kollegen im Schloss von Bečov zu schaffen. Am 5. November 1985 gegen Mitternacht fanden sie unter dem Boden der Burgkapelle den Reliquienschrein des Heiligen Maurus.

František Maryška und Danny Douglas traffen sich nach 25 Jahren  (Foto: Jana Kopecká,  http://karlovarsky.denik.cz)
Selbstverständlich wurde der wertvolle Goldschatz nicht verkauft. Woher Danny Douglas von ihm wusste, hat er nie verraten. Angeblich soll er von einem Nachkommen der Familie Beaufort beauftragt worden sein. Nach der Wiederentdeckung verbrachte das Reliquiar des Heiligen Maurus jedenfalls mehrere Jahre im Tresor der Tschechoslowakischen Nationalbank. Die klimatischen Bedingungen dort taten ihm nicht gut. 1991 wurde mit der Restaurierung des stark beschädigten Schreins begonnen. Sie dauerte elf Jahre. Seit 2002 ist der Maurus-Schrein im Schloss Bečov ausgestellt. Kriminalpolizist František Maryška, der sich nie zuvor für Kunst interessiert hat, hat eine besondere Beziehung zu dem mittelalterlichen Kunstwerk aufgebaut:

Restaurierung des stark beschädigten Schreins  (Foto: www.zamek-becov.cz)
„Seit das Reliquiar ausgestellt ist, habe ich Blut geleckt. Ich habe schon den Fortgang der Restaurierung begleitet, fühle mich sozusagen als ‚Pate’ des Reliquiars. Meine Beziehung zur Kultur hat sich stark geändert. Damals als junger Polizeidetektiv habe ich darüber nicht soviel gewusst wie heute.“