Den Frühling spüren!

Endlich ists soweit. Nach einem langen Winter macht sich langsam, aber sicher der Frühling bemerkbar. Und alles verwandelt sich, Stadt, Natur und Mensch. Dazu ein paar Gedanken von Alexander Schneller.

Es gibt eine ganze Reihe von Anzeichen. Zum Beispiel stelle ich mit Befriedigung fest, dass der Heizkessel jetzt nicht mehr fast den ganzen Tag rasselt, um die Temperatur in der Wohnung angenehm zu gestalten. Ausserdem kann ich den Schal zu Hause lassen, und leichtere Hemden sind auch wieder gefragt. Im Übrigen ist es morgens um sechs Uhr, wenn der Wecker piept, schon viel heller als noch vor ein paar Wochen. Und da steht sichs doch entschieden leichter auf. Auch gegen Abend, wenn wir aus dem Büro oder woraus auch immer kommen, ist es noch hell, ja wird es von Tag zu Tag immer heller. Und die Natur erst! Prag bekommt bald wieder ein grünes Kleid. Denn es knospt allenthalben, und die vielen Parks und Grünoasen verwandeln sich wie vom Zauberstab berührt. Die Sonne hat mehr Kraft, das Licht beleuchtet das Burgpanorama intensiver und brillanter. Und der Duft. Ja, das ist jeweils die eigentliche Sensation, wenn im Frühling in einer ansonsten eher auspuffgetränkten Grossstadt urplötzlich ganz zarte Blütendüfte zu riechen sind, sogar Gerüche, die an einen Wald oder ans Gebirge erinnern, gibts. Wahrscheinlich bilden wir uns das jeweils zum grössten Teil ein, weils eben Frühling wird. Und auch unser Inneres weitet sich, spannt seine Flügel aus. Ähnlich wie der Schmetterling die verpuppte Raupe verlässt, schwingen sich unsere Gedanken ins Freiere, atmen wir plötzlich wieder tiefer, schütteln wir den Ballast des Winters energisch und entschlossen ab.

Und, na ja, auch das wahrscheinlich eine dieser Einbildungen, wir entwickeln ganz besondere Regungen und Gefühle. Liebesgefühle nämlich, oder sagen wirs etwas prosaischer: Unsere Triebe regen sich. Genau so wie die Triebe an den Bäumen und Sträuchern. Also wahrscheinlich handelt es sich doch nicht bloss um Einbildung, sondern einfach um Natur. Wir spüren halt den Frühling, pflegen wir zu sagen. Und damit ist dieses Gefühl gut getroffen: "Den Frühling spüren" bedeutet mit allen unseren Sinnen erleben, dass es Frühling wird. Spüren aber auch im Sinne von ahnen, merken, sogar erkennen. Genau das wird deutlich am prägnantesten Zeichen, dass es Frühling wird: Die Menschen sitzen wieder draussen, auf den Bänkchen im Park, auf dem Altstädterring beim Hus-Denkmal, im Franziskaner-Garten, sogar wieder an den Bistrot-Tischchen der ersten Wirtshäuser, die sich bereits jetzt gute Geschäfte versprechen. Für mich besonders reizvoll ist die Tatsache, dass am Moldauufer wieder spaziert wird und man schon bald auch dort wieder einen Kaffee trinken oder an einem Glas Sekt nippen kann. Dennoch habe ich meine Winterkleidung noch nicht verstaut. Denn es ist gut möglich, dass Kälte und sogar Schnee ab und zu wieder auftauchen. Aber eines ist ganz klar: Es handelt sich bloss noch um Rückzugsgefechte des Winters. Ab jetzt also, liebe Hörerinnen und Hörer, lasst uns den Frühling spüren und geniessen!