Den Vorurteilen davonlaufen – „Yellow Ribbon Run“ in Tschechien
Einmal Knacki, immer Knacki – der Weg aus dem Gefängnis zurück in die Gesellschaft ist schwer. Vor allem eine Rückkehr in die Arbeitswelt ist für viele ehemalige Häftlinge ein großes Problem. Eine internationale Initiative will auch in Tschechien helfen, Vorurteile abzubauen – und das bei einem Marathon.
„Ich habe Klienten vertreten, die im Großhandel mit Fotovoltaik-Anlagen tätig waren. Das allein war schon problematisch genug. Ich habe dann einen professionellen aber auch persönlichen Fehler gemacht. Und der hat mich meine gesamte Karriere gekostet. Ich bin letztlich im Strafvollzug gelandet, wo ich auch heute noch bin. Verurteilt wurde ich damals zu siebeneinhalb Jahren und einem Berufsverbot. Auch deshalb muss ich mir jetzt überlegen, was ich machen will, wenn ich meine Strafe abgesessen habe. Denn zu meinem Beruf zurück kann ich ja nicht.“
Marián ist bei weitem nicht der einzige, dem es so geht. Rund 15.000 Menschen verlassen jährlich die tschechischen Gefängnisse. Und alle haben eine Frage: Was jetzt? Viele der Ex-Häftlinge haben enorme private Probleme: Schulden, ihre Familie ist in die Brüche gegangen oder sie haben kein Dach mehr über dem Kopf. Dazu kommt ein gesellschaftliches und professionelles Stigma. Praktisch alle Arbeitgeber verlangen einen Auszug aus dem Strafregister. Ist dieses nicht blank, ist eine Anstellung so gut wie aussichtslos.So ist es auch bei Sandra, sie saß wegen Betrugs ein und hat dadurch so gut wie alles verloren, sowohl ihre Arbeit, als auch ihre privaten Bindungen:
„Drei Jahre war ich von meinem Partner getrennt, deshalb habe ich ihn leider auch verloren. Das Gefängnis hat mich sehr viel gekostet. Auch ein festes Arbeitsverhältnis habe ich derzeit nicht. Das größte Problem ist, dass die Arbeitgeber allesamt einen guten Leumund verlangen. Ich warte also auf eine gute Gelegenheit.“
Die schwierige Lage der ehemaligen Häftlinge bestätigen auch die Statistiken: Nur rund ein Drittel der entlassenen ehemaligen Straftäter schafft den Sprung zurück ins Arbeitsleben.
Marathon zur gesellschaftlichen Akzeptanz
Marián und Sandra wollen auf ihr Schicksal aufmerksam machen – und zwar mit ihren Beinen. Sie trainieren derzeit für den Prag-Marathon, der Anfang Mai stattfindet. Sie nehmen an einer Staffel mit weiteren gegenwärtigen und ehemaligen Strafgefangenen teil. Möglich macht das die internationale Initiative „Yellow Ribbon Run“. Gabriela Slováková ist Direktorin der JVA in Světlá nad Sázavou und hat die Idee nach Tschechien gebracht:„Das erste Mal habe ich 2011 bei einer großen internationalen Konferenz in Singapur vom ‚Yellow Ribbon Run‘ gehört. Ich war davon so begeistert, dass ich das Konzept auch in Tschechien etablieren wollte. Am Anfang wollte aber niemand so recht meine Begeisterung teilen. Die Leute meinten, dass ich verrückt geworden wäre. Manche glauben einfach nicht, dass verurteilte Straftäter eine zweite Chance erhalten sollten. Bei den Häftlingen war die Lust auch nicht besonders groß, an die große Glocke zu hängen, dass man im Gefängnis war oder ist. Der Weg war am Anfang also steinig.“
Seine Wurzeln hat der „Yellow Ribbon Run“ in Singapur. Inspiriert ist er vom US-Schlager „Tie a Yellow Ribbon Round the Old Oak Tree“. In dem Song geht es um einen Häftling, der seiner Liebsten aus dem Gefängnis schreibt. Seit dem Jahr 2004 heften sich verurteilte Straftäter ein gelbes Band ans Revers und laufen bei einem Marathon mit. Später wurden auch andere Sportarten, musikalische Veranstaltungen und Weiteres angeschlossen. Mittlerweile hat die Initiative in 80 Ländern der Welt Nachahmer gefunden.In Tschechien gibt es den „Yellow Ribbon Run“ seit vergangenem Jahr, und der er konnte bereits die Schirmherrschaft des Justizministeriums gewinnen sowie die Unterstützung von RunCzech und einem privaten Investor. Das Motto der Läufer heißt dabei „Utec predsudkum“ / „Lauf den Vorurteilen davon“. Beim Prag-Marathon im vergangenen Jahr nahmen insgesamt 32 Läufer mit gelber Schleife teil. In diesem Jahr sind beim Prag Marathon oder bei der Staffel bereits 856 Anmeldungen eingegangen. Und das von Häftlingen und Angestellten aus 20 der insgesamt 35 tschechischen Gefängnissen, ehemaligen Insassen und von weiteren Unterstützern.
Jeder verdient seine zweite Chance
Gabriela Slováková hatte klare Motive, warum sie den „Yellow Ribbon Run“ nach Tschechien bringen wollte:„Auch banale Übertritte, wie das Nichtzahlen von Alimenten oder wiederholte Diebstähle, werden hierzulande mit Gefängnis bezahlt. Der Mensch ist aber nicht von Geburt an ein Verbrecher. Vielleicht sind Drogen schuld am Verhalten eines Straftäters, und er schafft den Absprung aus der Szene nicht von selbst. Oder wir haben Fälle von Tötungen aus Affekt. Doch auch diese Menschen sollten die Chance haben, nach ihrer Entlassung ein neues Leben zu beginnen. Was will aber die Gesellschaft? Dass diese Menschen anfangen zu arbeiten und ihre Schulden abbezahlen? Oder etwa, dass ihnen niemand hilft und sie so zwangsläufig rückfällig werden? Das ist die grundlegende Frage, die sich jeder stellen sollte, der ehemaligen Häftlingen keine zweite Chance einräumen will.“
Denn ohne zweite Chance und soziale Akzeptanz finden sich viele ehemalige Häftlinge in einem Teufelskreis wieder. Die Zahl der Wiederholungstäter ist hoch in Tschechien, über die Hälfte der begangenen Straftaten geht auf ihr Konto.Eine Form der Prävention ist auch die soziale Arbeit mit den entlassenen Strafgefangenen. Diese übernimmt zum Teil das staatliche Amt für Bewährung und Schlichtung, aber auch NGOs. Eine davon ist das Rubikon Centrum, das von Dagmar Doubravová geleitet wird:
„Für uns ist entscheidend, dass sich diejenigen, die sich bei uns melden, auch tatsächlich ändern wollen. Erst dann können wir ihnen wirklich helfen. Wir unterstützen die entlassenen Häftlinge dann vor allem bei der Suche nach Arbeit. Die Mehrheit unserer Klienten ist zudem stark verschuldet. Entweder wegen ihrer Haft oder durch finanzielle Altlasten. Aus dem Gefängnis heraus zahlt kaum einer seine Schulden ab. Es sind genau diese zwei Dinge, die wir unseren Schützlingen vermitteln wollen und die wir mit ihnen zusammen lösen. Und bisher hat sich unser Weg als richtig gezeigt. 75 Prozent der Menschen, denen wir Arbeit bei unseren Partnerfirmen vermittelt haben, sind durch die Probezeit gekommen und halten auch weiter durch. Das bedeutet, dass wir eine überdurchschnittlich hohe Erfolgsquote haben.“
Einer, der es geschafft hat, ist Milan. Er saß wegen eines Gewaltdelikts in Haft, seit einigen Jahren ist er wieder draußen:
„In den Knast gekommen bin ich durch mein eigenes Fehlverhalten. Mein Kind ist gestorben, danach habe ich mich scheiden lassen. Am Ende habe ich zu saufen angefangen und Dummheiten gemacht. Deswegen bin ich auch im Gefängnis gelandet. Bereits von dort aus hat man mit uns Arbeit gesucht. So hatte ich gleich eine Stelle, als ich rausgekommen bin. Ich bin jetzt in einem Callcenter beschäftigt, und die Arbeit hilft mir sehr. Schon seit zwei Jahren bin ich frei, habe eine neue Freundin und eine Wohnung. Ich bin zufrieden.“Milan ist schon vergangenes Jahr beim „Yellow Ribbon Run“ mitgelaufen, damals einen zehn Kilometer langen Abschnitt in der Staffel. Dieses Jahr traut er sich an den ganzen Marathon zu und plant auch eine Teilnahme an dem Extremrennen „Krakonošová Stovka“. Da geht es 100 Kilometer durch die Höhen des Riesengebirges – das ist wahrlich nichts für schwache Naturen.