Volle Gefängnisse in Tschechien: Systematische Arbeit bei Resozialisierung weiter mangelhaft

In Tschechien entfallen auf 100.000 Einwohner 197 Häftlinge. Das sind weniger als in den vergangenen Jahren. Allerdings ist dies die zweithöchste Rate unter den EU-Ländern. Etwa 75 Prozent der Inhaftierten sind Wiederholungstäter.

Illustrationsfoto: Martin Pařízek,  Ondřej Vaňura,  Tschechischer Rundfunk

Es geschah hierzulande vor zwei Wochen: Ein 37-jähriger ehemaliger Häftling überfiel mit einer Spritze in der Hand ein Tabakgeschäft, um wieder eingesperrt zu werden. Der Verkäuferin sagte er, im Gefängnis erginge es ihm besser als in Freiheit, und er werde in der Nähe auf seine Festnahme warten.

Dieses Beispiel ist sicher ein Einzelfall. Doch Menschen, die immer wieder in die Haftanstalt zurückkehren, sind einer der Gründe dafür, weshalb die Gefängnisse in Tschechien dauerhaft überfüllt sind. Gegenwärtig sind hierzulande fast 19.000 Menschen hinter Schloss und Riegel. Damit sind die Arrestzellen zu 102 Prozent ausgelastet. Richter, Gefängniswärter und die Mitarbeiter von gemeinnützigen Organisationen sind sich einig, dass es eines systematischen Vorgehens bedarf, damit diese Menschen den Übergang ins Leben außerhalb der Gefängnismauern schaffen. Die Direktorin für Bewährungs- und Vermittlungsdienste, Andrea Matoušková, ist überzeugt, dass eine Mehrheit sich resozialisieren lassen will:

Andrea Matoušková | Foto: Jekaterina Staschewskaja,  Radio Prague International

„Ich kenne nur wenige Menschen, die das Gefängnis verlassen mit dem Gedanken im Hinterkopf, wieder straffällig zu werden. Es gibt sie, aber es sind entschieden weniger als diejenigen, die keine Straftaten mehr begehen wollen. Sie alle kehren in ein System zurück, das für sie möglicherweise nicht verständlich und damit nicht zugänglich ist. Dieses System koordiniert die Arbeit und die Hilfe für diese Menschen und ihre Familien nicht ausreichend. Die Rückkehr eines Gefangenen in die Freiheit ist nämlich in gewisser Weise auch ein Eingriff in die Familie.“

Wegen der hohen Zahl an Häftlingen fehlt es an Personal, das einem jeden von ihnen nach der Entlassung hilfreich zur Seite steht. Dabei sei ihre Eingliederung in das zivile Leben von entscheidender Bedeutung, sagt der stellvertretende Generaldirektor des Gefängnisdienstes, Simon Michailidis:

Simon Michailidis | Foto:  Gefängnisdienst der Tschechischen Republik

„Wird ein Häftling nach der Entlassung nicht betreut, wird er früher oder später in die Justizvollzugsanstalten zurückkehren. Denn gerade die Begleitung dieser Person in den ersten Wochen und Monaten ist enorm wichtig, einschließlich der Beratung und Hilfestellung in punkto Beschäftigung, Entschuldung und Grundausstattung.“

Der 55-jährige Pavel weiß, wie wertvoll diese Unterstützung sein kann. Er wandte sich nach der Entlassung an die gemeinnützige Organisation Rubikon Centrum:

„Rubikon hat mir dabei geholfen, ins Alltagsleben zurückzukehren. Vor allem psychisch tat die Hilfe gut, denn ich hatte besonders mit den Behörden zu kämpfen. Wenn man dort vorspricht, wird man wie ein Krimineller behandelt, und das ist nicht sehr angenehm.“

Pavels Fachberaterin Silvia Silná bestätigt seine Einschätzung:

Illustrationsfoto: Filip Jandourek,  Tschechischer Rundfunk

„Wir begleiten unsere Klienten zu den Ämtern, wenn sie beispielsweise eine finanzielle Unterstützung beantragen. Das ist nötig, denn das System der Sozialhilfe ist sehr kompliziert. Die Behördenabteilungen sind zudem nicht miteinander verknüpft, so dass der jeweilige Antragsteller jeden Monat immer wieder aufs Neue dieselben Angaben machen muss. Und wenn er das Amt persönlich aufsucht, erhält er meistens keine Hilfe. Die Beamten zeigen ihm gegenüber kaum Entgegenkommen, eher eine gewisse Arroganz.“

Dass es auch anders geht und die Straftäter von gestern heute eine neue Chance bekommen, zeigt ein aktuelles Beispiel aus der Justizvollzugsanstalt in Příbram / Freiberg in Böhmen. Dort wurde nach 30 Jahren wieder der Schulunterricht eingeführt. Dabei können Häftlinge neuerdings Qualifikationskurse absolvieren. In einem solchen erlernen sie etwa die Zubereitung warmer Mahlzeiten. Der Kurs wird von 32 Personen besucht, berichtet der Leiter des Schulausbildungszentrums, Jan Mareš:

Illustrationsfoto:  Ostböhmisches Museum Pardubice

„Die übergroße Mehrheit ist zufrieden. Den Häftlingen gefällt, dass sie etwas Neues erfahren. Ab dem nächsten Schuljahr werden wir daher einen vollwertigen Weiterbildungskurs im Fachbereich Koch / Kellner anbieten.“