Denkmalschutzexperten: Historisches Karlin ist gefährdet
Im August dieses Jahres wurde die tschechische Hauptstadt von der verheerenden Hochwasserkatastrophe heimgesucht. Am stärksten betroffen war der Stadtteil Karlín. Denkmalschutzexperten haben schon mehrfach ihre Befürchtungen über das Schicksal des historischen Stadtviertels zum Ausdruck gebracht. Daher bemühen sie sich, das Interesse der Öffentlichkeit auf den gefährdeten Stadtteil zu lenken.
"Bereits während der Flutkatastrophe und kurz danach stürzten einige Häuser in Karlín ein. Seitdem wurde Karlín von den verantwortlichen Behörden und auch von der Öffentlichkeit als eine gefährliche Zone wahrgenommen, wo man damit rechnen muss, dass noch weitere Objekte einstürzen werden. Aus diesem Grund wurde die Rückkehr der Bewohner und somit auch das normale Leben in den leeren Straßen von Karlín bedeutend verlangsamt."
Mehrere Häuser wurden von Statikern geprüft und bewertet. Je nach ihrem technischen Zustand wurden sie in drei Kategorien unterteilt. Im Zusammenhang mit der erwähnten Klassifizierung der Objekte wurden von den Mitgliedern des "Klubs für das alte Prag" wichtige Tatsachen festgestellt, die die Objektivität der genannten Gutachten in Frage stellen.Der Geschäftsführer des Klubs, Richard Biegel, wies auf der vorige Woche veranstalteten Pressekonferenz u. a. darauf hin, dass die kontinuierlichen Flächen der gefährdeten Häuser sowie die günstige Lage der jeweiligen Grundstücke den Eindruck erwecken, dass sich hinter den Gutachten das starke Interesse von Investoren verbirgt. Nach dem Abriss der historischen Gebäude könnten an deren Stelle höhere Objekte erbaut werden, die eine kommerziellere Nutzung der Grundstücke ermöglichen würden. Denn die ältesten Häuser wurden als die "am schlimmsten beschädigten Gebäude" bezeichnet, sagte Richard Biegel.
Die vom Stadtrat des achten Prager Stadtbezirks beauftragten Experten stuften ca. 50 Häuser in Karlín von ihrer Statik her als problematisch ein. Die im Auftrag des Klubs ausgearbeiteten unabhängigen Gutachten beweisen jedoch, dass der Zustand der Häuser bei weitem nicht so ernsthaft ist, wie behauptet wird. Einer der Experten, Vaclav Jandacek, sagte dazu:
"Diese Häuser sind schon beschädigt worden, aber diese Schäden kann man beseitigen, sie sind zu reparieren. Die Schäden stellen keinen Grund dafür dar, um die Häuser abzureißen."Das Vorstandsmitglied des "Klubs für das alte Prag", Katerina Hanzlickova, brachte einige Beispiele von gefährdeten Gebäuden ins Spiel. Sie beschrieb sie wie folgt:
"Es handelt sich eigentlich nur um einige Gebäude am Karlín-Platz, die an den Ecken zu den Straßen Krizikova und Kollarova liegen. Dort befindet sich eine Gruppe von vier klassizistischen Häusern aus den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts, die als Gesamtkomplex bemerkenswert sind. Sie sind das Werk ein- und desselben Architekten, haben dieselbe klassizistische Fassade und stellen eine malerische Gebäudegruppe auf dem Marktplatz dar. An der Ecke zu den Straßen Thamova und Krizikova steht ein weiteres beachtenswertes Objekt. Es ist nie umgebaut worden und daher in einer außerordentlich authentischen Form erhalten geblieben. Die Fassade mit dem typischen Portal über dem Eingang ist sehr wertvoll."
Die Denkmalschutzexperten und auch die Mitglieder des "Klubs für das alte Prag" befürchten, dass sowohl die Privatbesitzer der Objekte als auch die Gemeinde die Häuser während des Winters weiter verwüsten und sie danach abreißen lassen könnten. Denn laut Gesetz ist die Zustimmung der Denkmalschutzbehörde für den Abriss nicht mehr erforderlich, wenn ein Haus im Havariezustand die Umgebung gefährdet.
Der Leiter der staatlichen Denkmalschutzbehörde der Hauptstadt Prag, Ladislav Spacek, hob den noch erhaltenen eigenständigen Charakter der ersten Prager Vorstadt hervor:
"Es ist ein modernes Stadtviertel aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dessen historischer Teil einzigartig ist. Wenn man bedenkt, wie breit die dortigen Straßen sind. Dadurch konnte man überall Alleen errichten. Wenn es schon dazu kommen sollte, dass ein Haus abgerissen wird oder dass ein Haus einstürzt, dann sollte es so ersetzt werden, um den historischen Komplex aufrechtzuerhalten - d. h. mit einem Objekt von gleichem Ausmaß wie das ursprüngliche Haus. Wenn aber an diese Stelle ein Gebäude tritt, das viel höher und größer als die Häuser in der Umgebung sein wird, dann wird die unter Denkmalschutz stehende Zone ihren Charakter verlieren."
Die Attraktivität des Stadtteils Karlín ist nach Meinung von Ladislav Spacek durch das typische Milieu gegeben. In Prag gibt es seinen Worten zufolge viele Grundstücke, die bebaut werden könnten. Daher muss nicht eben gerade in Karlín neu gebaut werden:"Der Trend ist klar - das Grundstück ist lukrativ, das Milieu attraktiv. Wenn wir den Verlust der historischen Gebäude zulassen werden, dann werden wir gegen uns selbst als Bürger handeln. Wir sollten alle wissen, warum wir dieses Milieu schützen. Die Tatsache, dass es ein vernachlässigtes Milieu ist, bedeutet nicht, dass es keinerlei Qualität hat. Es ist nicht nur eine Angelegenheit der Denkmalschutzexperten, sondern aller Bürger. Lassen wir uns das Stadtviertel von keinem Ballast verbauen. Die vorherrschende Tendenz lautet, etwas Großes zu bauen, die Grundstücke miteinander zu verbinden, um möglichst schnell daran zu verdienen."
Der Bürgermeister des achten Stadtbezirks, Josef Nosek, wies die versteckten Anschuldigungen zurück und bezeichnete den Mangel an finanziellen Mitteln als das wichtigste Problem bei der Renovierung des beschädigten Stadtteils.
"Wissen Sie, der Stadtbezirk Prag 8 hat das Pech, dass er die wenigsten finanziellen Mittel von allen Stadtbezirken aus der Staats- bzw. der Stadtkasse erhält. Wir haben einfach nicht das notwendige Geld für die Renovierungen. Hätten wir das Geld gehabt, hätten wir die Schäden inzwischen schon behoben."
Damit sind wir am Ende des heutigen Spaziergangs durch den Stadtteil Karlín angelangt, wo die Hochwasserfolgen immer noch ganz deutlich zu sehen sind. In wie weit es gelingen wird, den historischen Charakter des Stadtviertels aufrechtzuerhalten, darüber werden wir Sie weiterhin informieren.