Der durchleuchtete Kneipengänger

Hotel Franta, Prag (Foto: Jana Sustova)

Dem scharfen Auge der Soziologie entgeht für gewöhnlich kaum eine Lebensäußerung des Menschen. Umso verwunderlicher erscheint es, dass einer der wichtigsten Bereiche des tschechischen öffentlichen Lebens erst jetzt erstmals eingehend untersucht wurde: die Kneipe. Thomas Kirschner fasst die Ergebnisse zusammen.

Verarmte katholische Frauen fortgeschrittenen Alters trifft man in den tschechischen Kneipen am seltensten an. Dies ist einer der Schlüsse, die man aus einer Untersuchung des Prager Soziologischen Institutes an der Akademie der Wissenschaften ziehen kann. Die Fachleute befragten insgesamt 1053 Menschen ab 15 Jahren nach ihrer Einstellung zu Kneipen und Restaurants. Erstaunliches Ergebnis: 23Prozent der Tschechen, vorwiegend aus den oben genannten Gruppen, gaben an, niemals eine Gaststätte zu besuchen. So sind es wohl gerade die übrigen drei Viertel, die Kneipen als einen bedeutenden Bestandteil tschechischer Tradition und Nationalkultur ansehen. Und sich der Meinung anschließen, dass das tschechische Bier das Beste der Welt sei - auch hier gibt es 75 Prozent Zustimmung. Für Tschechien geradezu ein erstaunlich niedriger Wert.

Foto: Simona Kalasova
Die Untersuchung zeigt weiterhin, dass Biertrinken eine politische Angelegenheit ist. Anhänger der konservativen Bürgerdemokraten (ODS) sind unter den Biertrinkern überproportional vertreten. Der stellvertretenden ODS-Vorsitzende Petr Necas hat dafür eine einfache Erklärung: ODS-Wähler seien eben gute tschechische Staatsbürger und würden gerne bei einem Bier über Politik diskutieren. Der Soziologe Jiri Vinopal will diese Vermutung aus fachlicher Sicht allerdings nicht bestätigen. Die Kneipe habe als politischer Raum an Bedeutung verloren:

"So eine abgedroschene Phrase wie die, dass sich in der Kneipe über Politik reden lässt, galt verständlicherweise früher in weit höherem Maße als heute. Genauso steht es um die Funktion der Kneipen als Möglichkeit zur Flucht aus der Realität, wie das früher oft beschrieben wurde. Auch das hat sich abgeschwächt, einfach weil die Menschen heute aus der Realität nicht mehr so radikal fliehen müssen."

Hotel Franta,  Prag  (Foto: Jana Sustova)
Warum also gehen Tschechen heute in die Kneipe? Fast alle wollen sich unterhalten und drei Viertel - wir erinnern uns: genausoviele hielten das tschechische Bier für das Beste der Welt - kommen, um eben dieses zu trinken.

Auch andere Ergebnisse sind weniger überraschend. So konnten die Soziologen feststellen, dass der Tscheche in seiner Kneipe Eichenbänke, einen Ausschank mit Zapfhahn und eine freundliche Atmosphäre vorzufinden hofft. Zum verliebten Stelldichein wählt er hingegen lieber das Restaurant oder die Pizzeria und tut auch gut daran. Schon aus Gründen der Sauberkeit würden ihm nur sechs Prozent der tschechischen Frauen in eine "Hostinec" folgen, was hier wohl am besten mit Spelunke zu übersetzen ist.